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Gedanken für Intellektuelle

 
     
 
Stellen Sie sich nur folgende Situation vor, dann ahnen Sie, was manche Menschen in diesem Lande gerade durchmachen: Jahrzehntelang haben Sie der dumpfen Masse harsche Gardinenpredigten gehalten über ihre Nichtswürdigkeit. Im Glanze Ihrer moralischen und intellektuellen Unübertrefflichkeit konnten Sie die graue Horde nach Belieben schuhriegeln und am Ende des Monats haben Sie die Deppen dafür auch noch bezahlt. Jeden Morgen standen sie vor Ihnen stramm. Dann konnten Sie sich einen rauspicken und vor den anderen zur Sau machen. Deshalb schauten sie alle immer ängstlich zu Boden und trauten sich am Ende nicht mal mehr, auch nur einen einzigen Satz zu sagen, den Sie ihnen nicht vorher Wort für Wort eingetrichtert hatten.

Dann der Schock: Als Sie eines Tages zur üblichen Levitenlesung ins Zimmer treten, sind alle weg und toben draußen im Garten puppenlustig mit ein paar Freunden aus der Nachbarschaft über den Rasen. Die grauen, verhuschten Appellmäuse sehen auf einmal bunt und prall und fröhlich aus. Und sie drehen Ihnen nicht mal eine Nase, sondern behandeln Sie wie schlechte Luft!

Wenn Sie sich das vorstellen können, dann bekommen Sie eine Ahnung davon, was der eben noch geachtete und gefürchtete Stand der Volkspädagoge
n aus dem „Nie-wieder-Deutschland“-Kolleg zur Zeit durchleidet. Es sind die entsetztlichsten Tage seit dem Mauerfall: Deutsche Fahnen wohin man blickt und Schwarz-Rot-Gold in allen erdenklichen Variationen. Überall Freude statt des tiefen Frusts, an dessen Allgegenwart man doch so lange und so aufopferungsvoll geschuftet hatte.

Das Mahnerkollegium war auf den Ausbruch dieser „dreisten Unbekümmertheit“ („Frankfurter Rundschau“) der Deutschen nicht vorbereitet. Für die gelernten Niederhalter und Demoralisierer riecht das alles nach Revolte, ja nach Umsturz! Und man hat nichts als uralte, verrosteste Karabiner im Schrank, die unter dem frechen Gelächter der unbotmäßig gewordenen Zöglinge zerbröseln.

Die „Süddeutsche Zeitung“ etwa muß auf argumentative Schießprügel aus den Baureihen 1933 bis 1968 zurückgreifen: Nationalstolz und Nationalsozialismus klängen ähnlich, ballert ein alter Kämpe von dem Münchener Blatt und bellt dazu: „Fehlt nur noch der Blockwart, der kontrolliert, ob auch von jedem Balkon die Flagge baumelt“. Bevor der eintrifft, gibt der Schreiber schnell selbst den Tagesbefehl: „Flagge zeigen: Nein!“ Ob ihn einer gehört hat?

Nicht anzunehmen, denn das Flaggenmeer ist ja kaum verdaut, da fangen sie auch noch an, die Nationalhymne zu singen! Das hat die Lehrergewerkschaft GEW in die Schützengräben getrieben. Die Gewerkschaftler verfügen indes ebensowenig über modernes Material. Sie schmeißen in ihrer Not mit einer vergilbten, weil 16 Jahre alten Streitschrift gegen das Deutschlandlied nach ihren patriotisch verseuchten Schülern. Der Pressetext zur Neuveröffentlichung des pitoresken Archivfundes liest sich so, als sei die derzeitige „Nationale Stimmungsmache“ ein einziger genialer Coup der NPD, dem die Erziehungsgewerkschaftler „in Kooperation mit allen demokratischen Kräften eine klare Absage“ erteilen wollen. Ärgerlich nur, daß die „demokratischen Kräfte“ keine Lust haben. Selbst Grünen-Politikern und Sozialdemokraten ist anzumerken, daß ihnen der Anfall ihrer alten Genossen in den Lehrerzimmern irgendwie peinlich ist. Ihre Reaktionen erinnern an Klassiker des Ohnsorg-Theaters, wo alte Leute gern mal als kauzige Quengler auftraten, denen Heidi Kabel dann besänftigend die Schulter streichelte: „Laß ma’ gut sein, Opa!“

In dem GEW-Aufruf schimmert die leise Hoffnung durch, daß die NPD sich doch noch ein Herz faßt und dem WM-beflügelten „Furor Teutonicus“ („Süddeutsche“) die richtigen braunen Bilder verpaßt – per Aufmarsch und mit Reden, die sogar noch älter klingen als GEW-Broschüren. Schwarz-rot-goldener Irokesenputz oder kleine Autofähnchen werden von der blöden Masse ja nicht so leicht erkannt als Vorboten der nächsten Machtergreifung. Eine zünftige Springerstiefelparade wäre da schon ganz was anderes.

