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Im Banne der Musik

 
     
 
Seit Generationen ziehen die Werke des Komponisten Richard Wagner Millionen Menschen in ihren Bann. Auch in diesem Jahr waren die Bayreuther Festspiele wieder ein außergewöhnliches Ereignis, bei dem des Meisters Schaffen gewürdigt wurde. Der Musikkritiker Werner Dremel hat die Festspiele besucht und analysiert in drei Ebenen Epoche
, Werk und Wirkung.

Geschichte und Mythos

In seinen Werken Lohengrin, Tannhäuser und Meistersinger erzählt uns Richard Wagner zunächst ganz konkret aus über 500 Jahren deutscher Geschichte: aus den Zeitaltern der Romanik, der Gotik und der Renaissance.

Lohengrin spielt zur Zeit der Reichsgründung im 10. Jahrhundert, Tannhäuser im 13. Jahrhundert, zur Hoch-Zeit des Reiches, und die Meistersinger in einer Periode des politischen Niederganges, aber der wirtschaftlichen

Blüte, am Anfang des 16. Jahrhunderts. König Heinrich der Vogler, Landgraf Herrmann von Thüringen und Handwerksmeister Hans Sachs sind die historischen Figuren dieser Geschichte.

Oberhalb dieser realen Ebene liegt nun in zwei Werken eine irreale: die Ebene des Mythos. Im Lohengrin ist es die Legende vom Gralsritter, der in die Welt kommt, um für die Gerechtigkeit, für den Sieg des Guten zu kämpfen: Elsa von Brabant Recht zu verschaffen. Untrennbar verbunden mit dem geheimnisvollen Fremden ist das Frageverbot.

Es ist, wie im Parsifal das Fragegebot, eines der Mysterien in Wagners Werk.

Im Tannhäuser ist es der Mythos vom Hörselberg, in dem das Reich der Venus liegt.

Tannhäusers Aufenthalt bei Venus ist ambivalent. Beurteilt man die Geschichte vordergündig, dann fragt man sich "Was hat er denn getan?". Ist das nicht puritanische Leibfeindlichkeit des 19. Jahrhunderts, dessen Opfer der große Richard hier geworden ist? Keine Antike, keine sinnenfreudige alte andere Kultur, auch nicht das Hochmittelalter, in dem die Geschichte ja spielt, hätte je eine solche Verdammung ohne Vergebung ausgesprochen, wie sie in Wagners Werk stattfindet. Wagner selbst schreibt 1851 dazu: "... wie albern müssen mir nun die ... geistreich gewordenen Kritiker (der bedeutendste war wohl Nietzsche; der Verfasser) vorkommen, die meinem Tannhäuser eine spezifisch christliche, impotent verhimmelnde Tendenz andichten ..."

Vielmehr scheint hier in der Form der ungehemmten Geschlechtslust - gewissermaßen pars pro toto - der Genuß an sich als höchster Wert angegriffen zu werden, der Genuß ohne Rück-sicht auf menschliche Beziehungen (Elisabeth) und gesellschaftliche Verpflichtungen - und schon haben wir wieder eine Aussage, die heute so zeitlos gültig ist wie etwa die vielfältigen Sentenzen des "Ring": Wohin führt es, wenn große Teile der Menschheit, die "Spaßgesellschaft", das Leben als eine immerwährende Party auffaßt? Doch wohl nur zum langsamen, aber sicheren Untergang einer großen Kultur, ohne Donnerschlag, mit müdem Gähnen!

Szenenwechsel: Solche mythischen Bezüge gibt es in den ganz realen Meistersingern natürlich nicht, dafür aber eine Utopie: die Versöhnung aller mit allen, ein umsonntes Leben in der Welt der gerade beginnenden Reformation, die durch Bauernkriege, Seuchen und Religionsgreuel doch alles andere als harmonisch war. Und wer bringt diese Versöhnung zustande: natürlich die Kunst! Richard Wagners ganz persönliches Wünschen und Trachten!

Die Inszenierungen

"Die Aufgab ist gestellt ..." (Tannhäuser), wie gehen sie die Regisseure an?

