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Kalter Krieg:

 
     
 
Anfang nächsten Jahres wolle die USA die Stasi-Akten de Hauptverwaltung Aufklärung (HVA) des Markus Wolf auf über einhundert CD-Rom schrittweis an Deutschland zurückgeben. Durch Auszüge aus diesen Akten wurde vor einigen Jahren de Top-Spion Rainer Rupp alias Topas enttarnt, den die Stasi im Nato-Hauptquartier plazier hatte. Im Durcheinander der "Wende"-Zeit waren sie 1990 wohl nicht gan zufällig
in die USA gelangt.

Die Freude über diese Quelle zur Aufarbeitung deutscher Zeitgeschichte ist bei de Hohepriestern der politischen und historischen Moral merkwürdig gedämpft. Die Forderun nach ihrer schonungslosen Offenlegung haben sie bisher nicht erhoben. Dafür gibt e Gründe. Der Historiker Hubertus Knabe, Mitarbeiter der Gauck-Behörde, hat eine Vorgeschmack darauf gegeben, was ihnen ins Haus stehen könnte. Rund 20 000 bi 30 000 Bundesbürger, schätzt Knabe, wirkten als Informelle Stasi-Mitarbeiter (IM) Und sie waren nicht um irgendwelcher Banalitäten willen angeworben worden. Sie sollte Einfluß nehmen auf die Politik und Meinungsbildung in der Bundesrepublik (Hubertus Knabe West-Arbeit des MfS. Das Zusammenspiel von "Aufklärung und Abwehr" Ch.-Links-Verlag, Berlin 1999).

Diesen Auftrag haben sie glänzend erfüllt. Viele der gesellschaftlichen Debatten un Auseinandersetzungen, die für die Nach-68er-BRD bis heute mythenbildend un identitätsstiftend sind, waren wesentlich von den strategischen Überlegungen de Staatssicherheit inspiriert. Schon seit längerem ist bekannt, daß die antisemitische Schmierereien und Drohbriefe, die zeitgleich zum Eichmann-Prozeß in Westdeutschlan auftauchten, in den Schreibstuben der Stasi verfaßt wurden – und die angebliche Briefe verängstigter Juden gleich dazu. Auch die Kampagne gegen den Bundespräsidente Heinrich Lübke als "KZ-Baumeister" beruhte auf Material, das von der Stas manipuliert worden war.

Der Einwand, daß Geheimdienste zum Schnüffeln und Desinformieren nun einmal da sind daß SED und Stasi ihr Spiel verloren haben und die BRD nicht ernsthaft beschädige konnten, verfehlt den Kern dieses deutsch-deutschen Kapitels. Mit Lübke, um bei diese frühen Beispiel zu bleiben, wurde nicht einfach ein – ablösungsreifer – Bundespräsident demontiert. Mit ihr nahm auch die denunziatorische Atmosphäre, die bi heute wie eine Käseglocke über dem Land liegt, ihren Anfang.

Ansatzpunkt war die Erschütterung der deutschen Gesellschaft durch das NS-Regime. Da schlechte Gewissen über tatsächliche oder vermeintliche braune Verstrickungen führt zur Wehrlosigkeit gegenüber einem moralisch aufgeladenen, antifaschistischen Furor, de allmählich eine mediale Hegemonie errang. Hinzu kam die naive Unkenntnis diese "antifaschistischen" Strategie und Vernetzungen. Die Grundlage für rational politische Diskurse war damit zerstört. Im Dezember 1961 hatte Stasi-Minister Eric Mielke die Richtung vorgegeben: "Wir müssen die Arbeit auch in der Beziehun verändern, daß wir unsere Probleme an die Menschen in Westdeutschland herantragen, da wir die positiven Kräfte stärken und die Ultras und ihre Lakaien zersetzen. Wir müsse eine scharfe Auseinandersetzung zwischen den verhandlungsbereiten Kräften und de Kräften, die an der alten Position festhalten, herbeiführen." Im Klartext "Gestärkt" werden sollte, wer tendenziell bereit war, dem Regime ein politische und moralische Legitimität und Gleichberechtigung zuzugestehen. Die andere sollten "zersetzt" werden.

Die Stasi kümmerte sich um Medien, Hochschulen, Kulturinstitutionen, kirchlich Stiftungen, Parteien – um die Schaltstellen der Ideologie- und Meinungsproduktio also. Willige Helfer rekrutierte sie vornehmlich unter Journalisten, Jusos, SPD- un AStA-Mitgliedern, Maoisten, Politologen, "Friedensforschern" "Rechtsextremismus-Experten", linksbürgerlichen Politikern. Erfolge zeigte sich schon in den siebziger Jahren: Nun gehörte es zum guten Ton, die DDR als zweite deutschen Staat statt als Diktatur zu bezeichnen. Und zwar nicht nur auf offizielle Ebene, wo das, um der Menschen willen, opportun sein mochte. Auch die DDR-Forschung wurd zunehmend als "wertfreie" Sozialgeschichte betrieben, der Unterschied zwische Diktatur und Demokratie eingeebnet. Wer diese Veränderung des Meinungsklimas als Folg einer altlinken Zersetzungsstrategie bezeichnete, wurde als "kalter Krieger" oder einfach als Narr verlacht, bearbeitet, isoliert, manchmal auch "zersetzt" Und doch war er der Wahrheit ganz nahe.

