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Duell der Metropolen

 
     
 
Den Zug nach Hamburg ohne Reservierung zu besteigen, ist ein Vabanquespiel. Oft genug findet sich kein Sitzplatz. Dann muß die Fahrt im Stehen zurückgelegt werden. Oder (mit den Bundeswehrsoldaten) auf dem Boden sitzend.

Das ganze ist nicht ganz so tragisch, seit der ICE nur noch 90 Minuten für die Fahrt durch die norddeutsche Tiefebene benötigt. Neuerdings fährt jetzt ein Zug pro Stunde. Und dennoch ist die Nachfrage so groß, daß zu Stoßzeiten noch immer Platzmangel besteht. Inzwischen reisen jeden Tag 10000 Personen mit der Bahn hin und her.

Die Berufs
pendler zwischen Spree und Alster sind eine schnell wachsende Kundengruppe, bestätigt Bahn-Sprecher Burkhard Ahlert. Insgesamt setzt die "Deutsche Bahn" daher 42 ICE- und IC-Züge ein, um die beiden größten deutschen Städte miteinander zu verbinden.

Zwischen keinen deutschen Großstädten ist die Durchschnittsgeschwindigkeit (189 km/h) höher als zwischen Berlin und Hamburg. Auch die Auslastung der Strecke liegt inzwischen bei 51 Prozent im Schnitt und ist damit deutschlandweit die höchste. "Das ist ein Spitzenwert, der sogar noch die bisherige Top-Strecke Köln-Frankfurt abhängt", sagt Ahlert.

Etwa jeder zehnte Fahrgast - so lautet eine Schätzung - pendelt täglich. Darunter Schauspieler, Journalisten und nicht zuletzt Regierungsvertreter und Abgeordnete. Aber auch Händler aus Hamburg und Touristen, die nach Berlin wollen (etwa Kreuzfahrtgäste auf Landgang), nutzen den Zug.

Hamburg hat den Hafen und Berlin den Tourismus. Aber Berlin und Hamburg haben nicht nur gleichgerichtete Interessen. Sie sind auch Konkurrenten. Es geht um die führende Rolle unter Deutschlands Metropolen. Und die läßt sich nicht nur an Einwohnerzahlen (3,40 gegenüber 1,74 Millionen) ablesen oder an einer formalen Funktion wie "Bundeshauptstadt".

Die Frage ist, wer beim Wettbewerb um Investoren oder Besucher die besseren Karten ausspielt. Den Hamburgern ist es gelungen, den Begriff von der "wachsenden Stadt" solange zu wiederholen, bis die Vision Wirklichkeit wurde. Berlin steht dagegen scheinbar nur für überbordende Verschuldung, für Bankenkrise, für Pleitegeier. Berlin ist der Hartz-IV-Empfänger unter den deutschen Großstädten. Deswegen wäre die "Deutsche Bahn" mit ihrer Zentrale schon fast an die Elbe geflüchtet und konnte nur mit Müh und Not von Wowereit und Merkel am Umzug gehindert werden.

So erklärt sich auch das enorme Selbstbewußtsein der Hanseaten in Hinblick auf die Olympiabewerbung 2020. Es zeichnet sich ein Wettkampf zwischen Berlin und Hamburg ab. Als Klaus Wowereit neulich auf einer Senatspressekonferenz bekundete, er wolle keinen nationalen Wettbewerb um die Olympiabewerbung, da hat er verraten, wovor er sich fürchtet: vor dem direkten Duell mit Hamburg.

Warum eigentlich? Berlin hat große Vorteile im Vergleich mit Hamburg. Aber die lassen sich nicht so einfach an Zahlen über die Wirtschaftskraft und ähnliches ablesen.

Berlins Vorteil liegt in seiner Rolle als Hauptstadt der Kreativen. Hier gibt es drei Opernhäuser, eine komplette Filmstadt, Hunderte Galerien und rund um den Alexanderplatz ganze Stadtgebiete, die durchweg aus Künstlern, Schauspielern und Modemachern zu bestehen scheinen. Der Name "Berlin" hat von Tokio bis New York längst wieder Klang, gerade bei jungen Kreativen, die von der deutschen Hauptstadt schwärmen wie die Altvorderen zuletzt in den 20er Jahren. Die Frage ist also nur, ob Berlin auch die richtige Haltung einzunehmen bereit ist, die seiner neugewonnen Rolle als Metropole mit globaler Ausstrahlung angemessen wäre.

Schon bei der Olympiabewerbung sind Zweifel angebracht. Und das nicht nur wegen der katastrophal gescheiterten Bewerbung für 2000. Damals schied Berlin mit einer lächerlichen Handvoll Stimmen sofort aus, und Sydney gewann das Rennen.

Berlin macht der ewige Selbstzweifel zu schaffen. Das zeigt sich jetzt wieder: Kaum daß die letzten schwarz-rotgoldenen Fähnchen von den Autos runter sind, droht das "neue Deutschlandgefühl" ausgerechnet in der Hauptstadt wieder in der altbekannten Selbstzerfleischung unterzugehen.

So erinnerte Berlins linksliberales Bohème- und Intellektuellen-Blatt "Tagesspiegel" in dieser Woche an die Olympischen Spiele von 1936, die am 1. August 1936 eröffnet worden waren. Die Spiele wurden von den Nazis für ihre Zwecke ausgenutzt, unbestritten. Dennoch waren sie auch ein großes Sportfest; die Tradition, das olympische Feuer aus Griechenland per Staffellauf an den Austragungsort zu bringen, wurde 1936 begonnen und gilt heute noch. Im "Tagesspiegel" aber ging es kein bißchen um die sportlichen Leistungen oder prominenten Besucher, sondern einzig um Nazi-Verbrechen. "Während der Spiele ging der NS-Terror weiter", lautete eine vielsagende Überschrift. Das ist zwar richtig, aber doch nicht alles, was an 1936 interessant wäre. Das sieht der "Tagesspiegel" offenbar anders: Laut ihm war das damals ausschließlich ein "Propagandaspektakel", ja "ein weiterer Mosaikstein im großen Schlachtplan zur Germanisierung Europas".

Daß gerade eine WM im 1935/36 erbauten Berliner Olympiastadion zu Ende gegangen ist, deren internationale Gäste und Milliarden Fernsehzuschauer sich einen feuchten Kehricht um "den Führer" oder "die Partei" gekümmert haben, ist an Berlins Zeitgeistpresse offensichtlich vorbeigegangen. Es waren allein deutsche Bedenkenträger, die meinten, die Menschheit penetrant auf den "belasteten Hintergrund" des prachtvoll renovierten Baus hinweisen zu müssen. Wie sich zeigte, interessierte das im Ausland niemanden mehr, die Freude war ungetrübt.

Dem Olympia-Rivalen Hamburg indes wird es nur recht sein, wenn die Hauptstadt-Presse weiterhin alles daransetzt, der Welt vor allem die dunkelsten Aspekte der Berliner Sportgeschichte zu zeigen.

Obwohl es niemanden mehr interessiert, kehrt Berlin geradezu zwanghaft die dunklen Seiten seiner Sportgeschichte hervor: Das Olympiastadion - am 9. Juli Schauplatz eines grandiosen WM-Finales
 
     
     
 
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