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Zu den Wurzeln gefunden

 
     
 
Gedankengut oder gar politisches Handeln, das mit dem Begriff nationalliberal umschrieben werden kann, ist seit vielen Jahren mehr oder wenige in Vergessenheit geraten. Dazu mag vor allem das Reizwort national beigetragen haben, fü dessen Nennung eine der Hysterie nicht unähnliche Ängstlichkeit allenthalben vorhande ist. Allerdings: Noch in den 50er und frühen 60er Jahren
hatten die Freien Demokraten in Lande weit weniger Berührungsängste mit dem in der Frankfurter Paulskirche 1848/49 zu politischen Form geratenen Gedanken des Nationalliberalen. Der deutschen Politik jene frühen Jahre in Bonn ist dies nicht schlecht bekommen.

Gerade am Beginn umfangreicher globaler Experimente lohnt es sich indes, diesen Begrif des Nationalliberalen zu entstauben und nicht nur im politischen Bereich wieder tragfähi zu machen. Dabei lohnt es sich besonders, an geistige Urheber dieser Haltung zu erinnern Allein schon eine gerechte Definition des aus zwei Berei- chen zusammengesetzten Begriff macht deutlich, wie hilfreich und ergänzend ein Besinnen auf das Nationalliberal angesichts des offenbar unvermeidlichen globalen Denkens in wirtschaftlichen Sachzwänge sich erweisen könnte. Der Begriff liberal allein scheint zunächst wenig aussagekräfti zu sein. Zumindest aber schließt er den Hang zum Extremismus eindeutig aus. Solches is vor allem dann besonders wichtig, wenn sich Liberalität mit anderen Begriffen verbinde und dadurch ihre eigentliche Lebensfähigkeit beweist und damit dauerhaft erhält.

Die Nation hingegen erhält erst dann ihre tiefere Bedeutung, wenn die Völker um ihr Zusammengehörigkeit durch ihre Geschichte und ihre Kulturen wissen und dadurch – anders als es im profanen und oft nur materialistisch orientierten Nationalismus der Fal ist – ein organisches Bewußtsein erlangen. Zusammen mit liberalem Denken, das die Extreme bannt, wird die Nation – beispielsweise und insbesondere im Wissen um die Wurzeln der gemeinsamen Sprache – zu einem wirklichen und stets wohlmeinende Nachbarn anderer Nationen.

Es verdient festgehalten zu werden, daß Versuche zum Ebnen eines solchen Weges bereit im späten 18. und vor allem in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts unternomme wurden. Zu den großen Geistern jener Zeit, die dazu ihren Beitrag leisteten, gehöre auch vor allem die Gebrüder Jakob und Wilhelm Grimm, die heute zumeist nur noch in Fachkreisen als große Wegbereiter der Germanistik, ansonsten aber in der Öffentlichkei nur noch als gutmütige Sammler und Veröffentlicher umfangreicher deutsche Märchenkompendien bekannt sind.

Vielleicht weiß der eine oder die andere gerade noch, daß die beiden Brüder ein wichtige deutsche Sagensammlung herausgebracht haben. Daß das kongeniale Brüderpaar, da gewissermaßen geistige Zwillinge ausmachte, auch die Begründer des erst 196 fertiggestellten deutschen Wörterbuches waren, wird so gut wie nicht mehr gewußt.

Von Zeit zu Zeit bedarf es dann immer wieder großer Geister, um an die unschätzbare Verdienste des Brüderpaares um das Auffinden der Wurzeln der deutschen Sprache und um da Darlegen der psychologisch so interessanten Mythen der Deutschen, ja der Mensche insgesamt, in der Form von Märchen und Sagen zu erinnern.

So schrieb beispielsweise bereits 1842 Eduard Mörike an seinen Bruder Karl "Vielleicht verschmähen die verehrten Deinigen die Grimmschen Volksmärchen nicht ich gestehe, daß ich sie als einen goldenen Schatz wahrhafter Poesie zu meine Lieblingsspeisen zähle." Und Hugo von Hofmannsthal bemerkte im "Deutsche Lesebuch" im Jahre 1926: "War Jacob vielleicht der größere, so kann doch sei Lebenswerk nicht von dem des Bruders getrennt werden. Zu innig waren sie im Leben so in der Arbeit, ja im Erkennen und noch im Erahnen ineinander verflochten." So sei vo ihnen als von "einem Mann die Rede, dem es gegeben war, ganz zu ahnen, was de Begriff ,eines Volkes Sprache‘ umfängt ... was denn nichts weniger war als da ganze tiefere Dasein des Volkes, sein Bleibendes, Geistleibliches, wie es ja zu Tage trit vor allem in der Sprache selber und ihren Wanderungen."

