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Auf dem Weg zur Seligsprechung

 
     
 
Bei der diesjährigen Wallfahrt der Ermländer nach Werl wurde das Seligsprechungsverfahren für Bischof Maximilian Kaller, den letzten deutschen Bischof des Ermlands, eröffnet. Dies ist nicht nur für die Ermländer, sondern auch für die ganze Kirche in Deutschland Anlaß zur Freude. Der am 7. Juli 1947 Verstorbene war ein leuchtendes Vorbild treuer Pflicht-erfüllung in schwerer Zeit. Über seinen Tod hinaus verehren ihn zahlreiche Menschen und bewundern sein Beispiel.

Kallers Wirken fiel in eine schwere Zeit. Der am 10. Oktober 1880 im oberschlesischen Beuthen Geborene erlebte zwei Weltkriege, die NS-Diktat
ur und die Vertreibung. Nach seiner vorzeitigen Priesterweihe mit erst 23 Jahren wurde er zunächst Kaplan in Groß-Strehlitz. Im kalten Beichtstuhl zog er sich schweren Rheumatismus zu. Zur Erholung - wie es hieß - wurde er auf die Insel Rügen geschickt, die damals kirchlich zu Breslau gehörte. Dort gab es nur wenige Katholiken und keine katholische Kirche. Auf Rügen waren zahlreiche polnische Saisonarbeiter, die sogenannten Schnitter. Kaller hatte Polnisch gelernt, um sie seelsorglich betreuen zu können. Als er am 12. Dezember 1905 seine dortige Stelle antrat, kamen nur fünf Gläubige zum Gottesdienst. In elf Jahren härtester Pionierarbeit auf Rügen schuf Kaller eine lebendige Diasporagemeinde mit drei Kirchen in Bergen, Garz und Sellin. Hinzu kamen noch acht Seelsorgestationen. Auf Rügen erlebte er das soziale und moralische Elend der polnischen Saisonarbeiter und wurde ihr treuer Anwalt und Helfer. Er warf den Männern die Schnapsflaschen vor die Füße, traute sie aber auch ohne Papiere, die sie nicht beibringen konnten. Hierbei riskierte er die Strafe für den Verstoß gegen die preußischen Gesetze. Für seine Schutzbefohlenen hetzte er seinen wilden Wallach zu Tode, wenn er einen von ihnen am anderen Ende der Insel in Lebensgefahr wußte. Im Winter schleppte er stundenlang sein Fahrrad durch die schneeverwehten Wege, für sie verirrte er sich bei nächtlichen Versehgängen in Wald und Schlamm. Die Schnitter erwiderten seine Treue. Sie brachten ihm ihr sauer verdientes Geld für den Bau der Kapellen, kamen zu ihm zur Beichte, auch wenn sie wegen des Andrangs oft stundenlang warten mußten.

Mitten im Krieg, 1917, wurde Kaller an die größte und schwierigste Gemeinde Berlins, St. Michael, versetzt. In Berlin begegnete Kaller der Diaspora mit ihrer ganzen Gefährdung, aber auch ihren zahlreichen Möglichkeiten. Für die große soziale, moralische und religiöse Not hatte er einen wachen Blick. Die trostlose Bilanz seiner Pfarrkartei vermochte ihn nicht zu lähmen, sondern spornte ihn zu unermüdlicher Arbeit an. Er schuf eine vorzügliche Pfarrorganisation und begründete sein berühmt gewordenes Laienapostolat. Unermüdlich war er in seinen verschiedenen Vereinen ebenso tätig wie auf der Kanzel und im Beichtstuhl. Angesichts der großen Not nach dem Ersten Weltkrieg baute er ein umfassendes Sozialwerk für Arbeits- und Obdachlose auf. Als er Hunderte von Armen nach dem Krieg mit Hilfe seiner Gemeinde zu speisen begann, schüttelten selbst Wohlmeinende bedenklich den Kopf. Aber jegliche Kritik verstummte, als nach Beendigung der Armenspeisung der Kassenüberschuß 500 Goldmark aufwies.

