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Das Gebot der Stunde - Klage gegen Völkermord

 
     
 
Die Frankfurter Allgemeine Zeitung brachte am 21. Januar 2004 einen ganzseitigen Beitrag von Prof. Norman M. Naimark, der die Geschichte Osteuropas an der Stanford University, Kalifornien, lehrt. Er hatte einen Vortrag vor der Historischen Kommission beim Parteivorstand der SPD mit dem Titel "Strategische Studien" gehalten. So verdienstvoll die Schilderung der "mit extremer Brutalität und Gewalt" erfolgten Deportationen aus ost- und sudetendeutschen Gebiete
n ist, ist eine Reihe von Irrtü-mern in dem ganzseitigen Zeitungsbeitrag enthalten. So meint der Verfasser, daß die zwei Millionen Vertreibungsopfer auf einer Schätzung beruhen, obwohl offizielle Daten seitens des Statistischen Bundesamtes schon in dessen Jahrbuch 1950 veröffentlicht wurden. Es gab kein "annektiertes" Sudetenland, sondern es wurde eine völkerrechtskonforme Gebietsübertragung aufgrund des britisch/ französisch-tschechoslowakischen Abkommens vom 19./21. September 1938 vorgenommen (durch das nachfolgende Münchner Abkommen vom 29. September 1938 wurden nur "unter Berücksichtigung des Abkommens" [vom 19./21. 9.] "Modalitäten dieser Abtretung" festgelegt).

Zur angeblichen Massenvertreibung von Tschechen ist dem Vortragenden die Lektüre von F. P. Habel "Eine politische Legende" (München 1996) zu empfehlen. Der Autor erwähnt in keiner Weise den deutsch-tschechoslowakischen Vertrag über Staatsangehörigkeits- und Optionsfragen vom 30. November 1938, der interessanterweise bisher überhaupt keine inhaltliche Kritik gefunden hat.

Zentrale Aussage von Prof. Naimark ist aber die Behauptung, daß die Vertreibung der Deutschen aus ihren Siedlungsgebieten in Mittel- und Osteuropa nicht mit der Absicht des Völkermordes geschah. Vor allem in "Polen und der Tschechoslowakei" - tatsächlich meint der Autor nach dem Stand von 1945 reichsdeutsche Gebiete - soll die Vertreibung alle Elemente einer ethnischen Säuberung aufgewiesen haben, die nicht mit Völkermord gleichzusetzen sei. Hier werden die "strategischen Argumente" des Beitrags deutlich. Wie nachfolgend belegt wird, ist die Schlußfolgerung von Prof. Naimark falsch. Sie ist aber auch höchst gefährlich, weil den Vertriebenen - und den zu ihrer Vertretung berufenen Vertriebenenverbänden/Freundeskreisen - eine wesentliche Rechtsposition genommen würde. Neben den Eigentumsansprüchen kommt der rechtlichen Verfolgung des unverjährbaren Verbrechens des Völkermordes eine zentrale Bedeutung zu. Im folgenden wird dies anhand einiger Auszüge aus maßgeblichen Rechtsgutachten belegt.

In seinem Gutachten über die Sudetendeutschen Fragen (Wien 1991) wertet der österreichische Völkerrechtler Prof. Felix Ermacora die Vertreibung der Sudetendeutschen als "Völkermord und Verbrechen gegen die Menschlichkeit, die nicht verjährbar sind". Nach Ermacora, der langjähriges Mitglied der UN-Menschenrechtskommission war, müssen die "Vorgänge der Vertreibung und aller ihrer Folgen nach dem Rechtsstand der Epoche und erst recht heute als Völkermord und Verbrechen gegen die Menschlichkeit angesehen werden, die Vorgänge als ,barbarisch ".

Seit den Massakern im ehemaligen Jugoslawien hat sich "Ethnische Säuberung" für Vertreibung eingebürgert. Beide Begriffe sind identisch. Im Mai 2000 hat eine Ex- pertentagung der Hanns-Seidel-Stiftung in Wildbach Kreuth eine Erklärung "Gegen Völkermord und Vertreibung" verabschiedet, an der unter anderem der US-amerikanische Völkerrechtler Prof. Alfred M. de Zayas mitwirkte. Darin heißt es: "Die Vertreibung ganzer Volksgruppen ist ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit und erfüllt den Tatbestand des Völkermordes, wenn dadurch die durch das Volkstum bestimmte Gruppe zerstört werden sollte." Es gibt leider Stimmen, die eine Relativierung betreiben, wenn die ethnische Volksgruppe im Mutterland Aufnahme gefunden habe (Prof. Tomuschat).

Nach Prof. Dieter Blumenwitz schafft die Rechtsprechung zu Straftaten, die bei der ethnischen Säuberung auf den Territorien von Ex-Jugoslawien verübt wurden, nunmehr Klarheit über dieses Problem. In seiner Gutachtlichen Stellungnahme vom 15. Mai 2002 zu den "Czechoslovak Presidential Decrees of 1940-1945" heißt es: "Die deutschen Strafgerichte vertreten eindeutig den Standpunkt, daß die Bestrafung des Völkermordes dem Schutz der sozialen Existenz der verfolgten nationalen, rassischen, ethnischen oder religiösen Gruppe dient. Völkermord setzt demgemäß nicht zwingend voraus, daß der oder die Täter die körperliche Vernichtung, also die physische Zerstörung, anstreben; es reicht aus, wenn der Täter in der Absicht handelt, die Gruppe in ihrer sozialen Existenz (als solche), als soziale Einheit in ihrer Besonderheit und Eigenart und in ihrem Zusammengehörigkeitsgefühl zu zerstören ... Das Bundesverfassungsgericht bestätigte in seinem Beschluß vom 12. Dezember 2002 die Rechtssprechung der Fachgerichte ... die Auslegung des Begriffs des Völkermordes durch deutsche Gerichte steht im Einklang mit der internationalen Entwicklung. Die systematische Vertreibung aus den angestammten Siedlungsgebieten einer Gruppe ist eine tatbestandsmäßige Völkermordhandlung gem. Art. 6 lit. c des Römischen Statuts eines Internationalen Strafgerichtshofs ... Die Generalversammlung der Vereinten Nationen subsumierte die ethnische Säuberung unter dem Tatbestand des Völkermor-des."

Prof. Blumenwitz kommt im selben Gutachten zu der Feststellung: "Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Völkermord eröffnen in erster Linie die individuelle strafrechtliche Verantwortung von Privatpersonen und Amtsträgern. Als ,internationale Verbrechen (international crime) begründen sie auch die Staatenverantwortlichkeit; kein Staat ist befugt, die tatsächlichen Folgen einer Völkermordaktion anzuerkennen; es besteht die Verpflichtung aller Staaten, alles zu tun, damit der rechtmäßige Zustand wiederhergestellt wird."
 
     
     
 
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