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Der Blitzkrieg ist gescheitert

 
     
 
Der alliierte Vormarsch am Golf ist vorerst zum Stillstand gekommen. Obwohl die Angreifer über das größte und modernste Waffenarsenal der Kriegsgeschichte verfügen, stehen sie noch weit vor Bagdad und liegen vor den Toren der strategisch wichtigen Stadt Basra in der Wüste fest. Sie sind vom schnellen Bewegungskrieg in den Stellungskrieg übergegangen. Die Verteidiger dagegen haben sich mit Masse aus dem offenen Gelände in die Städte zurückgezogen, wo sie sich zur Verteidigung einrichten.

Dabei sollte es nach den Plänen der US-Strategen diesmal sogar noch schneller gehen als 1991. Ein starker Kräfteansatz, Schnelligkeit und Präzision sollten die Merkmale des Feldzuges sein. Der Hauptangriff sollte von Kuwait aus in Richtung des Euphrat geführt werden. Unter britischem Kommando sollten dann Kräfte nach Osten schwenken und die Stadt Basra besetzen. Gleichzeitig sollten die Luftstreitkräfte schwerste, aber präzise Angriffe gegen militärische Anlagen, Luftverteidigungsstellungen und Saddam Hussein
s Paläste in Bagdad fliegen. Spezialkräfte sollten die Ölquellen, Fabriken und andere vitale Einrichtungen besetzen, um deren Zerstörung zuvorzukommen. Außerdem sollten sie durch schnellen Zugriff verhindern, daß die Iraker wieder Raketen auf Israel abfeuern. Ein Blitzkrieg, der angesichts der alliierten Überlegenheit den Erfolg garantieren mußte.

Jetzt offenbaren sich die Schwächen dieses kühnen Kriegsplans. Denn bisher wurde kaum eines der strategischen Ziele erreicht. Der Kräfteansatz der Alliierten war zu gering, die Invasionstruppen sind zu weit verteilt, ungeschützt und nicht ausreichend mit Nachschub versorgt. Die Heranführung von Reserven und Nachschubgütern aber kann Wochen dauern. Die Kritik an US-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld wird lauter. Denn er hatte sich in der Planungsphase gegen seine militärischen Berater sowie gegen den ehemaligen Generalstabs- chef und heutigen Außenminister Colin Powell durchgesetzt und den überwältigenden Einsatz von Menschen und Material verhindert. Statt dessen setzte er auf "shock and awe" - Schock und Einschüchterung. Doch er setzte dieses strategische Prinzip, mit minimaler Gewalt minimalen, aber gezielten Schaden anzurichten, nicht konsequent um.

Eine große Schwachstelle der Angriffsplanung war vor allem, daß die Türkei als Ausgangsstellung für einen Angriff von Norden und damit für einen Zweifrontenkrieg gegen Saddam Hussein nicht zur Verfügung stand. Um diesen Nachteil auszugleichen, haben die US-Amerikaner nach einer Woche damit begonnen, mit einer Luftlandebrigade im kurdischen Autonomiegebiet eine eher behelfsmäßige Nordfront aufzubauen.

Die Wucht des alliierten Angriffs läßt die irakische Front zwar überall wanken, aber nicht einstürzen. Es sind die Durchhaltefähigkeit der irakischen Soldaten, die Entschlossenheit ihrer militärischen Führer und der Fanatismus der Republikanischen Garden, die den Angreifern einen Strich durch die Rechnung machen, obwohl Saddam Hussein den alliierten Streitkräften eigentlich kaum etwas entgegenzusetzen hat. Seine Truppen sind weit unterlegen, schlecht ausgebildet und unzureichend ausgerüstet. Lediglich seine Eliteverbände gelten als schlagkräftig. Sie sind auch als besonders fanatisch und grausam bekannt und ihrem Herren treu ergeben, zu jedem Opfer bereit. Mit mehreren tausend Mann ziehen sie ein engmaschiges Schutznetz um Saddam Hussein und seine Hauptstadt.

Auch die irakische Zivilbevölkerung verhält sich nicht wie erwartet. Denn anders als von den alliierten Strategen erhofft, werden ihre Truppen von der irakischen Bevölkerung nicht als Befreier willkommen geheißen. Die meisten Iraker sehen in ihnen christlich-imperialistische Eroberer. Sie sind zwar gegen Saddam Hussein, deshalb aber nicht automatisch für die Alliierten. Hier kommt das alte arabische Stammesdenken zum Vorschein, das in Zeiten der äußeren Bedrohung zum Zusammenhalt verpflichtet. So wird Saddam Hussein sogar in den Augen vieler seiner innenpolitischen Gegner zu einem arabischen Märtyrer.