Das erneuerte Pfarrleben strahlte besonders nach Veröffentlichung seines Buches "Unser Laienapostolat in St. Michael" über die Grenzen der Pfarrei aus. In ihm erörtere Kaller die Übertragung von pastoralen Aufgaben in einer von Arbeitslosigkeit und Inflation geschüttelten Diasporagemeinde. Es ging um ganz praktische Dinge. Seine Ausführungen gipfelten in der Forderung nach einer Begräbniskasse für Mittellose. Das gesamte tägliche Leben einer Pfarrei: Von der Taufkatechese bis zur Bekehrung von Nichtchristen wurde in ihm behandelt. Kaller schöpfte seine Ideen aus seiner Pfarrkartei und beschritt ganz eigene Wege. Er wollte die Laien für jede mögliche Pfarrfunktion interessieren und heranbilden - ein damals unerhörter Gedanke, der sich erst so recht nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil durchsetzte. Die Pfarrei wurde zum Brennpunkt des christlichen Lebens in ihrer Geschlossenheit und Uniformität. Kaller vertrat die Ansicht, ein Apostel müsse kein Priester sein. Der Herr sagte ja in der Bergpredigt: "So soll euer Licht vor den Menschen leuchten, damit sie Eure guten Werke sehen und Euren Vater im Himmel preisen." (Matthäus 5, 16.)

1926 wurde Kaller zum Apostolischen Administrator von Tütz ernannt. In den vier Jahren seiner dortigen Tätigkeit schuf er aus diesem kirchlichen Verwaltungsgebilde, das die bei Deutschland verbliebenen Restgebiete der Provinz Posen und Westpreußen zur Grenzmark vereinte, das lebenskräftige Quasi-Bistum der Freien Prälatur Schneidemühl.

Da er sich in seinen bisherigen Aufgaben so herausragend bewährt hatte, ernannte ihn Papst Pius XI. zum Bischof von Ermland. Da Kaller wußte, daß die Ermländer für ihren verstorbenen Bischof Bludau einen aus ihren Reihen als Nachfolger ersehnt hatten, ließ er sich in Schneidemühl vom Apostolischen Nuntius zum Bischof weihen. Am 18. November 1930, einem naßkalten Tag, holten ihn die ermländischen Kutschen und Reiter feierlich nach Frauenburg ein. Zwar ließ man es ihn nicht spüren, aber Kaller wußte doch, daß er als Fremder in dieses Bistum kam. In den ersten Jahren seiner Tätigkeit warb er intensiv um Vertrauen. In knapp zwei Jahren hatte er alle Gemeinden besucht. Er legte großen Wert darauf, auch ohne besondere Anlässe wie Firmung oder Kirch- weihe nur als Seelsorger in die Pfarrei zu kommen. Die Leute gewöhnten sich rasch an den Bischof im Beichtstuhl. Wie in seinen bisherigen Gemeinden wollte er "alles in Christus erneuern". Wenngleich er anfangs allzu stürmisch die Erfahrungen der Großstadt auf die ganz anderen Verhältnisse des bäuerlichen Ermlands anzuwenden suchte, gewann er doch durch seine lautere Art die Herzen des einfachen Volkes im Sturm. Allmählich eroberte er auch die Zuneigung des zunächst zögerlichen Klerus. Bei ihm grassierte das Wort: Vobis Max, nobis Pax: Für Euch Bischof Max, für uns Frieden (Geruhsamkeit). Kaller brachte neuen Schwung in die Diözese, die behaglich einer geruhsamen, wenn auch gediegenen Frömmigkeit huldigte. Allmählich wurde allen klar, daß Kallers einziges Motiv war, die Menschen für Christus zu gewinnen und sie zu glaubensstarken und bekenntnisfrohen Katholiken zu machen. In vierteljährlichen Konferenzen versammelte er alle Priester um sich und hatte sie sehr bald auch persönlich kennengelernt. Gern anerkannte Kaller Leistung und guten Willen seiner Priester und beschämte sie immer wieder durch seine Güte und Demut. Wenn einer von ihnen irgend etwas in Frauenburg zu tun hatte, war er selbstverständlich Gast des Bischofs. Besonders zum jungen Klerus fand Kaller bald ein väterliches und ganz persönliches Verhältnis. Im Krieg führte er eine eigene Korrespondenzmappe mit seinen im Feld stehenden Priestern und Theologen, an die er keinen Sekretär heranließ. Für die Geburts- und Namenstage seiner Priester legte er sich ein eigenes Merkbuch zu. Vielen, besonders älteren Mitbürgern, schickte er handgeschriebene Grüße. Mit den Priesterjubilaren wurde er allerdings vorsichtiger, als der Senior des Klerus, vor lauter Freude über den Bischofsbesuch, am Tag nach seinem 90. Geburtstag starb. Als ihn ein Priester in einer Unterredung fragte, ob er ihm ein persönliches Anliegen vortragen dürfe, sagte Kaller: "Aber mein Lieber, wir sind doch Freunde!"