Keith Warners Lohengrin kann die düstere Welt Brabants kaum erhellen. Sie ist schwarz, nebelig, von einer matten Sonne gelegentlich beschienen. Der mächtige König Heinrich ist ein altersschwacher Greis, und die Zauberin Ortrud scheint diese Welt zu dominieren. Zum Jubeln ist kein Anlaß, und so scheint das ganze Bühnenbild, von Anfang bis zum Schluß, die dunkle Seite der Erde zu zeigen: Dauernacht! Der Mythus vom Erlöser aus dem fernen Gral ist in dieser Inszenierung sehr relativiert. Ob das nun in Wagners Absicht liegt: Warner und Lazarides (Bühnenbild) ist ein Eindringen in die Tiefen der Seele gelungen - die innere Landschaft wird freigelegt.

Ganz anders im Tannhäuser: P. Arlaud wollte, nach eigener Aussage, viel Farbe durch Licht in seine Inszenierung bringen, und das ist ihm gelungen und daran ist auch gar nichts auszusetzen. Landschaft wie Sängerhalle sind in warme und pralle Farben getaucht - eine Freude fürs Auge !

Nur: das ist auch mehr oder weniger alles! Warum ist, in einer so farbigen Aufführung, ausgerechnet die Schlüsselszene am Anfang, Tannhäuser im Venusberg, so nichtssagend, wie man sie selten sieht?

Kann der Regisseur mit Erotik nichts anfangen? Wo ist da noch eine Spur von Wagners Bekenntnis "Meine wahre Natur ... umfing wie mit einer heftigen und brünstigen Umarmung die äußersten Gestalten meines Wesens, die beide in einen Strom: höchstes Liebesverlangen, mündeten" (Eine Mitteilung an meine Freunde 1851).

So hinterläßt diese Produktion alles andere als Spannung, wie sie der Tannhäuser unbedingt braucht!

Wolfgang Wagners bewährte Meistersinger sehen wir zum letzten Mal. Es ist eine lichte und farbige Inszenierung, genau wie es dieses Werk verlangt. Wenn Richard Wagner schon einmal - außer dem Liebesverbot - seinen tiefen Humor auf der Bühne zeigt, warum dann, um Gottes willen, dem nicht stattgeben und dafür Probleme zu schaffen, wo es sie nicht gibt!? Nürnberg - Deutschland - grüßt die Welt, die stilisiert, als bühnenumspannender Globus, mit Breiten- und Längengraden, präsent ist. Vor dieser Kulisse erfolgt das bunte Treiben der Zünfte, und der biederkomischen Meistersinger. Die Schusterstube, der Abend vor Sach- sens Haus, die Prügelszene, das ist Atmosphäre, das sind Eindrücke, auf die das Wort des Komponisten paßt: "... wenn diese Szene und Darstellung so beschaffen ist, daß die Musik aus ihnen vollkommen gerechtfertigt und verständlich erscheint."

Die Akteure

Da sind zunächst Orchester, Dirigenten und Chor. Meistersinger und Tannhäuser dirigierte Christian Thielemann. Nicht umsonst erhält er Prädikate wie "der deutsche Dirigent" oder ein "neuer Stern" am Bayreuther Himmel. Man hat den Eindruck, bei den Meistersingern noch mehr als bei Tannhäuser, daß hier Musik aus "Urtiefen" ertönt, daß die Allgewalt dieser Wagnerschen Harmonien vollkommen erfaßt wird.

Die Chöre haben ihr einmaliges Niveau beibehalten, Chorleiter E. Friedrich steht voll in der Tradition von N. Balatsch.

Bei den Sängern ist zunächst einmal R. Trekel zu erwähnen, der in der Rolle des Heerrufers in Lohengrin, besonders aber als Wolfram von Eschenbach im Tannhäuser hervorsticht. Zum einen singt er einen männlich-klangvollen Bariton, zum andern verfügt er über beachtliche Spielqualitäten, die er als leidender Wolfram - nicht beachteter Liebender Elisabeths und treuer Freund Tannhäusers - subtil, aber eindringlich demonstriert.