Arm, aber tapfer: Der Bundesvorsitzende Ulrich Thöne will mit den „Argumenten gegen das Deutschlandlied“ für die „Notwendigkeit einer tiefgreifenden Auseinandersetzung mit der Geschichte und Gegenwart des Nationalismus in Deutschland und eben auch mit der Geschichte und Gegenwart des Deutschlandliedes“ in die Schlacht ziehen. Wie das wohl sein wird, wenn der Herr Thöne seinen Schülern zum Fanfest vor der Großbildleinwand nachschleicht, um dort „tiefgreifend“ gegen seine das Deutschlandlied singenden Schützlinge anzukeifen. Der Mann hat den Mut zur Lächerlichkeit.

Aber nein, keifen wird er gewiß nicht. Denn „gröhlen“, „brüllen“ oder „schreien“ tun immer nur die, die das verpönte Lied gerade singen, wie uns ebenfalls die „Süddeutsche“ aufklärt. Ist es nicht bemerkenswert, welch glasklares Bild diese Leute von „dem“ Deutschen haben? So genau kennt uns sonst nur die britische Hetzpresse.

Nein, Herr Thöne keift nicht, er wird dem nächsten Schüler, der sich ein Fähnchen ans Fahrrad gesteckt hat, beherzt am Lenker packen und ihn verhören, ob er sich im Klaren darüber sei, daß er „die soziale Kluft in diesem Land übertüncht“ und seine türkischen Mitschüler „assimiliert“. Laut GEW-Erklärung richtet der Junge mit dem Flaggezeigen nämlich genau das an.

Selbstverständlich sind die GEW-Lehrer nicht allein bei ihrem Marsch aus der finsteren Vergangenheit in eine noch dunklere Zukunft. Aus den Tiefen der 70er Jahre beißt uns der Chefmahner der Bundesrepublik, Günter Grass, höchstpersönlich ins Gewissen. Pünktlich zur WM läßt „Bundes-Günter“ („Spiegel“) verlauten, daß „Leute wie Stoiber und andere“ die „latente Fremdenfeindlichkeit stubenrein“ gemacht haben. Fast hätte er „Leute wie Franz Josef Strauß“ gesagt, besann sich aber nach dem Blick auf seinen Küchenkalender. Stoiber oder Strauß? – ist ihm eigentlich auch egal, alter Haß welkt nicht und sucht sich seine Götzen von allein.

Wichtig war allein der Zeitpunkt: Hunderttausende Ausländer feiern mit den Deutschen und sind ganz hingerissen davon, wie die Gastgeber immer mitgehen auch bei Spielen, an denen die deutsche Elf gar nicht beteiligt ist. Milliarden Erdenbürger schauen zu und lauschen ihren Kommentatoren, die sich vor Lob über die deutsche Mischung aus herzlicher Gastfreundschaft und perfekter Organisation gar nicht mehr einkriegen wollen. Da hielt es den Mahner nicht mehr hinter der Pfeife, da mußte etwas getan werden. Seine Botschaft an die Welt: Die Deutschen sind ganz anders als sie sind.

Das Mahnerkollegium berät derweil in Dauerkrisensitzung, wie es weitergehen soll. „Deutschland, Deutschland, bald ist es vorbei“ singt der „Spiegel“ das ersehnte Ende der gräßlichen Fahnenkrankheit herbei. Man beruhigt sich damit, daß das eigentlich gar kein Patriotismus sei, sondern bloß eine „Deutschland-Party“, die am 10. Juli zuende gehe und aus. Herr Thöne kann sich dann endlich auf seine Schüler und die „kritische Aufarbeitung“ des Geschehenen stürzen. Viele werden kleinlaut einräumen müssen, daß sie das Deutschlandlied mitgesummt oder gar gesungen oder wenigstens gern gehört haben. Und daß, obwohl „alleine die Melodie“ bei „Angehörigen der Opfer des Zweiten Weltkriegs schlimme Erinnerungen“ wecke, wie der GEW-Landeschef von Baden-Württemberg, Rainer Dahlem, herausbekommen hat. Die Schüler werden nun also eine untilgbare Schuld auf sich geladen haben, die es zu bearbeiten gilt. Da sind die Thönes und Dahlems in ihrem Element.

Aus den Tiefen der 70er Jahre ist Günter Grass gekommen, um uns ins Gewissen zu beißen

Muttersöhnchens Badefreiheit
 
     
     
 
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