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Medien-Mythen gegen alte Wahrheiten

 
     
 
Daß Deutschland zu wenig Kinder hat, war schon in den 70er Jahren absehbar. Anders als im Westen gelang es in der DDR zwar kurzfristig, die Geburtenrate zu steigern, so bekam 1980 jede mitteldeutsche Frau im Durchschnitt immerhin noch zwei Kinder, während im Westen schon damals nur 1,4 Kinder pro Frau das Licht der Welt erblickten. Aber schon 1988 wurden in der DDR nur noch 220000 Kinder geboren, 1994 - auf dem absoluten Tiefpunkt in Mitteldeutschland - sogar nur 79000. Pro Frau ergab das 0,77 Kinder - der niedrigste Wert, der weltweit jemals erfaßt wurde. In den alten Ländern (ohne Berlin) wurden 2004 gerade mal 577000 Kinder geboren. 1990 waren es noch 705000 Babys - mehr als im heutigen wiedervereinigten Deutschland insgesamt. Die niedrigen Geburtenzahlen sind also keineswegs neu - und die daraus resultierenden Folgen auch nicht. Hierauf haben Personen wie Herwig Birg, Paul Kirchhof und Christa Meves schon längst hingewiesen, doch ihnen wollte und will die große Öffentlichkeit selbst heute nicht zuhören. Jetzt wollen alle es gewußt haben, die weitsichtigen Mahner von gestern sind nur lästig, da sie einem das Gegenteil beweisen können.

 

Es ist schon erstaunlich. Seit 30 Jahren liegen die Prognosen auf dem Tisch der Politik, angefangen mit den Berechnungen des Bielefelder Bevölkerung
swissenschaftlers Herwig Birg Anfang der 70er Jahre, über den Wälzer der Bundestags-Enquete-Kommission Demographischer Wandel aus der Mitte der 80er bis hin zu zahlreichen Büchern und Aufsätzen Ende der 90er Jahre. Überall war das gleiche zu lesen: Die Deutschen bekommen zu wenig Kinder, die Sozialsysteme gehen pleite. Aber es interessierte niemanden. Kohl nicht, Schröder erst recht nicht und Merkel auch nicht. Kohls Arbeitsminister Blüm gab sogar die Parole aus: Prognosen für das Jahr 2000 seien unseriös. Genauso argumentiert jetzt Blüms Nachfolger Müntefering mit dem Blick auf 2012. Aber es gibt keine Wissenschaft, die in ihren Vorhersagen treffsicherer ist als die Demographie. Die Abweichungen zu den Berechnungen der 60er und 70er Jahre liegen im Ein-Prozent-Bereich.

Jetzt tun alle erschrocken, heucheln und fragen: was nun? Dabei liegt nicht nur die Diagnose auf dem Tisch, sondern auch die Therapie. Das Bundesverfassungsgericht hat sie in mehreren Urteilen verkündet: Gerechtigkeit für Familien. Unsere sozialen Sicherungssysteme favorisieren die Kinderlosen - einige Experten sagen sogar, die Systeme geben Prämien an Kinderlose auf Kosten der Eltern.

Das ist mehrfach ausgerechnet worden. Man spricht von einer Transferausbeutung der Familien in Höhe von mindestens 80 Milliarden Euro pro Jahr. Das liegt schlicht daran, daß das Existenzminimum der Kinder nicht voll steuerfrei ist und bei den Sozialbeiträgen überhaupt nicht berücksichtigt wird. Genau das verlangen die Karlsruher Richter seit nunmehr 14 Jahren. Wir leben, wie ein Ehemaliger von ihnen, Paul Kirchhof, sagt, "im permanenten Verfassungsbruch".

Das kann auf Dauer nicht gut gehen. Es ist eine schlichte Wahrheit, daß niemand gern freiwillig arm, außerdem ungerecht behandelt und im Fall von Müttern und Hausfrauen auch noch diskriminiert wird. Unzählige Paare, die gerne Kinder hätten, bekommen dann doch keine - aus diesem Grund. Sie fürchten die Verarmung. Der neoliberale US-Ökonom und Nobelpreisträger Paul Anthony Samuelson hat das einmal auf diese Formel gebracht: "Kinder zu bekommen ist wirtschaftlich gesehen völlig irrational." Das Herz hat eben Gründe, die der Verstand nicht begreift, meinte schon der französische Philosoph Blaise Pascal, und natürlich bekommen wir Kinder, weil wir lieben. Es ist die Schuld der Politik seit Jahrzehnten, daß sie diese Liebe durch Ungerechtigkeit bestraft. Hinzu kommt noch, daß sie auch die Tötung von ungeborenen Kindern zuläßt und die Abtreibung mit 40 Millionen Euro im Jahr über Krankenkassen und andere Systeme finanziert, ein Aderlaß von nachweislich acht Millionen Menschen, die Deutschland heute fehlen. Diese 40 Millionen in eine Stiftung gesteckt - wie sehr könnte man damit jungen Frauen helfen, ihre Kinder auszutragen und Liebe zu schenken statt zu töten!