Die Kenntnis der für den ermländischen Bischof so bezeichnenden Charakterzüge verdanken wir vor allem Professor Gerhard Fittkau, der mit seinem Buch "Mein 33. Jahr" weltberühmt wurde. Vor dem Krieg war er viele Jahre bischöflicher Sekretär und daher sein ständiger Begleiter. Nach Krieg und russischer Gefangenschaft war er bis zu dessen Tod sein Persönlicher Referent.

Bereits vor der "Machtergreifung" Hitlers nahm Kaller zur Ideologie der Nationalsozialisten Stellung. So schrieb er in der Danziger Landes-Zeitung vom 8. April 1931:

... Der Nationalsozialismus enthält in seinem kulturpolitischen Programm Irrlehren, weil er darin wesentliche Lehrpunkte des katholischen Glaubens ablehnt oder falsch auffaßt und weil er nach der Erklärung seiner Führer eine neue Weltanschauung an die Stelle des christlichen Glaubens setzen will.

Führende Vertreter des Nationalsozialismus ... lehnen die Offenbarungen des Alten Testaments und sogar die Zehn Gebote ab ... In § 24 des (Partei-)Programms soll das ewig gültige christliche Sittengesetz am Moralgefühl der germanischen Rasse nachgeprüft werden ... Was der Nationalsozialismus Christentum nennt, ist nicht mehr das Christentum Christi.

Deshalb warne ich hiermit nachdrücklich alle Gläubigen vor den Irrlehren des Nationalsozialismus."

In einem Artikel der Kölnischen Volkszeitung vom 27. April 1933 forderte Kaller, sich mit den Grundsätzen der Staatslehre Leos XIII., der Wirtschaftslehre von "Quadragesimo anno" und der päpstlichen Erziehungslehre vertraut zu machen und ihr Gedankengut in die Öffentlichkeit einzubringen.

