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Heimat als geistiger Raum

 
     
 
Anneliese Halbe, die 1986 verstorbene Tochter des Dramatikers und Schriftstellers Max Halbe, sah das literarische Werk ihres Vaters als einen "großangelegten Versuch, die Heimat als geistigen Raum zu bewahren". Und Paul Fechter, der Literaturhistoriker aus Elbing, lobte einst: "Keiner hat wie Halbe die Schönheit des westpreußischen Landes um die untere Weichsel, zwischen Weichsel und Nogat empfunden." Und in der Tat: in den Prosawerken des vor 135 Jahren, am 4. Oktober 1865, in Güttland bei Danzig geborenen Halbe begegnet der Leser immer wieder der unendlichen Weite dieses Landes, den unverwechselbaren Menschen, die geprägt wurden von diesem östlichen Land an der Weichsel.

Anneliese Halbe erinnerte sich: "Die Unendlichkeit des Danziger Werders, die sich über dem fliehenden Horizont auftürmenden Wolken, die wogenden Getreidefelder, der Geruch von schwerer und fruchtbarer Erde, der sich mit der würzigen Brise der Ostsee mischte, all das hat sich in meiner Empfindungswelt unauslöschlich verankert. Es war eine Landschaft, die die Seele zum Erklingen brachte. Sie hat meinen Vater bis zu seinem Tode nicht wieder losgelassen. 1920 schrieb er in seinem Gedicht ,Gruß an die Heimat‘: ‘Auf immerdar?/ Du Kinderland,/ Gewinn ich dich/ Mit greisem Haar,/ Schwarzbraune Erde du,/ Zur letzten Ruh?‘ ..."

"An der Landschaft", so Anneliese Halbe weiter, "berührte ihn besonders, daß sie in ihrer eindrucksvollen Art der Weite im Begrenzten das Unendliche zu eröffnen schien. Es war für ihn eine Landschaft der Entgrenzung des Ich. Mein Vater war jedoch ein absoluter Stadtmensch, überdies noch stark geprägt vom kulturellen Raffinement der Jahrhundertwende. Aber dies brachte ihn keineswegs in einen Gegensatz zu Güttland. Er verspürte hier vielmehr jene fruchtbare Spannung, die sich dann als schöpferischer Akt entlud ... In seinem persönlichen Bekenntnis zu Güttland sah er – wie es sich vielfach in seiner Dichtung niederschlägt – die Herstellung einer Einheit, den harmonisch
en Ausgleich von Kunst und Ursprünglichkeit. In Güttland war mein Vater Dichter, der alles Artifizielle hinter sich gelassen hatte und kraftvoll aus Quellen schöpfte, zu denen viele zeitgenössische Literaten trotz aller Künstlerkolonien oder Naturattitüde nie vordrangen."

Max Halbe besuchte das Gymnasium in Marienburg (1875 bis 1883) und nahm anschließend in Heidelberg ein Jurastudium auf; von 1884 bis 1887 studierte er Germanistik und Geschichte in Berlin und München, wo er schließlich mit einer Dissertation über "Die Beziehungen zwischen Friedrich II. und dem päpstlichen Stuhl vom Tode Innozenz III. bis zur Kaiserkrönung Friedrichs 1216–1220" zum Dr. phil. promovierte. In Berlin arbeitete er schließlich einige Zeit als freier Schriftsteller; dort entstanden seine ersten Dramen ("Ein Emporkömmling", "Freie Liebe", "Eisgang"). Über letzteres urteilte der gefürchtete Kritiker Alfred Kerr, es sei "nicht frei von Großartigkeit". 1893 dann folgte die Liebestragödie "Jugend", mit der Halbe genau den Nerv des Publikums getroffen hatte. Selbst Kerr war begeistert und schrieb: "... Diese Stimmung, dieser unbeschreiblich süße, wehende Reiz, der noch einmal die Seelen öffnet und alles heraufsteigen läßt, was uns einmal hold gewesen, das ganze, tiefe schmerzvolle Glück: das ist von dieser Dichtung her nicht zu vergessen für die Dauer eines längeren Daseins. Halbe hat eine hinreißende, in ihrer Art geniale Tat getan.

