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Nahost-Debatte

 
     
 
Der Nahost-Konflikt hat die ideologischen Lager in Deutschland von grundauf durcheinander gewirbelt. Insbesondere die Linke sieht sich von einer Front zerrissen, an der eben noch Verbündete nunmehr haßerfüllt aufeinander einschlagen - und das lange nicht mehr bloß mit Worten.

Zum bedingungslosen Verteidiger der israelischen Politik hat sich eine Gruppe aufgeschwungen, die sich bizarrerweise "Antideutsche
Kommunisten" nennt. "Nieder mit Deutschland - Lang lebe Israel - Für den Kommunismus" lautet der abstruse Schlachtruf. Die "Antideutschen" sehen eine geheime Verschwörung aus "Nazis, Autonomen und Islamisten" am Werk. Die Palästinenser seien eine zur "Selbstmordsekte mutierte Gesellschaft", wie der Berliner Antideutschen-Führer Justus Wertmüller konstatiert. Und die Deutschen? "Das verbrecherischste Drecksvolk der Welt", donnert ein anderer "Antideutscher" ins Internet.

Geistig angeführt wird der verwirrte Haufen durch das altbekannte linksradikale Kampf-Organ "Konkret" von Herausgeber Hermann L. Gremliza. Für den gelernten Deutschenfresser ist ohnehin jede erdenkliche deutsche Regung untrüglicher Ausweis der moralisch-historischen Minderwertigkeit dieses Volkes - und Beleg für die Allgegenwart des NS-Ungeistes.

In perfider Abwandlung der Hitler-Ideologie erklärt auch Gremliza den Nationalsozialismus quasi zur Erfüllung des Deutschtums. In seiner Fortschreibung vergangener Rassentheorien hat Gremliza lediglich Gut und Böse vertauscht. Demnach müssen nun die Deut- schen als Eiterbeule der Menschheit herhalten. Und auch für ihn gibt es - ganz in der braunen Logik - nichts Undeutscheres als einen Juden. Aus diesem Haß auf das eigene Volk speist sich die falsche Israel-Begeisterung der "Antideutschen", nicht etwa aus ehrlich empfundener Solidarität mit einem bedrängten Land.

Israels linke Feinde definieren sich ironischerweise nicht minder aus den angeblichen Lehren der NS-Vergangenheit. Sie wollen antivölkisch, antirassistisch und antiimperialistisch sein. Der Judenstaat erscheint in ihrer Propaganda allerdings als Monstrum schlechthin: rassistisch, völkisch und imperialistisch. Propagandistisch gehen die Israelverächter kaum weniger brachial zur Sache als die "Antideutschen" und scheuen dabei auch gewalttätige Ausdrucksformen nicht. So wurde unlängst ein Angehöriger der antideutschen Politsekte "Sinistra" im Frankfurter Linksradikalentreff "Exzess" mit einem Fausthieb traktiert. Vorher hatten sogenannte Autonome angesichts der "Sinistra"-Leute gepöbelt: "Da geht der Mossad!"

Hier werden die "Antideutschen" als "antiarabische Rassisten" beunkt, die "ihr Heil in der israelischen Volksgemeinschaft finden", wie sich ein "Autonomer Beauftragter für Sektenwesen" zur "Lang lebe Israel"-Parole ausläßt. Die antifaschistische Entlarvung der kommunistischen, angeblichen Israelfreunde steuert ein Mit- kämpfer bei: "Die Antideutschen wollen eigentlich wieder stolz auf irgendwas sein: Wie Philosemitismus nur ein anderer Aggregatzustand von Antisemitismus ist, so sind die Antideutschen getrieben von dem unterbewußten Drang, wieder in einer Volksgemeinschaft aufzugehen. Die deutsche ist diskreditiert, dann sucht man sich halt eine andere."

Womit jedenfalls klar ist, daß gegen "Antideutsche" zu sein in diesem politischen Biotop keineswegs bedeutet, eine prodeutsche Haltung einzunehmen. Auffallend ist vielmehr, daß beide verfeindeten Lager auf das gleiche Repertoire "antifaschistischer" Phraseologie zurückgreifen. Nur daß sie sich die Verleumdungs-Schablonen gegenseitig über den Kopf ziehen, welche sie eigentlich für die politische Rechte gezimmert hatten. Mit maximaler moralischer Vernichtungswut wird dort unter Linken versucht, sich gegenseitig jeden Funken von Menschlichkeit abzusprechen. Die Unkultur von Verdacht, Ausgrenzung, Stigmatisierung durch Schwingen der Faschismuskeule kehrt sich gegen ihre eifrigsten Hantierer.

Da kann es dann schon zu beklemmend grotesken Szenen kommen. Der verstorbene Vorsitzende des Zentralrats der Juden, Bubis, hatte den Schriftsteller Martin Walser 1998 noch als "geistigen Brandstifter" gegeißelt, weil dieser die "Instrumentalisierung des Holocaust zu gegenwärtigen Zwecken", sprich: seinen Mißbrauch, öffentlich kritisiert hatte. Was Augenzeugen von der großen Palästinenserdemo in Berlin Mitte April berichten, bestätigt Walsers Befürchtungen auf bedrückende Weise. Was er gemeint hat, konnte hier mit Hän-den gegriffen werden. "Stoppt Scharons Endlösung" oder "Laßt keinen zweiten Holocaust zu" hieß es auf Transparenten. Ebenso "Zionisten sind die wahren Rassisten" oder "Scharon ist ein Mörder und Faschist".

Aus demselben Demonstrationszug tönte es aber auch: "Wir wollen keine Judenschweine" und sogar "Heil, heil, heil Hitler". Es war jene Kundgebung, auf der ein junges Mädchen als Selbstmordattentäter verkleidet von seinem Vater umhergetragen wurde - ein Bild, das durch alle Medien ging.