1933 hatte Kaller eine Wahlempfehlung für das Zentrum gegeben, das heißt gegen die NSDAP. Die nach Abschluß des Reichskonkordats zeitweilige Änderung dieser klaren Abgrenzung geht auf eine Bitte von Nuntius Orsenigo zurück. Kaller fühlte sich später von ihm in die Irre geführt. Obwohl er noch in seinem Erlaß vom 31. März 1933 eindringlich vor den Irrlehren des Nationalsozialismus gewarnt hatte, zeigte sich in den ersten Monaten nach der Machtergreifung eine wachsende Bereitschaft zur Mitarbeit am neuen Staat. Am 30. April 1933 besuchte er eine Studentenversammlung in Königsberg. Dort ließ er durch den Studentenpfarrer den angeblichen Wunsch des Vatikans mitteilen, mit dem Nationalsozialismus Frieden zu schließen. Die seit April zunehmende Bereitschaft zur Zusammenarbeit mit den NS-Behörden erreichte im Juli ihren Höhepunkt. Gegen den Rat seines Generalvikars Marquardt sandte er anläßlich des Konkordatabschlusses ein begeistertes Telegramm an Gauleiter Koch. Dieser veröffentlichte es unverzüglich. Die Bevölkerung empfand das Telegramm als Huldigung an das Dritte Reich. Generalvikar Marquardt erklärte gegenüber der Zentrumszeitung, das Telegram des Bischofs sei gegen seinen Rat und gegen seinen Willen abgeschickt worden. In der Folgezeit häuften sich derartige Differenzen zwischen Bischof und Generalvikar hinsichtlich der Beurteilung des Nationalsozialismus. So kam es, daß im Reich zwischen 1933 und 1935 die Ansicht verbreitet wurde, Kaller arbeite in Ostdeutschland stärker mit den Nationalsozialisten zusammen als andere deutsche Bischöfe. Als ermländische Akademiker Kaller fragten, wie sie sich politisch verhalten sollten, empfahl er ihnen den Eintritt in die Partei, obwohl der Generalvikar zur Zurückhaltung mahnte. Ebenfalls gegen den Rat Marquardts begab sich der Bischof beim Besuch des Gauleiters in Frauenburg mit ihm auf den Marktplatz. Dort erklärte der neben ihm stehende Gauleiter Koch: "Der Bischof denkt im Grunde so wie ich!" Die Zuhörer sahen darin eine Empfehlung des Nationalsozialismus. Generalvikar Marquardt erhob schwere Vorwürfe gegen den Bischof und legte sein Amt nieder. Erst eindringliche Bitten Kallers konnten ihn dazu bewegen, seine Demission zurückzunehmen. Die in der Folge wach- senden kirchenpolitischen Spannungen führten fürderhin zu meist übereinstimmenden Beurteilungen bei neueintretenden Auseinandersetzungen.

Anfang 1940 interpretierte Kaller die erste Enzyklika Pius XII. auf den Priesterkonferenzen. Das von ihm geäußerte Mitgefühl mit den Polen erregte das äußerste Mißfallen der Gestapo. Wenngleich sich Bischof Kaller zu Beginn der NS-Herrschaft mehrmals mißverständlich geäußert hatte, kehrte er doch recht bald zu seinen vor der Machtergreifung geäußerten Warnungen zurück. In den Glaubenskundgebungen von 1934 und in seinen amtlichen Stellungnahmen war er so eindeutig, daß er in den Berichten des Gauleiters als "Staatsfeind" bezeichnet wurde.

Bereits 1940 erkannte Kaller die Notwendigkeit einer Neuorientierung der Seelsorge. Ihm wurden Gefahr wie auch Chance bei der Umschichtung der mitteleuropäischen Völker bewußt. Angesichts mancherorts spürbarer Zaghaftigkeit und Mutlosig-

keit vor einer drohenden seelsorgerlichen Katastrophe erklärte er: "Entscheidend ist allein der Auftrag, die Sendung Gottes; alles andere ist Gnade, wenn wir unsere Pflicht tun ... Es geht nicht um Gewinne und Machtpositionen. Wir dienen allein Dem, der kommt, um Seine Kirche aus der Zerstreuung zu sammeln." Immer wider schärfte er seinen Di-özesanen ein: "Ihr müßt diasporafähig werden, reif für die Bewährung Eures Glaubens ohne den Halt der Heimat und ihre Überlieferungen. Jeder Katholik in der Diaspora hat eine apostolische Aufgabe." Für Bischof Kaller war es ein großer Trost, als ihm kurz vor seinem Tod zwei westdeutsche Bischöfe sagten: "Die Ermländer fallen überall auf durch die Opfer, die sie für ihren Glauben bringen, noch mehr aber durch ihre apostolische Gesinnung."