Dabei hat die Bevölkerung un- ter der Diktatur und ihren Folgen schwer zu leiden. Das gegen den Irak bisher verhängte Embargo ist das umfassendste und tiefgreifendste Sanktionsregime in der Geschichte. Die Folgen dieses "Programms Öl für Nahrung" hatte in erster Linie die Bevölkerung zu tragen, mit der beide Seiten ein zynisches Spiel trieben. Der Irak ist wirtschaftlich zerstört, sozial zerrissen und vollständig verarmt. Die Bevölkerung lebt in Verhältnissen, die an das vorindustrielle Zeitalter erinnern. Saddam Hussein selbst dagegen gehört zu den reichsten Männern der Welt. Ungeachtet des Elends in seinem Land lebte er bisher wie ein Sonnenkönig. Die Loyalität der herrschenden Klasse erkauft er sich durch unermeßlichen Luxus. Die Privilegierten haben Zugang zu allen Wirtschaftsgütern der westlichen Welt, während die Menschen hungern. Deshalb ist das Embargo auf Dauer keine Lösung. Die kann nur in der Beseitigung des Tyrannen liegen.

Das hatte längst auch das US-amerikanische Parlament erkannt, das die Regierung durch ein Gesetz, den Iraq-Liberation-Act, im Jahre 1998 ausdrücklich beauftragte, das Regime Saddam Husseins gewaltsam zu beseitigen. Außenpolitische Rückendeckung erhielten Parlament und Regierung durch die Vereinten Nationen, die dem irakischen Diktator eine geradezu zwanghafte Sucht nach Massenvernichtungswaffen zur Herrschaftssicherung bescheinigten. Der reagierte darauf mit dem Hinauswurf der UN-Inspektoren aus seinem Land. Trotzdem gab es in den Reihen der US-amerikanischen Spitzenpolitiker Kritiker an möglichen Kriegsplänen, zu denen lange auch Außenminister Powell gehörte. Doch die Geschehnisse des 11. September 2001 führten zu einem von einer überwältigenden Mehrheit der US-Amerikaner getragenen Strategiewechsel in der Außenpolitik ihrer Regierung. Diese neue Politik einer globalen Vorwärtsverteidigung richtete den Blick wieder auf den Irak. Die Frage war nun nicht mehr, ob, sondern wann Saddam Hussein beseitigt würde.

Doch als es jetzt zum Schwur kam, versagten die Vereinten Nationen den USA das Mandat für einen "Befreiungskrieg". Selbst auf ihre ehemaligen Verbündeten können die anglo-amerikanischen Invasoren nicht mehr zählen. Die im Süden des Irak lebenden Schiiten haben für ihren Aufstand gegen Saddam Husseins sunnitisches Regime nach dem Abzug der Sieger 1991 bitter bezahlen müssen. Sie fühlen sich von der Anti-Saddam-Allianz zu Recht verraten und verkauft. Deshalb bleibt es in dem von den Briten belagerten Basra bislang ruhig. Das gilt auch für die Kurden im Norden, die weiter nach Autonomie streben. Doch nach ihren schlimmen Erfahrungen im ersten Golfkrieg werden sie sich kaum wieder aktiv für einen Regimewechsel in Bagdad einsetzen.

Auch die Nachbarländer des Irak sehen den Krieg mit sehr gemischten Gefühlen. Denn die Ausgangslage ist eine andere als 1991. Damals hatte der Irak das souveräne Kuwait angegriffen und besetzt, die Bevölkerung terrorisiert und das Land geplündert. Mit den geradezu unerschöpflich sprudelnden kuwaitischen Öleinnahmen wollte der irakische Staatschef seine leere Staatskasse füllen und so auch seinen persönlichen Wohlstand sichern.

Doch die USA und ihre Verbündeten machten ihm einen Strich durch die Rechnung. Mit weit überlegenen Kräften führten sie einen mächtigen Militärschlag zu Lande und in der Luft, befreiten Kuwait und fügten Saddam Hussein buchstäblich vor den Toren seiner Hauptstadt eine vernichtende militärische Niederlage zu. Damit war das Kriegsziel erreicht. Ein Interesse an einem Regimewechsel und der Demokrati- sierung des Irak hatten damals weder die USA noch ihre Alliierten. Die Nachbarstaaten des Irak, die die Befreiung Kuwaits unterstützt hatten, fürchteten sogar einen Zerfall des Irak, der zu einer Destabilisierung der ganzen Golfregion hätte führen können.

So blieb "der Irre von Bagdad", wie ihn die Boulevardpresse damals betitelte, weiter ungebrochen an der Macht. Für viele Araber wurde er sogar zu einer regelrechten Heldenfigur, weil er sich den Ungläubigen widersetzt hatte. Innenpolitisch regiert Saddam Hussein seitdem weiter mit äußerster Härte. Jede Illoyalität wird mit dem Tode bestraft, dies gilt sogar für Mitglieder der eigenen Familie. Die wenigen Versuche, den Diktator zu beseitigen, scheiterten stets am Dilettantismus der Putschisten und Saddams instinktivem Gespür für Gefahr.

