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Den Kampf mit Deutschland beginnen

 
     
 
Nach dem deutschen Historikerstreit der russische, aber der läuft wesentlich anders ab als deutscherseits gewohnt. In seinem neuesten Buch gibt Rußlandkenner Meier, leidenschaftlich und doch glaubwürdig, ein seh überzeugendes Bild vom jetzigen Stand der Forschung und von der in diesem Zusammenhan damit geführten Diskussion in Rußland.

Hitlerdeutschland hat die friedliebende Sowjetunion überfallen. Ein Stehsatz de antifaschistische
n Zeitgeschichtsschreibung. Hier: der von Haus aus verbrecherisch Nationalsozialismus, dort: der im Ansatz gutmeinende, menschheitsbeglückende Kommunismus Letzteres hörte man gerade erst wieder nach Erscheinen des "Schwarzbuchs de Kommunismus". Auch und besonders in Deutschland. Die Geschichte des II. Weltkriege wird in Deutschland seit Jahrzehnten nur mittelbar zum Nationalsozialismus mit Hitler als Zentralfigur gesehen. Jeder Historiker, der aus dem Schatten Hitlers zu treten versucht wird sofort als Revisionist gebrandmarkt. Aussagen von dieser Seite werden sofor moralisch gewertet und auf ihren ideologiepolitischen Gehalt geprüft. Und dann und wan wurde auch schon einmal versucht, Geschichte mittels Gerichtsurteil zu schreiben. Nich Historisierung, sondern Instrumentalisierung der Geschichte scheint das Bestreben de deutschen Historikerelite nach wie vor zu sein. Quellenforschung, vergleichend Quellenkritik und -bewertung sowie Zusammenschau des aus den Quellen sich ergebende Geschehens – ganz unter dem Gesichtspunkt der Belastung Deutschlands – werde von einigen Historikern zu monopolisieren versucht. Deren eigene politische Einstellun wird mit der vorgeblich unumstößlichen Wahrheit gleichgesetzt, damit deren meis antifaschistische Quelle nicht versiegen möge, werden zweifelhafte Nebenquelle hinzugeführt. Weil nicht sein kann, was nicht sein darf: Die Vergleichbarkeit de NS-Verbrechen. Der darüber oder deswegen geführte Historikerstreit, bei dem die Woge scheinheiliger Empörung ziemlich hoch gingen, ist noch gut in Erinnerung.

Völlig anders läuft die Diskussion in Rußland, sehr zum Mißfallen hiesige Zeitgeschichtler. Zwecks Schadensbegrenzung wird deshalb von deutscher Antifa-Seite wiede scharf quergeschossen: Im Visier unserer vergangenheitsbewältigenden Experten ist diese Mal die russische Geschichtsrevision, derzufolge Hitler mit seinem "Unternehme Barbarossa" Stalins Angriffspläne nur zuvorkommen wollte. Während sich die etablierte deutsche Geschichtsschreibung in dieser Frage vornehmlich auf zweifelhaft sowjetische Aufzeichnungen vor 1989 stützt, hat der Zusammenbruch der Sowjetunion zu Öffnung eines Teils von bis dahin unzugänglichen Quellen (insgesamt fast 14 Millione Dokumente) geführt, die einen etwas anderen Blick auf die damaligen Ereignisse un handelnden Personen freigeben. Dies betrifft nicht nur den deutsch-russischen Vertrag vo 23. August 1939, den sogenannten Hitler-Stalin-Pakt, sondern auch die Kriegsvorbereitunge auf beiden Seiten bis hin zum Krieg, und davon nicht ganz abstrahiert auch das Bild de beiden beteiligten Armeen. Von entscheidender Bedeutung bleibt dabei natürlich sowohl de historische wie der ideologische und politische Hintergrund, vor dem sich dieses für da russische wie das deutsche Volk verhängnisvolle und blutige Weltkriegsdrama abspielte.

Für die Völker der Sowjetunion hatte das Verhängnis allerdings bedeutend frühe begonnen. Es kann nicht mehr geleugnet werden, daß Stalin von Anfang an, nämlich sei 1918, "offenen, massenhaften und systematischen Terror" als ein Mittel de Politik begriff und dafür vehement eintrat. Bereits zum genannten Zeitpunkt trat er fü die Liquidierung von "mindestens" zehn Millionen Russen ein, der planmäßi durchgeführte Massenmord an den "Kulaken" hat sich tief in das Gedächtnis de Volkes eingegraben. Sollten unsere antifaschistischen, das Sowjetsystem glorifizierende Gutmenschen im Westen, von diesen und anderen Verbrechen tatsächlich erst siebe Jahrzehnte später erfahren haben?