Für Maximilian Kaller war es ein großer Schmerz, als etliche seiner Priester ins Gefängnis oder Konzentrationslager wanderten, wieder andere aus Ostdeutschland verbannt wurden. Zu ihnen war sein Verhältnis besonders eng. Er war der erste, der an die Gefängnistüren klopfte. Als die Heilsberger Priester vor ein Sondergericht kamen, unterbrach er eine Firmungsreise, war zwei Nächte auf der Bahn, um einen Tag lang in den Vorzimmern der Ministerien vergeblich auf die Möglichkeit zu warten, den Verhafteten irgendwie helfen zu können.

Ähnlich eng war des Bischofs Verhältnis zu den Priestern in der ostdeutschen Diaspora. Seine reiche seelsorgerliche Erfahrung ließ ihn die Problematik ihrer besonderen Situation erkennen. Als erster erkannte er die Not der "Wandernden Kirche". Er hatte diesen Begriff geprägt und baute einen entsprechenden Seelsorgedienst auf. Zu seiner Unterstützung erbat er von den westdeutschen Bischöfen Priester für den Osten.

Das Problem der Wandernden Kirche bestand darin, daß außerhalb des Ermlands die Katholiken in absoluter Minderheit waren, aber seelsorgerlicher Betreuung bedurften. Es kam dem Bischof darauf an, "aus Objekten bewahrender Hirtensorge Menschen zu erziehen, die auf Gottes und der Kirche Anruf selbst zu entscheiden fähig sind, Menschen der Entscheidung und der Entschiedenheit."

85 Prozent Ostdeutschlands mit 78 Städten, 4.665 Landgemeinden und 74 Gutsbezirken waren protestantisch. Vier Kreise hatten keinen einzigen katholischen Geistlichen, die Bevölkerung von zwei Kreisen hatte weniger als ein Prozent Katholiken.

Die Seelsorge der Wandernden Kirche lief den Zielen der NSDAP zuwider. Daher suchte sie diese zu unterbinden. So erließ sie das Verbot, in amtliche Unterlagen auf Melde- und Arbeitsämtern, in Lager- und Heimverwaltungen Einblick zu nehmen. Zunächst wurde die Verteilung religiösen Schrifttums behindert, später verboten. Statt dessen intensivierte sie die intensive Propaganda mit deutschgläubigem und NS-Weltanschauungsschrifttum. An Sonntagen wurden während der Gottesdienstzei-

ten Übungen und Dienst angesetzt. Lager- und Heimräume durften nicht für Gottesdienste zur Verfügung gestellt werden. Schließlich wurde das Verbot erlassen, in Uniform an Gottesdiensten teilzunehmen.

Da der Bischof die Jugend zur Christustreue mahnte, weil die Angriffe gegen die katholische Jugend zunahmen, wurden katholische Gruppen in Reden und Zeitun- gen mit schärfsten Vorwürfen wie "Lumpen", "Otterngezücht", "Trommler der Zwietracht", "Aasgeier deutscher Not" und so weiter bedacht. In Königsberg und Heilsberg proklamierte Obergebietsführer Ammerlahn in öf- fentlichen Kundgebungen sein Ziel, die katholische Jugend mit brutalem Vernichtungswillen zu zerschlagen.

Im Fastenhirtenbrief von 1937 ging Kaller auf die "haßerfüllte Gegnerschaft" ein, die den Untergang des Christentums verkündete. Im Geisteskampf fände die Kirche trotz Konkordats, trotz Hitlers Garantie-erklärung von 1933 keinen Schutz. In den Jugendlagern fordere man eine romfreie Kirche. Hirtenbriefe der Bischöfe dürften nicht in kirchlichen Amtsblättern erscheinen. Die vom Konkordat garantierte Konfessionsschule würge man mit Druck-mitteln ab. Da der bisherige Eingabenweg erfolglos wäre, bliebe nunmehr nur noch der Appell an die Öffentlichkeit:

