|  | Viel hat die Hohe Düne erlitten, viel ha     sie selber angerichtet; aber was jetzt mit ihr passiert, das hat es in ihrem bewegte     Leben noch nicht gegeben: Stacheldraht zerreißt sie an ihrer höchsten und schönste     Stelle, trennt die europäische Sandwüste in zwei feindliche Hälften, teilt damit nich     nur ein einzigartiges Stück Natur und sperrt den herrlichsten Naturpfad unserer Zonen     sondern zerstört auch die Hoffnung auf ein baldiges Zusammenwachsen einer veränderte     Welt. 
 Hier war der Punkt, wo Wilhelm von Humboldt die Kurische Nehrung
   in den Rang vo     Italien und Spanien erhob, da unzählige Wanderer vom Glücksgefühl überwältigt wurden     Wo der "Reiseführer von Anno dazumal  Die Kurische Nehrung" notierte     "Das Panorama der mächtigen Hohen Düne, welches der tiefergriffene Wanderer hie     oben in sich aufnimmt, ist so märchenhaft schön, daß es weit und breit seinesgleiche     sucht." 
 Tausende zogen in Jahrhunderten über die Düne, und sie selbst unter ihnen unentweg     nach Osten. Sie taten sich nichts zuleide; sie gehörten zusammen. Und welch ei     wunderbares Erlebnis nach Jahren des Ausgesperrtseins in der Nachkriegszeit, diese     Höhenweg endlich erneut genießen zu können! Es war mehr als ein Wiedersehen; es war da     Geschenk des Schöpfers mit seiner kostbaren Schöpfung.
 
 Aber heute! Vom Haff bis an die Ostsee reicht der Stacheldrahtzaun. Wer aufmerksam     Augen hat, kann ihn am ersten litauischen Schlagbaum (wenn er von Süden kommt) erkennen     Nicht sehen kann er seinen Anfang kurz vor dem Grabschter Haken und sein Ende an de     Vordüne beim Meer.
 
 Damit nicht genug: Beiderseits breiten sich zunehmend gebieterisch Sperrzonen aus     jeweils mehrere Kilometer tief. Die Verbotsschilder wurden immer weiter gesetzt  bi     jetzt die gesamte Hohe Düne abgeriegelt ist. Bis ins braune Tal des Schweigens reicht die     Barriere.
 
 Höchste Vorsicht ist hier angezeigt. Wehe dem Besucher, der es riskiert, ein paa     Schritte weiterzugehen, oder der sich auch nur verläuft. Urplötzlich steht die     Staatsgewalt vor ihm. Paß! Verhaftung! Drohende Worte, nicht gerade freundlic     gesprochen. Das ändert sich  meistens  erst, wenn man sich mit D-Mar     freigekauft hat.
 
 Neuerdings ist auch die Schwarzorter Düne gesperrt worden, die die Litauer "Tot     Düne" nennen. Das ist ebenso falsch wie der Vorwand, diese drakonischen Maßnahme     dienten dem Naturschutz. Das trifft zu, wenn  wie jetzt auf der Parniddener Dün      nahe am Sturzhang Bänder und Schilder diese kritische Zone gegen unvernünftig     Besucher abschirmen. Aber die mächtigen Buckel der gewaltigen Sandmassen, die allezei     den Besuch des Menschen ohne Schaden überstanden haben, brauchen sich auch jetzt nich     vor Gästen zu fürchten, deren Zahl kaum größer als ehedem ist. Markierte Wege wäre     vorstellbar, aber kaum vonnöten. Man soll die Natur schützen und nicht einkerkern.
 
 Die erste spürbare Folge ist: riesige Enttäuschung bei den Touristen. Viele von ihne     kommen hauptsächlich, um dieses einzigartige Erlebnis zu genießen. Wenn nun de     Besucherstrom, vor allem nach dem Kleinod Nidden, spürbar nachgelassen hat, dann mag ein     Ursache auch hierin liegen. Es gibt allerdings noch mehr Hinweise darauf, daß dort manch     Leute die internationalen Gepflogenheiten eines Gastlandes nicht gern praktizieren     speziell gegenüber deutschen Touristen. Ein paar Beispiele:
 
 In den Maschinen der litauischen Fluglinien erfolgen die Ansagen  trotz viele     Beschwerden  in Litauisch und in Englisch, auch wenn die Passagiere nur oder fas     nur Deutsche sind.
 
 An den Grenzübergängen wetteifern die litauischen Behörden offenbar zunehmend mi     den russischen um den Sieg des längsten Aufenthals für die Reisenden. (Es ware     übrigens die Litauer, die mit der rigorosen Grenzziehung  siehe auch oben      anfingen.)
 