Die Lebensläufe der beiden Brüder – Jacob wurde am 4. Januar 1785 in Hanau, sei Bruder Wilhelm ein Jahr nach ihm, am 14. Februar 1786, geboren – blieben letztlic immer dem gutbürgerlichen Milieu eines gehobenen Mittelstandes verhaftet. Sie lebte dieses Leben, vor allem, wenn es um politische Dinge ging, ganz im Sinne der eingang getroffenen Definition. Der in Kindheit und früher Jugend einflußreich gewesene Geis der Aufklärung hat die beiden Brüder nie verlassen und sie auch vor jeglichem Fanatismu oder jeglicher Bigotterie bewahrt. Höchstes Ziel war für sie, wissenschaftliche Arbei zu leisten und in die Tiefe der Dinge vorzudringen.

Die Jugend der beiden Brüder sowie weiterer vier Geschwister war überschattet vo frühen Tod des Vaters, eines Advokaten, der im Staatsdienst zunächst in Hanau un später im hessischen Steinau tätig war. Nach dem Ableben von Philipp Wilhelm Grimm in Jahr 1796 bezogen die beiden Söhne Jacob und Wilhelm zunächst das Lyzeum in Kassel. Ein Tante half der in einiger Finanznot lebenden Mutter und machte es auch später möglich für die beiden begabten Brüder jeweils einen Studienplatz an der Marburger Universitä zu erhalten. Beide traten in die Fußstapfen des Vaters und studierten die Juristerei.

Großen Einfluß auf Jacob Grimm in jener Marburger Zeit hatte der Rechtsgelehrt Friedrich Karl von Savigny, der dem jungen Grimm 1804 dann auch zu einem Forschungsauftra mit nach Paris nahm. In der Folge lebten Jacob und Wilhelm wieder in Kassel, da inzwischen die Folgen der Napoleonischen Umwälzungen in Europa zu spüren bekommen hatte Die Hauptstadt des hessischen Kurfürstentums war vom großen Korsen kurzerhand de neugeschaffenen Königreich Westfalen zugeschlagen worden.

Ungeachtet der Zeitläufe versuchten die Brüder, sich nach der Decke zu strecken. Un es gelang ihnen auch: Wilhelm beendete sein Jurastudium mit dem Staatsexamen, Jacob, de fleißigere Student, erhielt eine einträgliche Stelle als Sekretär beim Hessische Kriegskollegium, der 1809 die eines Auditors beim Staatsrat folgte.

Aus jener Zeit rühren auch die Zeilen Jakobs an seinen Bruder Wilhelm: "Wi wollen uns einmal nie trennen, und gesetzt, man wollte einen anderswohin tun, so müßt der andere gleich aufsagen. Wir sind nun diese Gemeinschaft so gewohnt, daß mich scho das Vereinzeln zum Tode betrüben könnte." Die beiden Brüder haben sich ein Lebe lang daran gehalten und man mag daran ermessen, wie schwer es ihnen fiel, als Jacob die Aufgabe eines Diplomaten beim Wiener Kongreß im Jahr 1814 zu bewältigen hatte.

Zuvor hatte 1813 die Völkerschlacht zu Leipzig stattgefunden. Zwar waren die Brüde Grimm nicht unmittelbar an der preußischen Freiheitsbewegung beteiligt, sie waren jedoc mit ihren patriotisch bewegten Herzen und ihrer liberalen Lebenshaltung mit Feuereife für neue, aber leider dann doch nicht verwirklichte Verhältnisse im Land.

Bereits 1806 war von den Brüdern mit dem Sammeln deutscher Märchen und Sagen begonne worden. Sie taten dies mit viel Fleiß und viel wissenschaftlicher Akribie, bi schließlich die großen Romantiker wie Achim von Arnim und Clemens Brentano nac Begegnungen mit den Brüdern darauf aufmerksam wurden und sie zur Veröffentlichun anregten. Im Jahre 1812 erschien dann der erste Band der "Kinder- un Hausmärchen", dem der zweite Band 1815 folgte. Zwischen 1816 und 1818 erschienen die beiden Teile der "Deutsche Sagen".

