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Autonomiebewegung in der Karpato-Ukraine: Renaissance der Ruthenen

 
     
 
Ein Blick auf die ethnische Landkarte Ostmitteleuropas kann zur Entdeckungsreis werden. Neben bekannteren Völkerschaften wie den Kaschuben in Westpreußen oder den sic als Ungarn verstehenden Szeklern in Siebenbürgen tauchen exotisch anmutende Namen auf. S haben sich im Baltikum nach dem Zerfall der Sowjetunion die Reste der fast ausgestorbene Liven organisiert, und in Polen konnten die Goralen in der Hohen Tatra durch den Tourismu bescheidenen Wohlstand und neues kulturelles Selbstbewußtsein gewinnen.

Politisch bedeutsamer ist die nach dem Umbruch von 1989 eingesetzte Autonomiebewegun der Ruthenen in der Karpato-Ukraine. Diese Vielvölkerregion westlich des Karpatenbogen liegt unmittelbar an den Grenzen zur Slowakei, zu Ungarn und Rumänien. Im 20. Jahrhunder erlebte sie eine bewegte Geschichte.

Bis zum Ende des Ersten Weltkrieg
es war das auch als Transkarpatien bekannte Gebie Teil der Donaumonarchie, anschließend fiel sein größter Teil an den Kunststaa Tschechoslowakei (dort bekam der Landstrich um Munkatsch im Oktober 1938 kurzzeitig voll Autonomie), dann trotz Unabhängigkeitserklärung im März 1939 an Ungarn und 194 schließlich an die Sowjet-Ukraine.

Bereits zu Zeiten der 1848er Revolution vertraten einige Wortführer de "Ruthenen" (1900 waren es laut Volkszählung 540 000) erfolglos die Idee eine autonomen Region, in der sie im Rahmen des Habsburgerreiches zusammengefaßt sein wollten Viele der meist in ärmlichen Verhältnissen lebenden Ruthenen wanderten in der Folgezei nach Amerika aus oder zogen in die großen Städte, wo sie ihre Muttersprache verloren un sich völlig assimilierten.

In der k. u. k-Zeit war es für diese Ostslawen mit traditionell überwiegen griechisch-katholischer Konfession, die sich selbst als "Russinen" (rusyn bezeichnen, nicht möglich, sich der ukrainischen Nationalität zuzuorden. Dies gal ebenso für das Jahr 1941, als bei einem ungarischen Zensus in Transkarpatien 544 00 "Russinen" registriert wurden. Bei den sowjetischen Volkszählungen war dan umgekehrt ein Bekenntnis als Ruthene nicht vorgesehen, so daß sich beispielsweise 198 fast eine Million Bewohner der Karpato-Ukraine als "Ukrainer" definierten.

Eine klare Unterscheidung zwischer ruthenischer und ukrainischer Identität is unmöglich. Dennoch ist es falsch, wenn in Lexika der Begriff "Ruthene" nur als veraltete Bezeichnung für einen Ukrainer auftaucht. Alleiniger Maßstab muß da Selbstverständnis der Menschen sein.

Als Umgangssprache verwenden die meisten einen ukrainisch-ostslowakischen Mischdialekt teilweise mit polnischen und ungarischen Lehnwörtern. Für die Schriftsprache ist da kyrillische Alphabet in Gebrauch.

Zahlenangaben von Exil-Ruthenen wie die von Paul R. Magocsi, dem Vorsitzenden de "Carpatho-Rusyn Research Center" in den USA, sind ebenso mit Vorsicht zu genießen wie jene des ukrainischen Staates, der mit sehr niedrigen Schätzungen die Autonomiebestrebungen marginalisieren will. Margocsi spricht von 650 000 in Nordamerik lebenden Ruthenen sowie insgesamt 900 000 im östlichen Mitteleuropa, von denen wiederu 650 000 auf ukrainischem Gebiet zu Hause seien.

Mehr Klarheit wird es erst geben, wenn die angekündigte Zulassung einer Kategori "Rusyn" bei der ukrainischen Volkszählung im Mai 2001 wirklich umgesetzt wird Einstweilen steht nur fest, daß die neue ruthenische Kultur- und Autonomiebewegung in letzten Jahrzehnt beachtliche Erfolge verbuchen konnte. Wie diese aussehen und welch Perspektiven es angesichts der geopolitischen Rahmenbedingungen in der Karpato-Ukrain gibt, darüber informierte Stefan Troebst in der Juni-Ausgabe der Zeitschrif "Osteuropa".