Zwecks Schließung möglicher Bildungslücken kann allen linken Freunden ein weitere Buch zu diesem Thema wärmstens empfohlen werden: Nach Joachim Hoffmanns hefti angefeindetem Grundsatzwerk über "Stalins Vernichtungskrieg 1941–1945" erschienen im Verlag für Wehrwissenschaften, hat sich jetzt Hans Müller dem russischen Historikerstreits sowie der damit zusammenhängenden Themen angenommen. Gewi auch angeregt durch "die Flut revisionistischer Veröffentlichungen" in Rußland, gibt der engagierte Rußlandexperte einen Überblick über den Stand de bisherigen Forschungsergebnisse. Für gezüchtigte Ohren deutscher Linksintellektuelle Unerhörtes geschieht im Osten: Nicht nur wird offen, ohne heiklen Themen aus dem Weg zu gehen, diskutiert, sondern auch so manches lieb gewordene Klischeebild ohne Rücksicht au innere oder äußere Befindlichkeiten zertrümmert. Ohne jedoch Partisanenerschießunge oder Razzien durch deutsche Truppenteile zu verschweigen, werden "die von de sowjetischen Propaganda verbreiteten Darstellungen des Besatzungsregimes der deutsche Wehrmacht, die nach ihrem tatsächlichen Charakter ,nichts’ mit Greueltaten un Verbrechen zu tun hatte", zu den "verlogensten Themen der traditionelle sowjetischen Geschichtsschreibung über den Zweiten Weltkrieg" gerechnet. Gewi starker Tobak auch für irrlichternde Genossen eines Hamburger Privatinstituts. Müller charakterisiert den russischen Revisionismus und den Historikerstreit in Rußlan folgendermaßen: Worüber auch immer diskutiert werde, über Opferzahlen Präventivkriegsthese, Stalins Terrorherrschaft oder die Rote Armee, der Diskurs finde in Unterschied zu Deutschland im "herrschaftsfreien Raum statt, ohne Einmischung vo Staat, Regierung, Justiz". Es seien sich alle einig, "daß es für die historische Forschung und die öffentliche Debatte keine Tabus geben dürfe, kein Denkblockaden, keine Gedankenverbote, keine juristischen Grenzen de Geschichtsinterpretation und auch kein Odium des Anrüchigen". Dabei sind, auc wieder anders als in Deutschland (oder Österreich), die Henker von damals, soweit nich pensioniert, immer noch in Amt und Würden. Und doch: "Gefangene aus politischen weltanschaulichen, religiösen Motiven – im Rußland von heute unvorstellbar".

Einen wichtigen Aspekt des russischen Revisionismus stellt die Rehabilitierung dar Waren schon unter Chruschtschow zwischen 1956 und 1961 fast 740 000 Opfer rehabilitier worden, so kam es unter Gorbatschow erneut zu mehr als 800 000 Rehabilitierungen. Sei 1991 wurden 2,6 Millionen Anträge auf Rehabilitierung gestellt, nach russische Recherchen leben heute in Rußland "rund 60 Millionen Menschen, deren Angehörig verhaftet, interniert oder erschossen worden sind". In den 500 Arbeitsvernichtungslagern vollendete sich bei Hunger und bis zu minus 50 Grad da Schicksal auch für hunderttausende deutsche Soldaten und Zivilverschleppte, insgesam wurde über mehr als vier Millionen, darunter auch Frauen und Kinder, penibel Buc geführt. Rund 30 000 deutsche Kriegsgefangene sind zwischen 1941 und 1950 als angebliche Kriegsverbrecher verurteilt worden, Tausende Todesurteile wurden vollstreckt "die meisten von den Verurteilten zur Zwangsarbeit in die Todeslager der Polarzon geschickt". Der sogenannte "Ukas 4" vom April 1943 öffnete der Willkü Tür und Tor. Schuldige wurden im Falle eines Todesurteils aufgehängt und zu Abschreckung drei Tage hängen gelassen. Für die meisten unschuldig Verurteilten zwar zu spät konstituierte sich erst 1993 in Moskau eine Sonderabteilung der Militärstaatshaf zur "Rehabilitierung" auch ausländischer Staatsbürger. Mittlerweile wurde Tausende Deutsche (und Österreicher) rehabilitiert. Darüber wird in de Anti-Wehrmachts-"Show" der Herren Reemtsma und Heer allerdings nich aufgeklärt. Es mußte ein französischer Linker, der Autor des "Schwarzbuchs" kommen, um das sowjetische System mit seinen mindestens 70 Millionen Opfern als da schrecklichste der Weltgeschichte in allen seinen widerlichen Ausprägungen anzupranger und Stalin – laut Stephan Courtois ein größerer Verbrecher als Hitler – fü die Entfesselung des Zweiten Weltkrieges mitverantwortlich zu machen.

