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Baden-Württemberg: Macht der Staat seine Nazis selbst?

 
     
 
Erst vor kurzem war Bernd M. aufgegangen, daß Politik vielleicht gar nicht so langweilig ist, wie er bislang gedacht hatte. Kaum 16 Jahre alt begann er nun, sich umzuschauen – und siehe da, die Sache war richtig spannend. So kreuzte Bernd von Diskussionsversanstaltung zu Diskussionsversanstaltung, traf nette und weniger nette, interessante und weniger interessante Leute.

Eines Tages kam er so ins Gespräch mit einem jungen Mann, "damals so Mitte 20", der es offenbar richtig drauf hatte, und was noch besser war, jener "coole Typ" kam auch noch aus derselben Gegend wie Bernd M.

Axel, wie sich der neue Bekannte von Bernd nannte, war äußerlich eher unscheinbar. Doch das endlose Gelaber auf den Veranstaltungen, die Bernd M. bislang besucht hatte, wurde ihm irgendwann doch zu langweilig. Mitten in der Pubertät verlangte es ihn, alterstypisch, nach "Äktschn".

Axel bliebt das natürlich nicht verborgen. Ob er nicht mal mitkommen wolle zu einer richtigen politischen Schulungsgruppe, wo auch was passiert? – Das mußte sich Bernd nicht zweimal fragen lassen.

Axels Gruppe nannte sich "Vorfeldorganisation", außerdem war da noch eine "Kameradschaft
" im Umfeld der Fangemeinde des Karlsruher SC. Fußball und der KSC waren ja ohnehin Bernds Welt. Alles paßte toll zusammen.

Die "Vorfeld"-Treffen waren wie Krimi. Wie man sich bei Polizei-Verhören, Razzien und ähnlichem verhalten soll, referierte Axel vor seinen gebannt lauschenden Anhängern. Die 13- bis 16jährigen waren maßlos entzückt, wie wichtig sie auf einmal geworden waren. So wichtig, daß sogar der Staat hinter ihnen her ist! Genial! Und das alles durch Axel.

Natürlich mußte jetzt auch richtig "gekämpft" werden gegen die Linken. Axel, wer sonst, wußte auch gleich wie. Etwa Schlagstöcke dabei haben, sei wichtig. Und Messer, um den Linken die Autoreifen zu zerstechen. Außerdem muß der "Feind" gründlich ausgespäht werden, Autonummern, Adressen und so. Abenteurer, Geheimagent und Kämpfer in einem, unscheinbare Pickelgesichter mutierten über Nacht zu richtigen Helden, Axel sei Dank.

Axel sorgte unterdessen auch dafür, daß der Spaß nicht zu kurz kam. Geile Feten waren regelmäßig angesagt, und das Bier ging nie aus. Axel war nicht knickerig. Und dann ging es auch noch zu den "Oi-Konzerten" einschlägiger Skinhead-Gruppen. Da gab es dann alles auf einmal: Spaß, Lärm, Bier und Bürgerschreck. Einfach stark.

Ernüchterung trat ein, als die neuen Helden tatsächlich in eine Polizeirazzia gerieten. Die meisten seilten jetzt geräuschlos ab.

Doch dann kam der Knall: "Axel Reichert", so der angebliche Vollname des Anführers, ist gar nicht Axel Reichert, sondern ein "Verdeckter Ermittler" der Polizei, sein Name ein Deckname. Der ehemalige baden-württembergische Republikaner-Landtagsabgeordnete Bernhard Amann soll ihn verpfiffen haben. "Stern", "Kennzeichen D" und die "SDR-Landesschau" fielen über Amann her, das Amtsgericht Karlsruhe ermittelt gegen Amann wegen des Verrats eines Dienstgeheimnisses – wie "Reichert" ist auch Amann Polizeibeamter.

Bernd M. war die Sache allerdings schon vorher spanisch vorgekommen. "Ich habe zu spät gemerkt, was für Inhalte dieser Axel uns da eigentlich auftischte, diese Verherrlichung des NS-Regimes, die antidemokratischen und antisemitischen Sprüche – in dem Maße, wie ich politisch selbst zu denken anfing, widerte mich der Kram an." Viele andere auch, etliche seien heute erwachsener geworden, in die CDU gegangen und grausen sich bei der Erinnerungen an den "ganzen Quatsch". Unter den Jugendlichen, die "Axel" vorübergehend ins Netz gegangen waren, ist auch der heutige junge Republikaner Markus Burkhard. Er wird jetzt als Synonym dafür herangezogen, daß die eben doch "rechtsradikal" seien. War das vielleicht "Reicherts" Auftrag? Man verpaßt ahnungslosen 13- bis 16jährigen eine "belastete Vergangenheit" – und sobald sich einer von ihnen später in einer mißliebigen Partei engagieren, holt man die (selbstinszenierte) Jugendsünde hervor und haut sie ihnen um die Ohren.

Die Republikaner im Stuttgarter Landtag sehen hier einen Fall von "Beschaffungsextremismus". "Reichert" habe zu Straftaten ermutigt. In einer Fragestunde des Landtages bombardierten die Reps die Landesregierung mit peinlichen Anfragen, aus denen sich der zuständige Ministerialdirektor Eckert nur mühsam herauszuwinden suchte. Jetzt sind Medien und etablierte Parteien bemüht, aus der "Affäre Reichert" einen "Fall Amann" zu machen. "Reichert" wird zum Helden aufgebaut, der nun akut bedroht sei. Bernhard Amann zufolge aber hat "Reichert" selbst in der Polizeikantine mit seinem Auftrag geprahlt, Jugendliche im NS-Sinne zu schulen und dann bei den Republikanern einzuschleusen. Außerdem hatte bereits der "Spiegel" über "Reichert" im November 1995 geschrieben, lange bevor Amann auf den Fall aufmerksam wurde.

Was bleibt, ist die ungeheuerliche Tatsache, daß die Sicherheitskräfte unter dem damaligen Stuttgarter Innenminister Frieder Birzele (SPD) offenbar eigenhändig eine scheinbare Neonazi-Gruppe aufbauen ließen und so Jugendliche auf die Leimrute von falscher Kameraderie und wüsten ideologischen Versatzstücken des Hitlerismus zu locken versuchten. Und, wenn der Verdacht stimmt, auch nicht davor zurückschreckten, die jungen Menschen zu Straftaten aufzustacheln.

 
 
     
     
 
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