Jacob Grimm sagte zu diesem Forschungsgebiet, das die Brüder für den Rest ihre Lebens begleiten sollte: "Die Märchen gleichen den Blumen, die Volkssagen frische Kräutern und Sträuchern, oft von eigentümlichem Geruch und Hauch." An andere Stelle formuliert Jacob: "Das Märchen ist poetischer, die Sage historischer, jene stehet beinahe in sich selbst fest, in seiner angeborenen Blüte und Vollendung; die Sag von einer geringeren Mannigfaltigkeit der Farbe, hat noch das Besondere, daß sie an etwa Bekanntem und Bewußten haftet, an einem Ort oder einem durch die Geschichte gesicherte Namen. Aus dieser Gebundenheit folgte, daß sie nicht, gleich dem Märchen, überall zu Hause sein könne." Von 1816 bis in das Jahr 1829 lebten die Brüder Grimm zusamme in Kassel als wohlbestallte Bibliothekare. Dies ließ ihnen genügend Zeit für ihre imme umfangreicheren philologischen Studien. Die Ergebnisse wissenschaftlicher Arbeiten in Bereich der Sprachforschung wuchsen zusehends und damit auch der hervorragende Ruf be anderen Wissenschaftlern und großen Geistern in Deutschland, das in den Fängen de Restauration gefangen gehalten war. Aber auch im Ausland hatten die Gebrüder Grim inzwischen einen großen Namen.

Es war jene Zeit, in der die Brüder aufgrund ihrer liberalen Einstellung un gleichzeitigen Liebe zum Vaterland, worunter sie das ganze Deutschland verstanden, sic ihrer nationalliberalen Bedeutung immer bewußter wurden. Jacob stellte den ersten Tei einer "Deutschen Grammatik" fertig, erhielt zusammen mit Bruder Wilhelm die Ehrendoktorwürde der Universität Marburg und verfaßte den Band "Deutsch Rechtsaltertümer". Im Jahre 1828 erhielt er die Ehrendoktorwürde der Universitä Berlin. Bruder Wilhelm schrieb die 1829 erschienenen "Deutschen Heldensagen".

Anfang der 30er Jahre erhielten die beiden Brüder Rufe an die zum Königreich Hannove gehörende Universität Göttingen als ordentliche Professoren. Die Forscherarbeit gin weiter, so daß Jacob 1835 den Band "Deutsche Mythologie" vorlegen konnte. Al allerdings 1837 König Ernst August II. die liberale Verfassung des Landes abschaffe will, protestieren sieben Göttinger Professoren heftig, darunter auch Jacob und Wilhel Grimm. Wie für die anderen der berühmten "Göttinger Sieben" ging auch fü die Gebrüder Grimm die Sache nicht glimpflich ab. Sie wurden entlassen und Jacob soga des Landes verwiesen.

Die Arbeitslosigkeit der Brüder dauerte indes nicht lange, bereits 1840 erhielten si einen Ruf an die Universität Berlin, dem die Übersiedlung in die Spreemetropole 184 folgt. In der freieren Atmosphäre Berlins setzten die Brüder mit noch größerem Eife ihre Forschungsarbeit fort. Vor allem Jacob unternahm zahlreiche Reisen, so unter andere auch nach Italien und Schweden. 1846 und 1847 leitete Jacob Grimm die erste Germanistenversammlungen in Deutschland. Die allenthalben 1848 in Deutschland aufkeimende Revolutionswirren ließen die Brüder Grimm nicht unberührt. Besonders Jacob engagiert sich im nationalliberalen Sinne in Berlin, verfocht den Gedanken einer konstitutionelle Monarchie und wurde schließlich Abgeordneter im Frankfurter Parlament. Dort fiel er durc seine konsequente Haltung für die Einheit und Freiheit Deutschlands vielen auf und sorgt unter anderem mit der Äußerung für Aufregung: "Aller rechtlicher Unterschie zwischen Adeligen, Bürgerlichen und Bauern hört auf, und keine Erhebung weder in de Adel noch aus einem niederen in den höheren Adel findet statt."

Jacob Grimm erkannte allerdings recht bald, daß das Experiment der Paulskirch zerredet wurde und daß die Ansprüche der Realität nicht gerecht wurden, der neue Weg in seinem Sinne nicht begangen werden konnte. Er zog sich zurück und beendete, gleich wi sein Bruder Wilhelm, die universitäre Tätigkeit, nachdem er zuvor noch den wichtige Band "Geschichte der deutschen Sprache" herausgegeben hatte. Fortan übten die Brüder nur noch Forschungstätigkeit aus. Ihre Korrespondenz mit Wissenschaftlern in allen Teilen der Welt weitete sich beträchtlich aus. Jüngste Forschungen haben ergeben daß die beiden Forscherbrüder mehr als 30 000 Briefe schrieben.

Ihr Lebenswerk sollte aber nicht ohne einen höchsten Glanzpunkt enden. Im Jahre 185 brachten die Brüder den ersten Band des "Deutschen Wörterbuches" heraus. E war dies ein gewaltiges Vorhaben, so daß es nicht verwundert, daß mit dem Erscheinen de dritten Bandes erst der Buchstabe D erreicht worden war. Zuvor war Wilhelm am 16. Dezembe 1859 gestorben. Sein Bruder Jacob folgte ihm am 20. Dezember 1863. Sie sind beide auf de St. Matthäus-Friedhof in Berlin-Schöneberg begraben
 
     
     
 
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