Einen fantastischen Baß besitzt Kwang-Chul Youn, der als Landgraf im Tannhäuser zeigt, daß diese Stimmlage nicht nur kraftvoll, sondern auch klangschön sein kann.

Im Lohengrin überzeugen

L. Watson als Ortrud: dominant, lüstern und verderbenbringend in einem, und R. D. Smith als Lohengrin, mit leider nicht mehr so leuchtender Stimme wie im Vorjahr.

Eine der schönsten Figuren der Wagnerschen Welt ist Hans Sachs. In Robert Holl hat der größte der Meistersinger einen Darsteller und Sänger gefunden, der sich sehen und hören lassen kann: souverän-gelassen und stimmgewaltig.

Mit ganz wenigen Ausnahmen waren die Gesang- und Spielleistungen der Hauptfiguren in allen drei Werken gut und sehr gut - echte Ensembleleistungen auf Festspielniveau.

Ausblick:

Wohltuend war, im Vergleich zum turbulenten Vorjahr, daß Bayreuth wieder Bayreuth ist, will sagen, daß Richard Wagner im Mittelpunkt stand und nicht Nachfolgequerelen und Politdiskussionen Presse und Fernsehen füllten. Wir können nur hoffen, daß es möglichst lange so bleibt und sich die ganzen Neuproduktionen der nächsten Jahre somit ungetrübt entfalten können:

2003 "Der fliegende Holländer"

2004 "Parsifal"

2005 "Tristan und Isolde"

"Der Ring des Nibelungen" mit Christian Thieleman am Dirigentenpult.

 

"Umfaßte das griechische Kunstwerk den Geist einer schönen Nation, so soll das Kunstwerk der Zukunft den Geist der freien Menschheit über

alle Schranken der Nationalitäten hinaus umfassen. Das n a t in o n a l e Wesen in ihm darf nur ein Schmuck, ein Reiz individueller Mannigfaltigkeit, nicht eine hemmende Schranke sein." (Zitat Richard Wagners aus "Die Kunst und die Revolution")

Foto: Lohengrin, Bayreuther Festspiele 2002

 

Der "neue Stern am Bayreuther Himmel" ist der Generalmusikdirektor der Deutschen Oper Berlin, Christian Thielemann. Thielemann, der 1959 in Berlin geboren wurde, begann schon in sehr frühen Jahren mit der harten, aber, so Karajan, "unabdingbaren Ochsentour" des klassischen Kapellmeisters durch zahlreiche kleinere Bühnen. Nach zwanzig Jahren Opernerfahrung konzentriert sich Thielemann, der unter anderem erster Gastdirigent des Teatro Comunale die Bologna war, nun auf ausgewählte Orchester und wenige Opernhäuser wie Covent Garden London, die New Yorker MET, die Wiener Staatsoper sowie auf die Salzburger und Bayreuther Festspiele. Um mehr Zeit dem Wandern, Lesen oder Museumsbesuchen widmen zu können, begrenzt Christian Thielemann die Anzahl seiner Dirigate auf höchstens 65 pro Saison.

Ein bevorzugtes Reiseziel des dreiundvierzigjährigen weitgereisten Mannes ist Ostdeutschland. Diese Region liegt ihm aufgrund seiner landschaftlichen und kulturellen Sonderstellung besonders am Herzen, und so engagiert er sich schon seit Jahren für die Fertigstellung einer Dokumentation über das Schloß Friedrichstein im Kreis Königsberg-Land. Schon mehrmals hat er im / (Folge 25/02) um Erlebnisberichte und Fotos von dem Schloß gebeten, da ihm zur Vollendung seines Werkes noch einige Details fehlen. Natürlich hat Christian Thielemann auch schon im Königsberger Dom ein Konzert dirigiert, und es ist davon auszugehen, daß ihn noch viele Reise in die angestammte Heimat vieler Leser des s / führen werden.

Konzentrationspause: Christian Thielemann, Generalmusikdirektor der Deutschen Oper Berlin und Dirigent bei den Bayreuther Festspiele
 
     
     
 
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