Gleich nach dem Krieg nahmen in der Konspiration gestählte Altkommunisten un sowjetische Geheimdienststellen ihre Tätigkeiten in der SBZ auf, knüpften alt Beziehungen in der Westzone neu und trugen systematische Dokumente und Justizakten aus de NS-Zeit zusammen zur späteren Verwendung. Material und Strukturen ermöglichten es langfristig eine Freund-Feind-Politik in Gang zu setzen, wie sie sich Carl Schmitt nich erfolgreicher hätte ausdenken können.

Sie wäre nicht so erfolgreich gewesen ohne die innere Bereitschaft sogenannte fortschrittlicher Kräfte des Westens. Halb zog es sie, halb sanken sie hin. Rainer Rup wurde am Rande einer Studentendemonstration gegen die "Notstandsgesetze" be einem Teller Gulaschsuppe angeworben. Konkret-Chef Klaus-Rainer Röhl und Ulrike Meinhof nahmen in konspirativen Wohnungen Anweisungen von der Stasi entgegen. Henri Nannen bracht via "Stern" die Lübke-Fälschungen unter die Leute. In alten Fernsehaufnahme sieht man Nannen in der Kämpferpose für Recht und Wahrheit. – Ein manipulierte Manipulierer.

Noch immer ist diese Unterwanderung nicht ins allgemeine Bewußtsein gehoben geschweige denn aufgearbeitet und überwunden. Bernd Michels, langjähriger Sprecher de schleswig-holsteinischen SPD, wurde wegen Stasi-Kontakten 1996 zu 18 Monaten Haft – auf Bewährung – verurteilt. Von Selbstkritik der Nord-SPD ist indes nichts bekannt Oder Till Meyer, Ex-Terrorist des "2. Juni", der sich bei der taz und in linksalternativen Milieu West-Berlins tummelte. Das Verfahren gegen ihn wurde eingestell – "mangels Aktenfunden". Am 28. Oktober 1999 schwärmte der SPD-Politike Erhard Eppler im Deutschlandfunk von der Friedensbewegung der frühen achtziger Jahre. E verschwieg, daß die seinerzeit sehr aktive Aktion "Generäle für den Frieden" aus Ost-Berlin 100 000 Mark erhalten hatte oder der vielzitierte Friedensforsche Gerhard Kade über einschlägige Kontakte verfügte. Berlins früherer FDP-Chef Willia Borm, aktiver Friedensmarschierer und Gründer von "Republikanischen Clubs" in den sechziger Jahren, die er – mit Stasi-Geldern – auch finanzierte, stan ebenfalls im Sold der Stasi.

Derlei geistige und politische Kollaboration mit dem SED-Regime wurde und wir umgelogen zum "kritischen Diskurs" oder zur "Aufarbeitung deutsche Geschichte", und was es an Wortgeklingel sonst noch gibt.

Die Stasi wurde nervös, als die Rasterfahndung im Zuge der Terroristenbekämpfun eingeführt wurde, weil sie geeignet war, auch ihre Spitzel herauszufiltern. Das Geschrei das damals in Ost und West über die Einschränkung demokratischer Grundrecht veranstaltet wurde, wird auch im Lichte dieser Mitteilung zu bewerten sein.

In den achtziger Jahren stellte der Ausreisedruck mehr als alles andere die Existen des DDR-Regimes in Frage. Ihre Bekämpfung hatte für die Stasi absolute Priorität. I Sommer 1989, als die Flüchtlingswelle auf dem Höhepunkt war, forderte die Alternativ Liste von Berlin (West), DDR-Flüchtlinge wie Asylanten zu behandeln, also abzuschrecken Objektiv besorgte die Alternative Liste damit die Geschäfte Erich Mielkes – tatsächlich nur objektiv?

Hubertus Knabe meint, die inbrünstige Beschäftigung mit dem Dritten Reich sei ein Ersatzhandlung, um einer kritischen Selbstreflexion über den eigenen Umgang mit de zweiten totalitären System zu entgehen. Das ist eine freundliche Deutung, die vorhanden Scham voraussetzt. Zum Teil mag sie zutreffen. Für die anhaltenden antifaschistische Exorzisten aber gibt es einen viel praktischeren Grund: Die Furcht, als Stasi-Kollaborateur erwischt zu werden und Ansehen, Pfründe, warme Sessel zu verlieren Solange das Geschrei über den braunen Sumpf nur laut genug ist, sind die Stimmen, die au den roten Sumpf hinweisen, nicht zu hören.
 
     
     
 
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