Seine Nachbarn wollen Saddam Hussein gern loswerden, doch schrecken sie, anders als noch 1991, mit Rücksicht auf ihre Bevölkerung vor einer allzu offenen Unterstützung der Angreifer zurück. Denn die arabische Welt fühlt sich seit Jahrzehnten vom Westen gedemütigt. Jetzt, wo die westliche Führungsmacht einen Krieg zu dem alleinigen Zweck führt, einen arabischen Herrscher zu beseitigen, droht ein "arabischer Aufstand", der die Golfregion destabilisieren, deren Regierungen bedrohen und zu weltweiten terroristischen Aktivitäten führen könnte.

So beginnt der Thron des jordanischen Königs Abdallah II. unter dem Druck der massiven Protesten in den Straßen der Hauptstadt Amman bereits zu wackeln. Die Regierungen der Golfstaaten plädieren deshalb dafür, den Krieg zu beenden, die wirtschaftlichen Sanktionen gegen den Irak aufzuheben, das Waffenembargo konsequent durchzusetzen und militärische Abschreckung durch hohe Präsenz in der Region zu erzeugen. Unterstützung für ihren Krieg werden Bush und Blair im arabischen Raum also nicht finden.

Dabei könnte es für sie noch ärger kommen. Die große Stärke ihrer Streitkräfte ist die dynamische Kriegführung. Jetzt aber werden sie von den Verteidigern zu einer statischen Kriegführung gezwungen. Sie stehen vor der Gefahr eines verlustreichen Orts- und Häuserkampfes, in dem sie ihre überlegenen schweren Waffen kaum zum Einsatz bringen können. Gegen irakische Truppen, die sich in den Städten zur Verteidigung eingerichtet haben, ist nur mit einem gewaltigen infanteristischen Kräfteansatz - bei gleichzeitig hohen Verlusten - oder massivster Waffenwirkung aus der Luft anzukommen, die wiederum zu hohen Verlusten bei der Zivilbevölkerung führen würde.

Dies birgt aber die Gefahr, daß der Irak das Feld der konventionellen Kriegführung verlassen und biologische und chemische Waffen einsetzen könnte. Dafür gibt es bereits Beispiele aus dem Jahr 1988, als Saddam Hussein kurdische Siedlungen unter Giftgas setzen ließ, dem Tausende qualvoll zum Opfer fielen. Niemand kann ausschließen, daß es im Irak dezentrale Labors gibt, in denen der Diktator ein mit einfachen Mitteln hergestelltes B- und C-Waffenpotential vorhält. Dagegen gilt eine atomare Gefährdung der Angreifer derzeit als ausgeschlossen. Denn die räumliche und logistische Dimension eines irakischen Atomprogramms wäre so groß, daß es weder den Beobachtungssatelliten noch den UN-Inspektoren verborgen geblieben wäre.

Schon jetzt werden die Invasoren mit einem Element der unkonventionellen Kriegführung konfrontiert: dem verdeckten Kampf. Im Irak gibt es eine militärische Infrastruktur für den Guerillakrieg. Die Stärke der irregulären Truppe schätzen die US-Nachrichtendienste auf über 100.000 Kämpfer. Hinzu kommen noch Hunderttausende Mann aus den Milizen der verschiedenen irakischen Clanchefs. Und zu dieser illegalen Streitmacht gesellen sich täglich Freiwillige aus anderen arabischen Ländern, die ihren Brüdern "im Kampf gegen die christlichen Eroberer" beistehen wollen. So stellt jeder Zivilist, der den alliierten Soldaten begegnet, eine potentielle Gefahr dar. Bei Kerbala wurde bereits eine US-Infanteriegruppe von Zivilisten in einem Hinterhalt getötet, und bei Nassirijah erlitt eine amerikanische Kompanie durch eine irakische Milizeinheit hohe Verluste.

Die unberechenbarste Form des verdeckten Kampfes sind Selbstmordattentate. Nach den ersten alliierten Verlusten droht Saddam Hussein jetzt mit der Aktivierung von 4.000 opferbereiten "Gotteskriegern". Mit ihrem Auftauchen wird immer und überall zu rechnen sein. Sie können zwar dezimiert werden, sind letztlich aber nicht zu schlagen. Diese Gefährdung wird deshalb auch nach dem eigentlichen Waffengang noch lange fortbestehen.

Die Spitzenmilitärs im Pentagon räumen inzwischen ein, daß ihr Blitzkriegkonzept gescheitert ist. Sie gehen jetzt von einer langwierigen militärischen Auseinandersetzung aus, die "den Bodentruppen harte Zeiten bescheren" wird. 1991 mag sich Saddam Hussein wohl noch ernsthaft eingebildet haben, gegen die militärische Übermacht seiner Gegner bestehen zu können. Heute dürfte er sich diesbezüglich keinen Illusionen mehr hingeben. Es steht angesichts der Kräfteverhältnisse außer Zweifel, daß die Alliierten letztlich einen militärischen Sieg über den Irak erringen werden. Die Frage ist nur, wann und um welchen Preis.
 
     
     
 
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