"Die Tatsachen sind zu zahlreich und offenkundig, daß wir nach all den vergeblichen Versuchen, durch Eingaben an die Behörden der Ge-wissensnot der Gläubigen zu helfen, an die Öffentlichkeit appellieren müs-

sen." Dieses Hirtenwort durfte nicht verlesen werden, obwohl nur eine einzige Stelle spezielle Vorkommnisse in Ostdeutschland vage andeutete. Die Nazis bezeichneten den ganzen Hirtenbrief als "Auflehnung gegen den Staat." Kaller hatte 20.000 Exemplare dieses Hirtenbriefs drucken lassen. Die Landräte mußten die Beschlagnahme durch Polizei und Gendarmerie durchführen. Kaller beschwerte sich ohne Erfolg beim Reichskirchenminister. Die Beschlagnahme des kirchlichen Amtsblattes durch die Polizei und das Verbot, den Hirtenbrief verlesen zu lassen, sei ein klarer Verstoß gegen Artikel 4, Absatz 2 des Reichskonkordats, das freie Veröffentlichungen kirchlicher Amtsstellen garantiere. Die Gläubigen fragten sich, warum die Kirche zu den Angriffen schweige: "Wenn aber ein Bischof die Angriffe auf das Christentum und Kirche abwehrt und die Gläubigen zur Treue mahnt, dann wird die Polizei aufgeboten, ein kirchliches Amtsblatt beschlagnahmt und dem Bischof das Wort verboten." Auf dem Hintergrund dieser Vorgänge stellt sich die Frage, was kirchliche Proteste gegen die Judenverfolgung bewirkt hätten, wenn schon die völkerrechtlich ga-rantierten Bestimmungen des Konkordats mit Füßen getreten wurden. Daß die katholische Kirche den verfolgten Juden insgeheim geholfen hat und viele vor der Ermordung bewahren konnte, steht auf einem anderen Blatt und ist hier nicht zu erörtern.

1942 ordnete Kaller Fürbitten in Kriegszeit nach der heiligen Messe an: "Allmächtiger Gott, wir bitten Dich, nimm unser Vaterland in Deinen besonderen Schutz. Erleuchte seine Lenker mit dem Licht Deiner Weisheit, damit sie einsehen, was zur wahren Wohlfahrt des Volkes dient, und das, was recht ist, in Deiner Kraft vollbringen. Schütze alle Angehörigen unserer Wehrmacht und erhalte sie in Deiner Gnade. Laß ihre Waffen siegreich sein im Kampf gegen den gottlosen Bolschewismus und bewahre unser Vaterland vor dem Unglauben und seinen verderblichen Anfällen, vor Hunger und Not und schenke uns bald die Sicherheit des Friedens in Gerechtigkeit und Freiheit durch Christus unseren Herrn."

