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Mehr als Kreuzritter-Klischees

 
     
 
Die grenzüberschreitende Beliebtheit des Romans "Die schöne Fra Seidenmann" von Andrzej Szczypiorski bewies erneut, daß es auch in der Literatur vo Bedeutung ist, das Richtige zur richtigen Zeit zu sagen. Schließlich war das Buch in deutscher Sprache 1988 erschienen, also kurz bevor die Mauern zwischen Ost und West
fiele und der Kalte Krieg sein Ende fand.

Die eigentliche Rezeption erfolgte zur Zeit der Wiedervereinigung der Deutschen und de damit verbundenen Notwendigkeit einer Neuorientierung, des Nachdenkens über die eigen Identität, der Besinnung auf Geschichte – der alten, vor allem aber der neueren speziell der NS-Zeit, die wie ein Alptraum auf dem Bewußtsein der Deutschen lastet.

Kein Wunder also, daß die Deutschen begierig in den ihnen von dem unlängs verstorbenen Polen dargebotenen Spiegel sahen und Szczypiorskis Roman als Therapeutiku aufnahmen. Das faszinierendste an dem leicht zugänglichen Werk ist die menschlich-relativierende Sicht der Deutschen inmitten des Grauens der Kriegszeit.

Neben die mörderische Gestalt des Gestapo-Hauptmanns Stuckler tritt der lebensrettend deutsche Unternehmer Müller, der die Jüdin Irma Gostomska-Seidenmann aus den Fängen de Geheimpolizei befreit. Darüber hinaus denkt Szczypiorski grundsätzlich über die Grausamkeit des Menschen nach.

Der Autor legt dem in Lodsch aufgewachsenen Sozialdemokraten Müller bei desse entscheidender Begegnung mit Stuckler folgende Sätze in den Mund: "Die Polen sin nicht die schlechtesten. Unter uns gesagt sind manche von ihnen jetzt etwas enttäuscht (...) es gab hier viele, die jahrzehntelang auf uns gezählt haben. Sie fühlten sich un näher als den Moskowitern."

Und nach dem Husarenstreich der Befreiung sinniert Müller im Kaffeehaus vor de Geretteten über sein Volk: "Stuckler ist Deutscher, und die Deutschen sin gradlinig. (...) Die Deutschen sind flach wie ein Brett! Ohne Phantasie, ohne Heuchelei ohne Unaufrichtigkeit. Man hat Stuckler befohlen, die Juden auszurotten, also tut er es Falls man ihm befehlen sollte, die Juden zu mögen, wird er Ihnen, gnädige Frau, die Han küssen und Sie mit dem besten französischen Kognak bewirten. Disziplin, Genauigkeit Redlichkeit bei jeder Arbeit. Bei der verbrecherischen leider auch!"

Der Ton der Überlegungen mag irritieren, der Wahrheit nah sind sie allemal. Das gil auch für Müllers Fazit: "Im nüchternen Ehrgeiz, im unermüdlichen Streben nach de Erstrangigkeit (...) steckt der deutsche Wahn. (...) Wenn die Geschichte den Deutsche einst die Pflicht zur Verstellung auferlegte, würden sie die vollkommenste Scheinheiligen unter der Sonne sein."

Andrzej Szczypiorski wäre kein Pole, wenn er den Erwägungen über die deutsch "Tyrannei der Perfektion" nicht ein Lob der "gesegneten Krankheit de Polentums" folgen ließe, das "gerade deshalb so schön ist", weil e "unvollkommen, unvollendet, ungewiß, suchend, unordentlich, launenhaft, ungebändig ist, genau wie ein Verrückter, den ein Engel an der Hand führt".

Bezeichnenderweise bemerkte in Deutschland kaum jemand, daß die relativierende Art de Betrachtung der Kriegszeit in "Die schöne Frau Seidenmann" einer ausgeprägte Traditionslinie der polnischen Literatur folgt. Schon vor Szczypiorski hatte eine Reih wichtiger Autoren, allen voran Jaroslaw Iwaszkiewicz und Andrzej Kusniewicz, dem Haß un der Kollektivschuld eine Absage erteilt.

Die Polen, die kaum befreit von der NS-Schreckensherrschaft unter die Vormundschaft de anderen – russischen – Erbfeindes gerieten, waren durch solche Erfahrungen, die in ihrer Geschichte immer wieder vorkamen, zum relativierenden Denken gewissermaße vorherbestimmt.

Iwaszkiewicz und Kusniewicz zum Beispiel stammten aus den östlichen Regionen Polens die zeitweise Teil der k. u. k.-Monarchie waren und heute der Ukraine angehören. Ihr Heimat ist nicht nur eine außerordentlich fruchtbare Kulturlandschaft, wo sich Polnische und Ukrainisches mit Russischem mischte und wo auch viele Juden und Deutsche lebten. E ist zugleich ein Land des Leidens, in dem Morden und Brennen, größere und kleiner Kriege eher die Regel als die Ausnahme bildeten.

Beide Schriftsteller zeichneten Menschengestalten gemischter ethnischer Herkunft, die in ein national motiviertes Kriegsgeschehen verwickelt die Absurdität ihrer Situatio erlebten und erlitten. Der Krieg wird dabei auf sein pures Skelett entblößt: die de Menschen angeborene Lust am Töten.

Selbst die bekanntesten Werke der polnischen Holocaust-Literatur sind weitgehend fre von ethnischen Schuldzuweisungen. Zofia Nalkowska, die Autorin der Auschwitze Erzählungen "Medaillons", stellte diese unter das Motto: "Menschen habe Menschen dies angetan". Sie rekonstruierte die KZ-Erlebnisse von Frauen aufgrund vo Erlebnisberichten und hob diese insbesondere auf die Ebene psychischer Verletzungen.