 In den Hotels, die überwiegend deutsche Gäste haben, spricht das Personal hartnäcki     überwiegend nur litauisch oder englisch, obwohl es teilweise Sprachkurse in Deutsch     speziell für den Hotelgebrauch, bekommen hat. Bei den Preisen kennt man den westliche     Standard, bei der Zimmerqualität oft nicht. Das Wohlbefinden der Gäste interessier     nicht immer, so daß die Nachtruhe durch unziemlichen Lärm  wie überlaut     Disko-Musik bis in den frühen Morgen, gestört wird. "Wenn das den Deutschen nich     gefällt, sollen sie doch abreisen." So die Antwort eines Direktors auf die     Beschwerde einer Reiseleitung. In Aufenthaltsräumen, Foyers und Bars stellen sic     einheimische Besucher demonstrativ vor den Fernseher, damit deutschen Zuschauern der Blic     (beispielsweise bei einem Fußballänderspiel) versperrt wird, ohne daß jemand von de     anderen Tresenseite eingreift. In Restaurants sind die Sprachbarrieren oft so hoc     aufgebaut, daß es unmöglich ist, ein Gericht zu bestellen. Bei der Beschriftung in     Museen und ähnlichen Einrichtungen wird die deutsche Sprache tunlichst gemieden, auc     wenn es sich um Präsentationen mit besonderem deutschen Bezug handelt. Oder gerade dann?
 
 Landkarten werden so ausgewählt, daß die Vergangenheit "entdeutscht" ist     "Warum das alles?", fragen wir in Sorge. "Vielleicht, weil sie Angs     haben?!", lautet die Antwort aus litauischem Mund, ebenso besorgt. Soll man lache     oder weinen? Festzustellen bleiben zwei Punkte:
 
 1. Viele Litauer fürchten offensichtlich die historische Wahrheit.
 
 2. Das offizielle Litauen übertreibt die neu gewonnene Souveränität. Auf diese     Basis kann kaum eine gemeinsame Zukunft aufgebaut werden.
 
 Zwei Konsequenzen scheinen daher geboten: Litauen muß den Weg zur Unbefangenhei     gegenüber geschichlichen Tatbeständen finden; einfach sagen, daß das Memelland ers     seit 1947 im Auftrage Moskaus von Litauen verwaltet wurde, bis dahin aber 700 Jahre lan     deutsch war, ausgenommen die durchaus umstrittene Zugehörigkeit zu Litauen von 1923 bi     1939.
 
 Nicht weniger wichtig ist eine Politik, die sich vom antiquierten Nationalismus abkehr     und nach den Prinzipien unserer Zeit handelt. Wer in die Europäische Gemeinschaft will     muß Grenzen abbauen und nicht aufrichten, das Gemeinsame suchen, das Trennende bannen. E     ist gewiß auch kein Zufall, wenn bei der Bewerbung um die EU-Mitgliedschaft Litauen unte     den baltischen Staaten auf den letzten Platz zurückgefallen ist.
 
 Noch ist von einer Wende im offiziellen und halboffiziellen Bereich, aber auch in     weiten Teilen der Bevölkerung wenig zu spüren. Die Tendenz ist eher umgekehrt     betrachtet man die Jahre seit der Wende. Damals, als wir alle gehofft hatten, da     Zusammenfinden unserer beiden Völker sei das einfachste Problem dieser Region im Umbruch.
 
 Glücklicherweise ist aber auch das andere zu beobachten. Die Zeichen der Verbundenhei     mehren sich (Ännchen-Brunnen in Memel, Gedenktafeln, Patenschaften und vieles mehr). Die     Freundschaften über alle Grenzen hinweg, die Zahl der Einsichtigen, Gutwilligen     Unvoreingenommenen, Wegweisenden mehren sich und lassen hoffen. Da wächst eine neu     Bervölkerung heran, die sich nicht mehr mit alten Strukturen, Doktrinen und Lehre     abfinden wird.
 
 Noch hinken die Litauer hinter den Russen und vielleicht sogar den Polen in diese     historischen Umwälzungsprozeß her. Doch der Sinneswandel, der die neuen Bewohner unsere     alten Ostdeutschlands erfaßt hat, ist schon spürbar. Wir alle haben dort unsere Heimat. J     eher auch alle das begreifen, desto besser ist es für uns hier wie für sie dort, fü     das Land und für unsere gemeinsame Zukunft.
 
 
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