Ob Bubis seine heftige Kritik an Walser angesichts solch gespen-stischer Bilder wiederholen würde? Unübersehbar ist, daß Israelfeinde wie "-freunde", daß selbst Palästinsenser hemmungslos Gebrauch machen von den Leiden der NS-Opfer. Und daß die Vergangenheits- Ver- gegenwärtigung in Deutschland längst zu einer Allzweckwaffe zwecks moralischer Vernichtung des Gegners verkommen ist - ganz, wie Walser es formuliert hat.

Fraglich ist, ob die eilfertige Suche nach Antisemiten, wie sie in Deutschland angesichts des Nahost-Konflikts erneut grassiert, einer besonnenen Haltung nicht eher schadet denn nützt. "Antisemitismus" weist heutzutage geradewegs nach Auschwitz, ist also ein moralisch tödlicher Anwurf. Das hat insbesondere bei der Linken dazu geführt, daß je-de erdenkliche Position meint, nur hysterisch aufgeladen unter Verweis auf "Auschwitz" bestehen zu können. Wer sich in dieser Atmosphäre ins Dickicht feinerer Differenzierung (etwa zwischen Kritik und Ressentiment) hineinwagt, läuft Gefahr, als Opfer willkommener scheinheiliger Entrüstung gesteinigt zu werden.

Walser hatte in seiner resonanzträchtigen Friedenspreisrede von 1998 seinem tiefen Vorbehalt gegen die erstarrten deutschen Gedenkrituale Ausdruck verliehen. Dafür bekam er schlimmste Verdächtigungen zu hören. Rituelle Bekenntnisse zur deutschen Schuld und gegen den Antisemitismus seien immer noch besser als gar keine, hieß es damals. Walsers Gegner konnten oder wollten nicht begreifen, welch übler Morast sich hinter solch "rituellen Bekenntnissen" ausbreiten kann. Nun können sie ihn alle sehen.

Erstaunliches gibt es auch rechts von der Mitte zu vermerken. Manche, die hier mit einigem Grund vor den Gefahren eines aggressiven Islam warnen, wollen den Israelis derlei Sorgen offenbar partout nicht zugestehen. Am äußersten Rande des rechten Spektrums vermeint man gar Sympathien für islamistische Kämpfer zu entdecken - trotz deren Feindseligkeit gegen alles Abendländische, eo ipso auch Deutsche. Von linken und liberalen Kreisen wird dies umgehend als Beweis für den bei der Rechten schon immer vermuteten Antisemitismus gebrandmarkt. Das dürfte in Teilen sogar zutreffen. Für die Zwanghaftigkeit der Debatte aber spricht, daß die Möglichkeit, es handele sich um ein gekränktes Gerechtigkeitsempfinden (zugunsten der Palästinenser), gar nicht erst in Betracht gezogen wird. Verdacht, Verleumdung und letztlich Instrumentalisierung ersticken auch hier jede offene, faire Auseinandersetzung.

Paul Spiegel setzt sich, wie es als Zentralratsvorsitzender der Juden seine Pflicht ist, vehement für Israels Recht auf nationale Selbstbehauptung ein. Nicht wenige Deutsche unterstützen ihn hierin aus innerster Überzeugung. Doch handelt es sich in der Regel um solche Deutsche, mit denen gerade Spiegel nichts zu tun haben will - jene nämlich, die das Recht auf nationale Selbstbehauptung jedem, also auch dem deutschen Volk zugute halten. Spiegel aber warf bürgerlichen Politikern (in direkter Anspielung auf Brandanschläge) vor zu "zündeln", als sie auf Erhaltung einer deutschen Leitkultur drängten. Hier tut sich eine Glaubwürdigkeitslücke auf, die auch mit dem Hinweis, in Deutschland gebe es (noch) keine islamistischen Selbstmordattentäter, nicht gänzlich geschlossen werden kann. Die radikalen Islamisten, auf deren Konto die Anschläge in Israel gehen, lassen keinen Zweifel daran aufkommen, daß die Eroberung, sprich Vernichtung, des Judenstaates nur ein Etappenziel ist auf dem Weg zu einer gewaltsam islamisierten Welt. Der Bau immer neuer Moscheen in Deutschland und seinen westeuropäischen Nachbarn dient in dieser Strategie eben nicht bloß der seelsorgerischen Betreuung muslimischer Auswanderer, sondern folgt ihrer Überzeugung nach dem Befehl des Propheten Mohammed, den ganzen Globus für den Koran zu erobern.

Der beunruhigende Eindruck, Deutschland solle hier etwas Selbstverständliches verwehrt werden, was man anderen zugesteht, drängt sich zumal jüngeren Deutschen auf. Dieser Verdacht ist Gift für das deutsch-israelische Verhältnis. Doch wer getraut sich schon, öffentlich darauf hinzuweisen? Folgt nicht sofort die moralische Keule, man wolle irgend etwas "relativieren" etc.? So rumort ein böses Gefühl von Ungerechtigkeit leise vor sich hin, entfernen sich Gedachtes und offen Gesagtes immer weiter voneinander. Bis dieses Gefühl auf verwundenen Pfaden zum Ausbruch kommt. Und in seinen neurotischen Formen nur noch als Haß erkennbar wird: Haß auf Israel, Haß auf Deutschland, Haß auf Juden, Haß auf Andersdenkende jedweder Couleurs.

Besserung ist nicht in Sicht, solange die offene Ehrlichkeit eines Walser bestraft und heuchlerische Beflissenheit gleichsam angemahnt wird, als sei sie die "Lehre aus der Geschichte
 
     
     
 
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