Persönlich lernte sie Auschwitz als Mitglied der Kommission fü nationalsozialistische Verbrechen kennen, also zu einer Zeit, als dort andere Häftling einsaßen – deutsche Gefangene und polnische Oppositionelle Pritsche an Pritsche.

Auch Tadeusz Borowski, der unter dem NS-Regime in dem KZ einsaß, schildert die Lagerwirklichkeit auf ähnliche Weise. Sein Thema ist die Ansteckungskraft des Bösen un die Anfälligkeit des Menschen für das Böse. Die Opfer werden nicht als Helde dargestellt, sondern als auf einfachste Überlebensreflexe reduzierte Wesen.

All diese um tiefere Einsichten bemühten Werke erschienen dem deutschen Lesepublikum das an das Axiom der Alleinschuld des eigenen Volkes gewöhnt war, eher befremdlich. Trot zahlreicher guter Übersetzungen blieben sie weitgehend unbeachtet.

Ähnlich einseitig fällt die gesamte Wahrnehmung der häufig vorkommenden Gestalt de Deutschen in der polnischen Literatur aus. Im allgemeinen Bewußtsein sind fas ausschließlich die negativen Stereotypen verankert.

Schon Jan Dlugosz, erster wichtiger polnischer Literat und Chronist des 15 Jahrhunderts, hattte in seinem Bericht über die Schlacht bei Tannenberg die Ritter de Deutschen Ordens als grausam, hochmütig und gottlos bezeichnet. Die sogenannte "Kreuzritter" wurden mit der Zeit zur sattsam bekannten Symbolfigur de nationalen Bedrohung und des Kampfes gegen Fremdherrschaft. In neuerer Zeit bildeten si eine Art Prototyp der Figur des SS-Mannes.

Adam Mickiewicz, der bedeutendste polnische Romantiker, stellte trotz seiner Prägun durch deutsche Professoren an der Universität Wilna und seine glühende Verehrung Goethe in dem Poem "Konrad Wallenrod" die Kreuzritter als tödliche Feinde de litauischen Volkes dar. Allerdings wollte er damit vor allem die Bedrohung Polens durc das Zarenreich veranschaulichen.

Besonders nach dem Zweiten Weltkrieg wurde das Werk Mickiewiczs dann auf seh oberflächliche Weise als gegen die Deutschen gerichtet interpretiert.

Den nachhaltigsten Einfluß hatte jedoch der Jugendroman "Die Kreuzritter" (1890) des späteren Nobelpreisträgers Henryk Sienkiewicz, in dem der Deutsche Orden als Ausbund des Bösen erscheint und den edlen Polen unermeßliches Leid zufügt. Das Buch wa in der Zeit des Dranges nach einem eigenen Staat entstanden, wurde aber von de zeitgenössischen Kritik distanziert aufgenommen. Erst die Verfilmung nach 1945 und die Verordnung als Schulstoff ermöglichten den "Aufstieg" zum antideutschen Buc par excellence.

Neben all diesen Negativprojektionen zeichnete sich schon sehr früh die Gestalt de meist vorteilhaft dargestellten deutschen Kolonisten ab, des Neuansiedlers und Nachbarn So gibt es bei Ignacy Krasicki, dem bedeutendsten Schriftsteller der polnischen Klassik Bischof in Heilsberg und Gesandten am Hof Friedrichs d. Gr., in seinem Roman "Her Truchseß" einen deutschen Müller, dessen Fleiß sich beispielhaft auf die polnisch Umgebung auswirkt.

Fast zur gleichen Zeit wie Sienkiewiczs "Kreuzritter" stellte Boleslaw Pru in seinem vielgelesenen Roman "Die Puppe" (1889) die deutsche Kaufmannsfamili Minzel in Warschau dar, deren Bürgertugenden wie Fleiß und Zuverlässigkeit als vorbildlich erscheinen. Auch dieses Werk wurde in der Nachkriegszeit verfilmt, jedoc unter Auslassung der Minzels.

Bei der Vergegenwärtigung des Deutschen-Bildes in der kommunistischen Ära fällt ei starkes Ungleichgewicht zwischen der hohen Literatur und den Massenmedien ins Auge Letztere wurden besonders sorgfältig überwacht und verbreiteten zahlreiche negativ Stereotypen. Die Gestalt des bösen Deutschen durchgeisterte sogar Kinder- un Jugendfilme.

Der Publizist Adam Krzeminski stellte zu Recht fest, daß der Haß gegen die Deutsche als Mörtel des stalinistischen Imperiums diente. Werke der hohen Literatur lieferte dabei manchen Stoff für den Medienkitsch. Allerdings gerieten die Darstellungen in Filmen, in der unübersehbaren Trivialliteratur und später im Fernsehen derar aufdringlich propagandistisch, daß sie beim Publikum nicht selten Widerwillen weckten un sich Kritiker gegen die Vorstellung vom ewig "bellenden Deutschen" wandten.

Die hohe Literatur selbst blieb trotz der roten Zensur eine jederzeit begehbare Brück der Verständigung zwischen Deutschen und Polen. Eine Brücke, auf der es seit der 89e Wende weiter vorwärts ging.

Renata Schumann wuchs in Oberschlesien auf, promovierte 1979 in Breslau über "Da Bild der Deutschen in der polnischen Literatur" und siedelte 1983 in die Bundesrepublik aus. Als Schriftstellerin machte sie sich hier vor allem durch de Erzählband "Muttersprache – Oberschlesische Geschichten" (1993) und de Roman "Ein starkes Weib – Das Leben der Hedwig von Schlesien" (1996) eine Namen.


 
     
     
 
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