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Zwischen den Fronten

 
     
 
Auf ihrem langen Marsch durch die Institutionen sind die Achtundsechziger weit gekommen. Sie besetzen Schlüsselpositionen in der rot-grünen Bundesregierung, in Ministerien, in Universitäten oder in den Medien. Fast vierzig Jahre nach der Studentenrevolte stehen die meisten von ihnen an der Schwelle der Pensionierung. Auch Bernd Rabehl, einst Rudi Dutschke
s engster Gefährte, ist pensioniert. Er sieht sich als "ganz friedlicher Rentner". Doch der Wirbel um den vor drei Semestern emeritierten Soziologieprofessor von der FU Berlin ist riesig, seit Rabehls Wanderung von ganz links nach ganz rechts publik wurde.

Er sei sich treu geblieben, meint Rabehl und will die ganze Aufregung nicht verstehen, nachdem er vergangenen Mittwoch vor der sächsischen NPD-Fraktion einen Vortrag zum Thema "Die NPD, die Faschismusjäger und der Faschismus" gehalten hat. Rabehl behauptet, was früher als "links" angesehen wurde, gelte heute als "rechts". Vermutlich meint er damit, das Establishment lasse sich nur noch von rechts kritisieren. "Ich bin antiautoritär und kein Opportunist", bekennt Rabehl. Letzteres stimmt: Wegen seiner Aktivitäten im linksradikalen SDS war ihm eine wissenschaftliche Laufbahn in Deutschland zunächst versagt geblieben, also ging er als Gastprofessor nach Südamerika.

"Als ich 1973 aus Brasilien zurückkam, wurde ich von der linken Öffentlichkeit behandelt wie ein lieber, guter Onkel. Ich sollte nur noch mit dem Kopf wackeln und freundlich lächeln", gab er vor einigen Monaten der linken taz zu Protokoll. "Alle haben sich gegenseitig auf die Schulter geklopft: 68, das war großartig - großartig, dabei gewesen zu sein."

Doch Rabehl fühlte sich mißverstanden. Rudi Dutschke und er, beide im DDR-Regime aufgewachsen, hätten 1968 für ein geeintes Deutschland gekämpft. "Wir als ‚Abhauer sind bewußt vor einer russisch-deutschen Diktatur geflohen und nie wirklich im Westen angekommen", erklärte Rabehl 2003 in einem Interview mit derVerlegerin

Seine "nationale" Interpretation des Studentenführers, unterfüttert mit Analysen zu Marcuse und anderen Größen der Frankfurter Schule, ist Thema eines schmalen Büchleins von Rabehl mit dem Titel "Rudi Dutschke, Revolutionär im geteilten Deutschland". Als Revolutionär, zumindest als Provokateur ist Rabehl auch heute noch unterwegs. 1998 hielt er einen Vortrag vor der als rechts bekannten Münchner Burschenschaft Danubia. Dann schrieb er immer wieder Beiträge für die Wochenzeitung Junge Freiheit. Die alten SDS-Kämpen wollten darauf nichts mehr von ihm wissen.

Rabehl grub tiefer, war dem "System Antifaschismus" auf der Spur: "Rechtsradikalismus wird zu einem beliebigen Schlagwort und wird alle treffen, die nicht auf ‚Linie sind oder Zweifel an der herrschenden Auffassung von Politik anmelden", schrieb Rabehl kürzlich in der Jungen Freiheit. Mit seinem Auftritt vor der sächsischen NPD-Fraktion hat der Dutschke-Freund den Bogen wohl überspannt. Die NPD sei eine "ganz normale Partei", erklärte er dort lächelnd. Ähnlich provokant und ähnlich wirr waren viele Aussagen der Achtundsechziger. Und ähnlich bierernst und humorlos wie in den sechziger Jahren nehmen die heutigen Wächter der "political correctness" den NPD-Unsinn des Apo-Opas auf.

Schon vor Wochen wollte das Otto-Suhr-Institut (OSI) der Freien Universität dem Professor die Lehrerlaubnis entziehen, nachdem ein Interview mit der NPD-Zeitung Deutsche Stimme ruchbar wurde. Es seien "die herrschenden Machtgruppen", erklärte Rabehl dort, die "letztlich gegen eine un- kontrollierte Zuwanderung nichts unternehmen, um eine Paralyse der europäischen Völker zu erreichen." Institutsleiter Bodo Zeuner schäumte. In einem Offenen Brief an Rabehl erklärte er, dieser habe "in unerträglicher Weise gegen Prinzipien demokratischer Gesinnung und Gesittung" verstoßen. Juristisch ist ein Entzug der Lehrerlaubnis aber kaum durchsetzbar. Dem steht die Freiheit der Wissenschaft entgegen.

Der wahre Extremismus, so Rabehl vergangene Woche in Leipzig, komme heute aus der Mitte des Staates. Der "Kampf gegen Rechts" sei sein Symbol. Daran Kritik zu üben, rufe heute Reaktionen hervor wie in einer Diktatur. Tugendwächter "wie im Iran" seien am Werk. Dahinter aber stecke, so Rabehl, die panische Angst eines korrupten Systems vor Veränderungen.

Ob die NPD-Fraktion wirklich das richtige Publikum für den Vortrag des "antiautoritären" Professors war? Vielleicht sieht Rabehl die Welt immer noch durch die aufmüpfige Brille von 68, ist nicht im Hier und Heute angekommen. "1968 bedeutet alles für mich, ohne 1968 wäre ich nicht der geworden, der ich bin", sagte er der taz. "Und 1968 hängt wie ein schwerer Rucksack an meinem Rücken, genauso wie der Dutschke an meinem Rücken hängt." Helmut Binder

Bürgerschreck: Der bärtige Bernd Rabehl (li.) als SDS-Aktivist bei einer Berliner Demo 1967.
 
     
     
 
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