Am 7. Februar 1945 wurde Bischof Kaller von der Gestapo aus dem Keller seines Hauses, das bereits unter russischem Beschuß lag, verhaftet, nach Danzig gebracht und von dort des Landes verwiesen. Die Beamten, die ihn "retten" wollten, vermochte er nicht zu überzeugen, daß sie ihm kein größeres Unrecht antun könnten, als ihn von seinem Bistum, seinen Priestern und Gläubigen zu trennen, denen er gerade in der größten Not zu unverbrüchlicher Treue verpflichtet sei. Von Danzig begab sich Kaller nach Halle, wo er das Ende des Krieges abwartete. Kaum waren die Kampfhandlungen beendet, machte er sich mit zwei Koffern auf einem Handwägelchen, einem Brotbeutel und einem Rucksack auf und kehrte in dreiwöchiger, unsäglich harter und gefährlicher Reise ins Ermland zurück. Dort wurde er durch den polnischen Primas Hlond, der 1939 aus Polen geflüchtet war, unter Vorspiegelung falscher Tatsachen gezwungen, auf sein Bistum zu verzichten, und erneut in die Verbannung getrieben. Müde und krank kehrte er nach Halle zurück. Mit bescheidenen Mitteln bemühte er sich um seine ermländischen Priester und teilte mit ihnen die Spenden, die er erhielt. Er legte eine Suchkartei seiner vertriebenen Diözesanen an, die bald erheblich anwuchs. Wenngleich er emsig tätig war, sehnte er sich doch nach einem amtlichen Auftrag. Da dies in Deutschland nicht möglich war, bat er den Papst, ihn als einfachen Lagerpfarrer zu den deutschen Kriegsgefangenen nach Frankreich zu schicken. Jedoch der Papst lehnte dieses Angebot ab. Statt dessen ernannte er ihn mit Schreiben vom 24. Juni 1946 zum "Päpstlichen Sonderbeauftragten für die heimatvertriebenen Deutschen": "Sie kennen Klerus und Gläubige des katholischen Ostens von ihrer schlesischen Heimat her wie aus ihrer jahrzehntelangen Wirksamkeit in Berlin, in der Prälatur Schneidemühl und in der Diözese Ermland. Dies und Ihr erprobter Seeleneifer in Seelsorgefragen, Ihre guten Beziehungen zu den anderen deutschen Oberhirten und Ihre Erfahrungen in den Arbeiten der Fuldaer Bischofskonferenz lassen Sie dafür besonders geeignet erscheinen ..."

Als erster deutscher Bischof besuchte Kaller das Priesterseminar hinter Stacheldraht des Abbé Stock in Chartres. Im November 46 berichtete er Pius XII., der ihn aus seiner Berliner Zeit schätzte, vom Leid der Heimatvertriebenen. 1947 predigte er im Sommer auf zentralen Wallfahrtsgottesdiensten in Werl und Vierzehnheiligen. Obwohl ihm in Frankfurt eine Villa als Wohn- und Amtssitz angeboten wurde, blieb er in einer armseligen Mietwohnung.

Am 10. Juli 1947 starb er plötzlich an Herzversagen in Frankfurt unmittelbar vor dem beabsichtigten Gottesdienst für die Vertriebenen. Er fand seine letzte Ruhestätte in Königstein/Taunus. Der Päpstliche Delegat Erzbischof Muench geleitete ihn zu Grabe, gemeinsam mit den deutschen Metropoliten, an ihrer Spitze Kardinal Frings. Daß der Wunsch nach Seligsprechung von deutscher und polnischer Seite ausging, dürfte ein Beitrag zur Versöhnung zwischen Deutschen und Polen sein. Bei einem Gedenkgottes-

dienst zu Ehren des Verstorbenen 1997 bezeichnete ihn der gegenwärtige Nuntius, Erzbischof Lajolo, als einen "großen Bischof von unbändiger Aktivität".

Nach ihm war Kaller 1938 "nach Clemens von Galen der meistgehaßte katholische Kirchenführer". Die Heimatvertriebenen bewahren ihm ein ehrendes Andenken und betrachten ihn zu Recht als leuchtendes Vorbild der treuen Pflichterfüllung in schwerer Zeit.

Für die grosse soziale, moralische und religiöse Not hatte er einen wachen Blick

Bereits vor der "Machtergreifung" der NSDAP nahm er kritisch Stellung zum Nationalsozialismus Bischof Maximilian Kaller: Ein leuchtendes Vorbild treuer Pflichterfüllung in schwerer Zeit Foto: Visitator Ermland

Nach Flucht und Vertreibung ernannte ihn Pius XII. zum "Päpstlichen Sonderbeauftragten für die heimatvertriebenen Deutschen"

Laut dem gegenwärtigen Nuntius Lajolo war Kaller 1938 "nach Clemens von Galen der meistgehasste katholische Kirchenführer"

Bischof Kaller in seiner Frankfurter Notwohnung: Nach seinem Verzicht auf sein Bistum als Päpstlicher Sonderbeauftragter für die heimatvertriebenen Deutschen

 
     
     
 
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