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Erschreckend orientierungslos

 
     
 
Der Bestsellerautor und Psychotherapeut Manfred Lütz hat seinem Buch "Lebenslust. Wider den Gesundheitswahn und den Fitness-Kult" ein Wort von Platon vorangestellt. Es lautet: "Die ständige Sorge um die Gesundheit ist auch eine Krankheit." Lütz hält Deutschland im Sinne Platons für ein krankes Land. Heute gelte Gesundheit als höchstes Gut, und deshalb seien "die Leute von morgens bis abends mit diesen Fragen beschäftigt, laufen zum Arzt, zum Therapeuten. Es gibt einen schlimmen Spruch, der heißt: ‚Gesund ist ein Mensch, der nicht ausreichend untersucht wurde. Es gibt Menschen, die von morgens bis abends nicht mehr leben, sondern nur noch vorbeugend leben und dann gesund sterben".

Was für "die Leute" gilt, gilt derzeit auch für die Politiker der Union. Sie kennen nur noch ein Thema: Gesundheit. Ihre Vorbeuge-Maßnahmen gelten der Wahl 2006, aber sie merken nicht, daß sie sich mit ihrem Streit - der mit der Demontage Horst Seehofers ja nicht zu Ende ist - ins Abseits manövrieren, daß sie im Begriff sind, politisch gesund zu sterben.

In dieser Situation wäre es gut, auf den politischen Therapeuten Horst Köhler zu hören. Der Bundespräsident macht darauf aufmerksam, daß Deutschland in der Tat krank, reformkrank ist, aber er bietet auch Remedur. "Ganz Deutschland muß erneuert werden", das Land brauche eine Reform an Haupt und Gliedern.

Das betrifft nicht nur die Gesundheit. Das betrifft die Pflege, die Rente, die Steuern, die Bildung, den Arbeitsmarkt und auch die Außenpolitik. Überall hantiert Rot-Grün
zögerlich und ideologisch, historisch kurzsichtig, aber taktisch raffiniert.

"Die Aufgabe der Opposition ist es, die Regierung abzuschminken, während die Vorstellung läuft", meinte einmal der französische Präsident Chirac. Genau das läßt die Opposition in Deutschland vermissen. Sie schminkt sich selbst ab. Dabei müßte sie auf breiter Front angreifen und Alternativen bieten.

Ganz Deutschland muß erneuert werden - das erfordert ein konzeptuelles Denken und einen archimedischen Ansatzpunkt, um das jetzige System auszuhebeln. Diesen Punkt gibt es. Es ist das Humanvermögen, das menschliche Potential der Republik. Dieses Potential müßte allerdings nicht nur gefördert, sondern zunächst mal gebildet werden. Das geschieht vor allem in der Familie und dort in den ersten Jahren und das am besten durch die erste Bezugsperson, die Mutter. Das sagen uns mittlerweile die Wissenschaftler aus Wirtschaft, Pädagogik, Bildungs- und Hirnforschung.

In diesem Punkt ist Rot-Grün ideologisch verbunkert. Ohne dieses Humanvermögen aber wird es mit der Bildung auf Dauer nichts, kommen keine geeigneten Kräfte auf den Arbeitsmarkt, wird es nichts mit der Eigenverantwortung, sprich der vernünftigen Vorbeugung bei der Gesundheit, bleibt die Eigeninitiative eine Sache von wenigen, kommt kein Gemeinsinn mehr auf, wird keiner verzichten wollen.

Die Union aber scheint orientierungslos zu sein. Dabei gibt es genügend Beispiele im Ausland (zum Beispiel Pisa-Sieger Finnland) und auch Erkenntnisse und Vorschläge im Inland (zum Beispiel die Arbeiten von Meves, Hüther, Hellbrügge oder auch die Steuerreform von Kirchhof), deren Umsetzung eine "gute Zukunft sichern" könnten, weil sie, durchaus im Sinn von Köhler, der Eigenverantwortung der Menschen und der Familien mehr Raum geben und den Staat auf das Nötige reduzieren würden.

Die Union operiert an den Symptomen, ihr fehlt ein eigenes Konzept. Ein Satz wie "Die Familie sichert die Zukunft" ist ja nicht deswegen falsch, weil er nicht von einem Parteipolitiker, sondern von Johannes Paul II. stammt. Oder ein Satz wie "Die Familie ist die Keimzelle der Gesellschaft" ist nicht deshalb falsch, weil er etwas abgegriffen wirkt. Er war in Wirklichkeit nie so aktuell wie heute.

Unablässig müßte die Unionsführung die Ideologen der rot-grünen Regierung anprangern, nicht mit Bitterkeit in der Stimme, sondern voller Gelassenheit, vielleicht auch ein wenig Esprit. Friedrich Merz hat es in seinem Bereich vorgemacht. Andere dagegen wirken allzu oft verkrampft und gehemmt, so als ob der geistige Arm zu kurz sei für einen großen Wurf.

In der Türkei-Frage hat Frau Merkel bewiesen, daß sie in historischen Dimensionen denken kann. In der Reformpolitik ist sie - übrigens ihr Kollege Stoiber auch - den Deutschen diesen Beweis noch schuldig geblieben.

Rausgedrängt: Mit Horst Seehofer kannte Angela Merkel kein Erbarmen. Ob auf dem Parteitag der CDU vom 5. bis 7. Dezember kritische Stimmen über ihr Verhalten laut werden, bleibt abzuwarten. Foto: Photothek.net

 
     
     
 
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