Ermüdet vom regen Betrieb in Berlin, zog Halbe für einige Zeit nach Kreuzlingen am Bodensee, entschloß sich dann aber, in München sein neues Domizil aufzuschlagen (1895). Dort entstanden dann weitere Dramen wie "Mutter Erde" und "Der Strom". Darüber hinaus aber schrieb Max Halbe auch Romane und Novellen ("Die Tat des Dietrich Stobäus", "Jo"), historische Erzählungen und Dramen und 1931/33 die "Geschichte meines Lebens" in zwei Bänden ("Scholle und Schicksal", "Jahrhundertwende", in dem er auch über seine Freundschaft zu Lovis Corinth berichtet).

Doch nicht nur Erfolge bei seinem Publikum konnte Max Halbe aufweisen, auch offizielle Ehrungen wurden ihm zuteil. So erhielt er 1925 die Ehrenbürgerwürde der Stadt Danzig, wurde Ehrenbürger von Marienburg. Er erhielt die Goethe-Medaille für Kunst und Wissenschaft und das Danzig-Kreuz. In München wurde gar eine Straße nach ihm benannt. Dort an der Isar war 1920 der Bund heimattreuer Ost- und Westpreußen gegründet worden, dem Max Halbe von Beginn an angehörte. Mitte der dreißiger Jahre wurde er zum Ehrenmitglied des Bundes ernannt. Max Halbe gehört aber auch zu jenen Dichtern, die immer wieder mit Kritik zu kämpfen hatten. Während die einen ihn schon zu Lebzeiten als "Mitbegründer des Naturalismus" feierten, werfen die anderen ihm vor, "Wegbereiter der Blut-und-Boden-Ideologie" des Nationalsozialismus zu sein. – "Max Halbe", so Prof. Dr. Helmut Motekat in seiner "Ostdeutschen Literaturgeschichte" (München, 1977), "war trotz seiner betonten Bindung an die heimatliche ,Mutter Erde‘ kein Vertreter der Heimatkunst, der nur die heimatliche Idylle besang. Seine durchweg problematischen Menschen kommen vielmehr aus ,einem von Gegensätzen, von Konflikten durchwühlten Boden‘ (,Jahrhundertwende‘). Und er war kein Wegbereiter der ,Blut-und Boden-Ideologie‘ des Nationalsozialismus. Halbes Autobiographien ,Scholle und Schicksal‘ und ,Jahrhundertwende‘ erweisen seine tiefe Heimatliebe als den wahren Anlaß für seinen Glauben an die bestimmende Macht des heimatlichen Raumes und seiner Atmosphäre ..."

Max Halbe starb am 30. November 1944 in Burg bei Neuötting. Sein Nachlaß wird heute von der Max-Halbe-Gesellschaft der Ost- und Westpreußenstiftung in Bayern gepflegt.

Unsterblich geworden ist Max Halbe nicht zuletzt auch durch Werke seines Freundes, des Malers Lovis Corinth. Der Meister aus Tapiau hatte Halbe bei Leistikow in Berlin kennengelernt und die Freundschaft zu ihm in seiner Münchner Zeit vertieft. Beide wohnten damals in der Giselastraße und trafen sich in Kurtz’ Weinstube, wie Thomas Corinth zu berichten wußte. Corinth schuf 1899 das Gemälde "In Max Halbes Garten", auf dem neben Max Halbe auch dessen Frau (rechts), deren Schwester Berta Heck und der Dichter Karl Rössler zu sehen sind. Entstanden ist das Bild im August 1899 im Garten des Sommersitzes der Halbes in Bernried am Starnberger See. Es zählt zu den frühesten Freilichtbildnissen des Ostdeutschland. Ein Jahr zuvor waren zwei Porträts von Luise Halbe entstanden, darunter das zauberhafte "Frau Halbe mit Strohhut". Peter van Lohuizen

 
     
     
 
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