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umgeben von Dünnbrettbohrern

 
     
 
Der Schriftsteller Alexander Sowtschik ist ins Rentenalter und als Erzähler schon etwas aus der Mode gekommen, für einen Bucherfolg aber immer noch gut. Sein Haus auf dem platten norddeutschen Land ist mit Büchern vollgestopft, sein Hobby ist eine kleine Haustierfarm, die beiden Kinder können sich auf ein hübsches Erbe freuen. Die Ehe freilich ist in Routine erstarrt, und sein neuer Roman "Karneval über Lethe" kommt nicht recht voran. Sowtschiks "Karneval über Lethe" ist ein Buch über die Innereien des Kulturbetriebs. Hier werden Machtfragen entschieden, vergiftete Freundlichkeiten ausgetauscht, praktische oder symbolische Zuteilungen gewährt oder wieder entzogen, was für den medialen und den Marktwert des Autors ausschlaggebend ist. Außerdem ist die Beleidigungsklage eines Kollegen anhängig, den er "Dünnbrettbohrer" genannt hat. Die Einladung des deutsch-amerikanischen Kulturinstituts zu den "Deutschen Wochen" in den USA kommt da gerade recht.

Sowtschik weiß, daß den Autoren ein klarer kulturpolitischer Auftrag zugedacht ist, nämlich "das vielleicht zu glatte, glänzende Bild deutscher Kultur zu craquelieren, das Brüchige aufzuzeigen und die unglaublichen Schweinereien, die von Deutschland ausgegangen waren, anzupranger
n". Er gilt in Intellektuellenkreisen als "konservatives Schwein", bei Lesungen in fortschrittlichen Universitäten wurden ihm die Autoreifen zerstochen, und Zeitungsredakteure verhalten sich reserviert, wenn er ihnen Artikel anbietet, weil er - wir schreiben den Sommer 1989 - gelegentlich von "unserem deutschen Vaterland" und von der Wiedervereinigung redet.

Sowtschik bleibt auch in den USA ein unerschütterliches Landei, das sich darüber wundert, daß man keine Reisechecks von seiner Sassenholzer Raiffeisenbank akzeptiert. In einer zweifelhaften New Yorker Frittenbude nimmt er eine Extraportion Mayonnaise zu sich, was prompt zu einer Lebensmittelvergiftung führt. Der herbeigerufene Arzt ist ein jüdischer Emigrant aus Heidelberg, der ihn erwartungsgemäß nach seiner Mitgliedschaft in der SS oder NSDAP fragt.

Bekanntermaßen kann man aus der Entfernung das eigene Land klarer erkennen. Das Grollen seines Romanhelden beschränkt Kempowski aber auf den inneren Monolog: "Die Amerikaner hatten zwar Bombenteppiche über Barockkirchen abgeladen, dann aber Carepakete geschickt. Sie hatten sich Jahr um Jahr mit der Umerziehung des schuldig gewordenen deutschen Volkes abgemüht, um es in die Völkerfamilie zurückzuführen - nun würde zu demonstrieren sein, was aus dem Kindlein geworden ist."

Kollegen tauchen auf: Siegfried Lenz zum Beispiel. Ingeborg Bachmann heißt Gisela Flüsser, und in Renate Fuchs, "deren beharrlicher, wenn auch nicht recht beweisbarer Gegenkurs zur SED-Regierung ... immer wieder Erstaunen und Bewunderung" erweckt, ist unschwer Christa Wolf zu erkennen. Sow-tschicks direkter Konkurrent auf der Amerikatour ist der 40jährige Lyriker Adolf Schätzing, dessen Verse wegen ihrer kristallinen Reinheit gerühmt werden. Obwohl Schätzing und Sowtschick - ihre Namen haben dieselben Initialen! - sich niemals persönlich treffen, kommen sie sich von Station zu Station näher. Denn beiden sitzt der Tod im Nacken: Sowtschick hat Probleme mit dem Kreislauf, über Schätzing sind Krebsgerüchte im Umlauf.

"Letzte Grüße" ist ein Buch über einen alternden Künstler, der, als in Berlin die Mauer fällt, in einer temporeichen Szenenfolge aus Erinnerungen, letzten Begegnungen und Reflexionen realisiert, daß die Reise durch die USA sein ganz persönlicher "Karneval über Lethe", dem Fluß des Vergessens, aus dem die ins Totenreich eingetretenen Verstorbenen trinken, um ihr irdisches Leben endgültig hinter sich zu lassen, gewesen ist.

Auch entspricht Sowtschik ein wenig dem Alter ego von Walter Kempowski selbst. Der bald 75jährige kann sich über mangelnden Zuspruch für seine - teilweise verfilmten - Bücher nicht beklagen, doch der Erfolg war eher dem Publikum als der Kritik und den Literatur-Juroren zu verdanken. Ein Grund für die Geringschätzung mag sein, daß Kempowski mit seinen Ansichten ein Unzeitgemäßer ist, also keiner, der diesen Status bloß als Markenzeichen vor sich herträgt.

Nach der Lektüre dieses bitter-sarkastischen, dabei lebensprallen und abgeklärten Romans kann man sich absolut nicht vorstellen, daß er Kempowskis letzter Gruß an seine Leser gewesen sein soll. Th. Hinz

Walter Kempowski: "Letzte Grüße", Albert Knaus Verlag, München 2003, 430 Seiten, 22,90 Euro
 
     
     
 
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