Bereits 1990 entstand demnach in Uschgorod eine "Gesellschaft de Karpaten-Russinen". Am 1. Dezember 1991 wurde in Transkarpatien gleichzeitig mit de Referendum über die Unabhängigkeit der Ukraine sowie den Präsidentschaftswahlen nac dem Interesse an einer regionalen Selbstverwaltung gefragt. Bei einer Wahlbeteiligung vo 83 Prozent stimmten 78 Prozent diesem Anliegen zu. Des weiteren gab es ein klares Votu für einen "nationalen Distrikt" der im Bezirk Berehovo lebenden Ungarn. Dere Zahl in der Karpato-Ukraine belief sich 1989 offiziell auf knapp 156 000 Personen.

Doch beide Meinungsbekundungen wurden von der Regierung nicht umgesetzt. Die ruthenischen und ungarischen Aktivisten sahen sich veranlaßt, durch die Ausrufung eine "Provisorischen Regierung der Subkarpatischen Rus" am 19. Mai 1993 ihre Wünsch zu unterstreichen. Daraufhin verstärkten die Mächtigen in Kiew den politischen Druck un die Assimilationsversuche im Kultur- und Bildungsbereich.

Bis heute sieht es nicht danach aus, als könnte eine Autonomie in nächster Zei Wirklichkeit werden. Größtes Hindernis dürfte der labile Charakter de wiedererstandenen ukrainischen Nation sein, die in den Augen der maßgeblichen Politike nur durch eine zentralistische Politik zusammengehalten werden kann. Regional Selbstverwaltungsrechte erscheinen selbst dann als erste Schritte zur Abspaltung, wenn e zu solchen Ängsten keinerlei Anlaß gibt.

Andererseits hat sich Kiew international zum Minderheitenschutz verpflichtet. Vor alle aber hält die ruthenische Bewegung, deren Hochburgen auf dem Lande und an de Universität Uschgorod liegen, nach wie vor mehrere Trümpfe in der Hand. An erster Stell sind dies die vor Ort aufgebaute politische Infrastruktur mit eigenen Publikationen un einer stark beachteten Internet-Homepage (www.carpatho-rusyn. org.) sowie die intensiv Zusammenarbeit mit ruthenischen Gemeinschaften in allen Erdteilen. Seit 1991 gibt es soga einen "Weltkoordinationsrat der Russinen".

Angehörige dieses Volkes leben heute vor allem in der Slowakei (de tschechoslowakische Zensus von 1991 ergab eine Zahl von 30 784) und in den Beskiden in Südost-Polen. Von dort waren die sogenannten "Lemken" am Ende des Zweite Weltkrieges deportiert worden, und nur einige Tausend konnten heimkehren. Kleinere Gruppe sind außerdem in Tschechien, Ungarn, Rumänien und der zu Jugoslawien gehörige Wojwodina zu finden.

Von besonderem intellektuellen Einfluß ist die Diaspora in den Vereinigten Staaten die die Traditionen der zwischen 1880 und 1914 ausgewanderten ungefähr 225 000 Ruthene fortsetzt. Schwerpunkte der gemeinsamen Arbeit sind der Kampf für die Anerkennung als eigene Nationalität und die Entwicklung einer einheitlichen Schriftsprache.

Eine Art Joker der russinischen Aktivisten in der Karpato-Ukraine ist die Aussicht au die – allerdings noch vage – "Euroregion Karpaten". Immerhin existier schon jetzt ein "Fund for the Development oft the Carpathian Euroregion" mi Regionalbüros in Uschgorod, in der Slowakei, in Ungarn, Rumänien und Polen.

Stefan Troebst zeigt vor dem Hintergrund solcher Hoffnungen ein denkbares Szenariu auf: "Die wirtschaftlichen Möglichkeiten, die die Nähe zur Slowakei, zu Rumänie und vor allem zu den EU-Aspiranten Ungarn und Polen bieten, werden von den schwerfällige Staatsbetrieben und staatlichen Behörden der Region kaum, von den dortige Privatunternehmen um so mehr genutzt.

Diese wiederum sympathisieren aktiv mit den russinisch-ungarischen Autonomisten un streben zunehmend öffentliche Ämter an. Eine Schwerpunktverlagerung innerhalb de transkarpatischen Autonomiebewegung weg von ethnonationalen Begründungen und hin zu grenzüberschreitenden Wirtschaftsbeziehungen – mit der ungarischen Minderheit als ‚lebender Brücke‘ zu Ungarn – zeichnet sich ab."

Die naturräumliche Lage des mit dem übrigen ukrainischen Staatsgebiet nur durc einige Bergpässe verbundenen Landes macht eine Westausrichtung der Ökonomie auf Daue unvermeidbar. Schon beim Wiederaufbau der durch die Überschwemmungen der Theiß in November 1998 verwüsteten Orte hat sich gezeigt, welch hohen Stellenwert die Verbindunge zu Ungarn besitzen. Spendensammlungen und Soforthilfen aus Budapest in Höhe von 10 Millionen Forint (ca. 770 000 Mark) halfen entscheidend mit, die Folgen der Katastrophe zu mildern
 
     
     
 
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