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Gedanken für Intellektuelle

 
     
 
Und schon wieder haben wir uns umsonst aufgeregt, beruhigt uns der Parlamentarische Geschäftsführer der Grünen, Volker Beck. Das "Antidiskriminierungsgesetz", kurz ADG, werde gar nicht zu mehr Bürokratie führen, hat er uns aufgeklärt. Das fürchten nämlich Wirtschaft, Vermieter, die Opposition und jetzt sogar wachsende Teile der SPD samt Innen- und Wirtschaftsminister. Alles Quatsch, weiß Beck: Im Grunde werde sich durch das ADG gar nicht viel ändern.

Das erinnert ein wenig an die Sache mit den Ukrainer-Visa: Zunächst feierte Ex-Staatssekretär Volmer die grenzenlose Einreisebewilligung als großen liberalen Wurf: "Im Zweifel für die Freiheit!" Als die Angelegenheit dann jedoch zu müffeln begann, versicherte ein Verantwortlicher
nach dem andern, daß eigentlich gar nichts weiter passiert sei. Nichts mehr mit "Wurf", nicht mal ein klitzekleiner. Genauso läuft es jetzt beim ADG. Von den Wänden hallen noch die hehren Ankündigungen, wie sehr das Gesetz unsere ganze Gesellschaft zum Besseren wenden werde. Die erst von der SPD und vor allem den Grünen draufgepackte Verschärfung nur für Deutschland galt dabei als besonders progressiv: die "Beweislastumkehr". Nicht der abgewiesene Bewerber soll belegen müssen, daß er bei der Stellenvergabe "diskriminiert" wurde (wie im Brüsseler Entwurf), sondern der Arbeitgeber soll nachweisen, daß dem nicht so war. Er müßte über jeden abgelehnten Aspiranten eine genaue Akte führen und sich auf zahllose Prozesse einstellen. Unternehmensberater haben deshalb vorgeschlagen, die Betriebe sollten nach Inkrafttreten des ADG gar keine Leute mehr einstellen. Alles andere wäre viel zu risikoreich.

Angesichts von 5,2 Millionen Arbeitslosen, von denen jeder fünfte ein Nordrhein-Westfale ist und demnächst wählen darf, macht sich diese Aussicht nicht sonderlich gut. Die Sozialdemokraten spüren den Pesthauch des ADG schon kräftig in abstürzenden Umfragewerten. Die Grünen begegnen dem klug mit einer Doppelstrategie: Becks Beruhigung, die Bürokratie werde schon nicht so schlimm, ist ein Teil davon, der andere lautet: Das ist eine Vorgabe aus Brüssel, das müssen wir machen. Schluß fertig! Die Grünen wissen genau, wie diese Ansage auf das Volk wirkt. "Brüssel" stellen sich die Deutschen wie ein großes Orakel vor, aus dessen unergründlichen Tiefen irgendwelche Ratschlüsse herausdampfen, auf die wir kleinen Würstchen und unsere Politiker sowieso keinen Einfluß haben. Wie diese Eingebungen jeweils zustandegekommen sind, ist uns ebenso schleierhaft wie den alten Griechen das Orakel von Delphi. Der sagenhafte Ort war so eine Art Ur-Brüssel. Die Vorhersagen, welche die Priesterinnen den Griechen dort verkündeten, hatten direkten Einfluß auf die Politik - wie nicht zu kritisierende, weil mit höchster Weihe versehene Anweisungen. Nun waren die heiligen Frauen der Überlieferung zufolge finanziellen Zuwendungen keineswegs abgeneigt, weshalb sich solvente Politiker bei ihnen genau jene Prognosen bestellen konnten, die für ihre Ziele günstig schienen. In Brüssel wurde das Verfahren vereinfacht, statt bei raffgierigen Priesterinnen bestellen Politiker die unabwendbaren Weisungen nun sozusagen bei sich selbst: Es sind nämlich genau dieselben Parteien, die erst jene EU-Beschlüsse in Brüssel fassen, welche sie uns dann später als zwingende EU-Richtlinie präsentieren, "an der die nationale Politik leider gar nichts ändern kann". Antike Staatslenker wiesen auf den (von ihnen in Delphi gekauften) "Wunsch der Götter" hin, um Widerspruch auszuräumen. Heute brauchen ihre Nachfolger bloß "Europa will es" zu sagen, und die Diskussion erstirbt.

Deshalb wird auch gar nicht mehr über das ADG an sich debattiert, sondern allein um die verschärfenden Zusatzbestimmungen, welche Rot-Grün auf dem Weg von Brüssel nach Berlin drangehängt hat, darunter die berüchtigte Beweislastumkehr. Die entwickelt sich für die Sozialdemokraten nur deshalb zum gefährlichen Ärgernis, weil der Verweis auf Europa nicht funktioniert. An dem Versprechen, die Bürokratie werde schon nicht so wild, nagen überdies Zweifel, seitdem durchgesickert ist, daß allein der Bund bereits 5,6 Millionen jährlich für den Betrieb einer sogenannten "Antidiskriminierungsstelle" veranschlagt hat. Dazu kämen noch zahllose Stellen auf Landes- und Gemeindeebene, in denen arbeitslose "Experten" aus dem rot-grünen Unterholz ihr Auskommen damit finden, allerorten "Diskriminierungen" aufzuspüren. Es ist nicht zu bezweifeln, daß sie fündig werden, schließlich könnten ja Fragen nach ihrer Existenzberechtigung aufkommen, wenn sie uns nicht alljährlich eine Flut von "Diskriminierern" präsentieren. Wer ein Expertengremium für die Erfassung der Kieselsteine an Pommerns Küste bezahlt, dem würde es genauso wenig an Gutachten aus der Feder jener Sachverständigen mangeln, die wissenschaftlich belegen, wie wichtig dieses Unterfangen ist. So sind wir denn auch nur mäßig überrascht, daß die von Rot-Grün bestellten Experten dieser Tage nachgewiesen haben, daß die befürchtete Bürokratieschwemme durch das ADG reine Panikmache ist und der Wirtschaft zudem keinerlei Nachteil durch das Gesetz erwachse.

Es klappt übrigens auch umgekehrt: Man kann nicht bloß eingebildete Probleme dadurch zu echten machen, daß man ein Gesetz kreiert und Hauptberufliche einstellt, deren Existenz davon abhängt, ein Übel zu finden. Man kann auch wirkliche Probleme aus der Welt schaffen, indem man das Gesetz streicht, das sie früher offensichtlich werden ließ. Als Prostitution noch "sittenwidrig" war, konnte die Polizei jederzeit Razzien in Bordellen veranstalten, bei denen ihr eine große Zahl Zwangsprostituierter in die Hände fiel. Seit Rot-Grün die Hurerei 2002 legalisiert hat, geht das nicht mehr und siehe da: Die Menge der registrierten Fälle ging auf fabelhafte Weise zurück, was Minister Fischer heute der Opposition um die Ohren haut, die ihm unterstellt, sein Visa-Erlaß habe den Puffs Frischfleisch zugeführt: "Die Zahlen sagen etwas anderes, als es die Union glauben machen will!"

Wer Zahlen hat, hat recht. Wer dazu auch noch Experten hat, kann gar nicht falsch liegen: In diesen Wochen melden sich "Migrationsexperten" quer durchs Land zu Wort, um ihr neutrales Urteil abzugeben, das dem der Grünen verblüffend ähnelt. "Migrationsexperten" stehen, das sagt schon die Berufsbezeichnung, forcierter Einwanderung mindestens so kritisch gegenüber wie Ornithologen der Verbreitung von Vögeln.

 
     
     
 
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