Denn auch das ist ein Ergebnis des russischen Revisionismus: Stalin plante de Angriffskrieg gegen Deutschland, und dies habe eben jetzt als geschichtliche Wahrheit zu gelten. Lange vor dem Nichtangriffspakt und auch danach wurden vom sowjetische Generalstab militärische Offensivpläne mit Überfallcharakter ausgearbeitet Kriegsvarianten Stalin vorgelegt, und dies bereits im März 1938! Die Variante vom 18 September 1940 ging bereits ins Detail und hatte eindeutig Deutschland als Angriffsziel Am 15. Mai 1941 schließlich heißt es in einer Analyse eines von Stalin gebilligte Agressionsplanes: "Erwägungen für den strategischen Aufmarschplan der Streitkräft der Sowjetunion bei einem Krieg mit Deutschland und seinen Verbündeten". Aus de Dokumenten gehe eindeutig hervor, so der Historiker Petrow, daß die "Sowjetführun eine Angriffsfront formierte". Stalin war zum Erstschlag entschlossen, wurde aber vo "rasanten Vormarsch" der deutschen Panzergruppen überrascht. Der Diktator wa auf Angriff, nicht auf Verteidigung eingestellt. Der Ansicht ist auch Oberst i. R Verlij Danilow, der im übrigen auch die Kernthese Viktor Suworows – bekannt durc sein Buch "Eisbrecher" –, wonach Stalin einen Schlag gegen Deutschlan praktisch vorbereiten ließ, für völlig glaubwürdig hält. Bereits am 5. Mai hatt bekanntlich der Sowjetführer, über Jahrzehnte als "Väterchen Stalin" verniedlicht, anläßlich einer Absolventen-Feier – nach Erinnerungen eine Teilnehmers – vom "ideologischen und praktischen Vormarsch" gesprochen, un davon, "daß wir den Kampf mit Deutschland beginnen". Danilow Schlußfolgerung "Es ging also nicht nur um die Abwehr einer ausländischen Aggression, sondern um die Verwirklichung weitgesteckter kommunistischer Ziele (darunter die Sowjetisierun Deutschlands, Anmkg.) einschließlich der Weltrevolution". Und dazu war ein Weltkrie unumgänglich. Verteidiger des herkömmlichen, noch von den Kommunisten veröffentlichte Geschichtsbildes, bezichtigt Oberst Danilow ganz offen der Geschichtslüge und zitier ausführlich aus dem Aufmarschplan des sowjetischen Generalstabs vom 15. Mai 1941, in de wörtlich von einem Erstschlag gegen die Wehrmacht die Rede sei. Der Mehrheit der Russe dürfte es verständlicherweise momentan ziemlich egal sein, wer den Krieg auslöste, den ihnen geht es jetzt erst einmal um das tägliche Überleben, versöhnt haben sie sich mi dem deutschen Volk ohnehin schon längst. Der deutsche Soldat hat in ihren Augen wie de russische für seine Heimat tapfer und anständig gekämpft – Ausnahmen gibt es in jeder Armee, soviel wissen die Russen wie andere ehemalige Gegner auch. Vielleich schlägt diese Überzeugung auch in Deutschland einmal tiefere Wurzeln, wenn auch nicht zu erwarten ist, daß eine rotgrüne Regierung daran ein größeres Interesse haben könnt als die vorangegangene Regierung Kohl.

Das russische Volk, das in seiner Geschichte so viele Opfer bringen mußte, dem gu sieben Jahrzehnte ein mörderisches System aufgezwungen wurde, ein Volk, das in sogenannten "Vaterländischen Krieg" beinahe verblutete, hat heute ander Sorgen: Es möchte endlich nach seiner Facon selig werden. Die Wiederbesinnung auf die "russische Philosophie" und alte heilige Werte ist aber zugleich eine Absage a neue internationalistische Beglückungsmodelle, welchen Ursprungs auch immer diese sei mögen. Diese Erkenntnis, vereine "alle Kontrahenten in russischen Historikerstreit".

 
     
     
 
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