Hinzu kommt die Verachtung. Sie ist in der Politik besonders zu spüren. Die jetzige Familienministerin hat eingeräumt, daß man eigentlich Politik für den Arbeitsmarkt macht, nicht für die Familie. Die ist wohl Nebensache. Und das ist auch der Kern der Demographie-Lüge, die Verachtung und Verleugnung der Familie und ihrer lebensspendenden Kräfte. Vom Kindeswohl spricht keiner mehr. Dagegen brechen in der Gesellschaft Konfliktlinien zwischen einzelnen Gruppen auf. Die Kinderlosen gegen die Eltern, Alte gegen Junge, Beamte gegen Angestellte, Arbeiter gegen Unternehmer, Staatsbetriebe gegen Private. Alles dreht sich um die Arbeit. Auch die Familie soll in den Derwisch-Tanz um das neue goldene Kalb einstimmen. Ernst Jünger sprach schon mal vom Totalitarismus der Arbeitswelt und in Amerika wird dieses Thema mit Blick auf die Familie jetzt auch analysiert. Der Soziologe Jay Belsky schreibt in diesem Sinn auch von den "ideologischen Türwächtern", jenen Journalisten, ja der "Intelligentsia, die beschlossen hat, daß es erwerbstätigen Müttern nicht leid tun darf, wenn sie ihre Kinder in eine Krippe oder einen Hort bringen. Deswegen werden sie mit guten Nachrichten über ihren Status überschüttet". Daraus entstehen die Mythen von den guten erwerbstätigen Frauen und werden wissenschaftliche Erkenntnisse über die Notwendigkeit frühkindlicher Bindung wie Samisdat-Schriften auf kleinen Treffs und Kolloquien weitergereicht. Die Mythen für das große Publikum stehen den Wahrheiten für das Archipel derjenigen entgegen, die an Familie und selbstloser Liebe festgehalten haben.

So setzt die Ideologie der Arbeit und Erwerbstätigkeit Maßstäbe, die den Kindern nicht gut tun und die der Gesellschaft auch nicht nützen. Unberührt von neutralen Statistiken der OECD etwa wird einfach behauptet, in Frankreich sei die Erwerbsquote von Frauen wegen der Betreuungsmöglichkeiten sehr hoch, dabei liegt sie noch unter der deutschen Frauenerwerbsquote. Auch die kreative Kraft der Liebe wird, schon weil sie nicht meßbar ist, in die Schublade Gefühle gesteckt, und Begriffe wie Mütterlichkeit oder gar Mutterliebe stellt man gern in den Schatten tierischer Instinkte, das ist unkontrollierbar und schon deshalb auch nicht produktivitätssteigernd. So geht das Humanum vor die Hunde. Davon aber redet niemand in Berlin. Die Demographie-Lüge ist ein Produkt der Ideologie vom absoluten Vorrang der Erwerbstätigkeit.

Sicher, solche Gedanken und ideologischen Grabenkämpfe hat es seit der 68er-Revolution schon immer gegeben. Neu ist in der Demographie-Debatte allerdings das große Schweigen der Kirchen und der C-Politiker. Auch die Pressemitteilungen der Bischofskonferenz lesen sich wie die Papiere von Sozial-Arbeitskreisen. Wo ist der Mensch? möchte man mit der Laterne in der Hand fragend über den Marktplatz gehen. Die Politik zeigt sich ratlos. Ist das nicht die Stunde der Kirchen, auf die Quelle des Humanum, die Liebe und ihren privilegierten Ort, die Familie, immer und immer wieder hinzuweisen? So wie Johannes Paul II. es tat und wie es auch sein Nachfolger Benedikt XVI. tut? Der Zeitgeist ist immer in der Etappe, nie an der Front, meinte Otto von Habsburg einmal auf einer Paneuropa-Tagung. Wo steht die Kirche in Deutschland? Es gibt einige wirklich mutige Bischöfe, die man besser nicht nennt, damit sie keinen unnötigen Ärger mit Amtsbrüdern bekommen. Und die Gewissensfrage gilt ja auch für jeden einzelnen: Wo stehe ich, in der warmen Etappe oder an der Front? Wie halte ich es mit den Müttern, den wahren Helden der Nation? Habe ich ihre Arbeit, wenigstens verbal, schon mal anerkannt? Reagiere ich auf die ideologischen Vorbehalte in Politik und Medien? Wie verteidige ich die selbstlose Liebe in der Familie? Plädiere ich für das Kindeswohl, auch wenn es den Parolen der Politik und der veröffentlichten Meinung nicht paßt? Nenne ich die Demographie-Lüge beim Namen?

Solange es keine massiven Antworten in Deutschland auf solche und ähnliche Fragen gibt, solange wird sich am Denken und damit an den sinkenden Geburtenzahlen und dem Dahinsiechen des Landes nichts ändern. Und dennoch: Es tut sich was. Denn alle diskutieren ja jetzt über die Demographie, die Fakten sind eben nicht mehr zu übersehen. Aber auch hier herrscht wieder die große Heuchelei. Und zwar in Form eines Erkenntnisopportunismus. Plötzlich wissen es viele und haben noch mehr seit Jahren schon davor gewarnt. Heimo Schwilk spießt diesen Erkenntnisopportunismus unübertrefflich auf, wenn er in der "Welt am Sonntag" schreibt: "Nicht der Bevölkerungswissenschaftler Herwig Birg, der unermüdlich vor der Bevölkerungskatastrophe gewarnt hatte, sondern Frank Schirrmacher mobilisiert nun die Öffentlichkeit; nicht Christa Meves, sondern Bischof Huber ist in aller Munde, wenn es um die allfällige Ehrenrettung der Familie geht. Aber ist es nicht das Schicksal der Avantgarde, niedergemacht zu werden? An ihrer Stelle pflanzt die Nachhut dann ihr Fähnlein auf." Man kann nur hoffen, daß die Opportunisten der alten Erkenntnisse standhaft bei der Fahne bleiben. Denn die Auseinandersetzung um die Folgen des demographischen Defizits haben erst begonnen. Soviel ist sicher: Die Reste der Avantgarde, Christa Meves voran, werden standhaft bleiben. Sie haben zeitlebens gegen Stürme von Lügen bis hin zu persönlichen Verunglimpfungen gekämpft und nun wissen sie zu viel, als daß die neuen Winde ihren Hals in Richtung neuer Ideologien wenden könnten.
 
     
     
 
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