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Rosemarie Fiedler-Winter sprach mit Dr. Jürgen Hogeforster vom Hanse-Parlament

 
     
 
Wie beurteilen Sie die gegenwärtige Situation des deutschen Handwerks?

Das Handwerk befindet sich in einer sehr schwierigen Lage, denn wir haben es ja nicht nur mit einer Konjunkturkrise sondern mit einem tiefgreifenden Strukturwandel zu tun. Einem Strukturwandel, der bei uns durch die Wiedervereinigung verschoben worden ist, den aber fast alle europäischen Länder in den neunziger Jahren realisieren konnten. Der Markt hat sich geändert. Es sind neue überregionale Kooperationen erforderlich. Wir müssen wieder eine höhere Qualifizierung erreichen. Dafür bietet sich vor allem das Feld der Ausbildung an, und wir sprechen uns ausdrück-lich für eine Elite-Schulung aus. Nicht etwa, um die Schwachen zu benachteiligen, sondern in der sicheren Erkenntnis, daß wir ohne Elite den Schwachen gar nicht helfen können.

Um in dieser Richtung erfolgreich zu sein, wurde durch die Initiative der Handwerkskammer in Hamburg schon vor einiger Zeit eine technische Akademie für das Handwerk gegründet, die ein duales Fachstudium anbietet, aus dem hochwertig ausgebildete
junge Menschen hervorgehen, und wir sind jetzt dabei, darauf eine Fachhochschule aufzubauen, die zu einem Bachelor-Abschluß im Handwerk führt und die allererste Ausbildungsmöglichkeit dieser Art im gesamten Bundesgebiet sein wird; damit wollen wir auch jenseits unserer Grenzen ein Beispiel setzen. Die Mitglieder unseres Hanse-Parlamentes sind an den Bachelor-Studiengängen stark interessiert. Damit besteht die große Chance, gemeinsam eine international anerkannte, hochwertige Eliteschule für Unternehmer im Ostseeraum zu etablieren.

Sprechen Sie damit eine der vorrangigen Zielsetzung an, die sich auch das Hanse-Parlament zu eigen macht ?

Genau so ist es. Bereits durch die EU-Norderweiterung haben wir ja die große Chance erhalten, diesen Nordraum, der ein reiner Restraum am Rande Europas war, als neuen Markt zu entwickeln. Dafür haben wir als Hanse-Parlament ein Konzept aufgestellt, um den Ostseeraum vor allem für die mittelständische Wirtschaft erneut zu erschließen.

Welche konkreten Aufgaben haben Sie sich dafür gestellt, und wie gehen sie ihre Lösungen an?

Die konkreten Aufgaben sind grenzüberschreitende Kooperationen zwischen Unternehmen aufzubauen, bei denen wir Hilfestellung geben, und damit fördern wir auch jenen Strukturwandel, den wir in Deutschland so nötig haben. Um damit rasch voranzukommen, haben wir einen "Partner-search-Service für gezielte Vermittlung betrieblicher Kooperationen und wirtschaftlicher Zusammenarbeit in Nord-Ost-Europa" eingerichtet. Im Angebotsschreiben heißt es "Die Vermittlung der Partner geschieht auf der Basis der umfangreichen Mitgliederdateien der jeweiligen Mitgliedsorganisationen des Hanse-Parlaments, sowie auf deren exzellenten regionalen Marktkenntnissen und intensiven Kontakten zu Behörden, Ministerien, Handelsfirmen usw." Jedem Interessenten werden drei mögliche Partner vorgeschlagen, und die Kammer des Landes, in dem die Aktion angesiedelt werden soll, begleitet den Interessenten aus dem Nachbarstaat, gibt Beratung und Hilfestellung.

Außerdem organisiert das Hanse-Parlament für die mittelständische Wirtschaft und das Handwerk einen Austausch von jungen Menschen, die sich in der Ausbildung befinden. Ein Austausch, der der jeweiligen Ausbildungszeit angerechnet wird. Dafür haben wir einen "Euro-Bildungspaß" ent- wickelt, der den Teilnehmern ihr Austausch-Lernergebnis bescheinigt. Inhaber dieses Bildungspasses der von uns einbezogenen Länder werden in Deutschland auch zur Gesellenprüfung zugelassen. Damit wollen wir die Jugend rechtzeitig an das internationale Kooperations-Prinzip des Hanse-Parlaments heranführen.

Zu unseren Aufgaben gehören auch gemeinsame Projekte der Weiterbildung, um deren Finanzierung wir uns kümmern. Dafür, wie auch auf anderen Gebieten wie beispielsweise Qualitätsmanagement, Technikentwicklung, Umweltschutz, erarbeiten wir für unsere Mitglieder Förderanträge, die wir in Brüssel einreichen.

Haben sich bei Ihrer Arbeit im Rahmen des Hanse-Parlaments Länderschwerpunkte oder auch geographische Schwachstellen gezeigt?

Besonders stark und zwar mit großem Abstand ist im Hanse-Parlament Polen aktiv. Auch Lettland zählt zu den stark engagierten Teilnehmern. Von den drei baltischen Staaten ist es das aktivste, wenn es auch nicht mit dergleichen Kraft auftreten kann wie Polen. Von den langjährigen EU Ländern wieder-um zeigen vor allem Finnland und Dänemark ein besonders großes Engagement.

Die deutsche Teilnahme war dagegen bisher reichlich enttäuschend. Die Organisationen von Hamburg und Cottbus sind zwar außergewöhnlich einsatzbereit, aber im übrigen Norddeutschland ist unser System des Austauschs und der Gegenseitigkeit noch kaum angenommen worden. Wir erklären uns das mit der allgemein zurückhaltenden Mentalität norddeutscher Kammern. Die Exportquote des Handwerks nach Polen ist zum Beispiel in Baden-Württemberg deutlich höher als in Norddeutschland. Dort erhalten mittelständische Betriebe auch Fördermittel ihrer Landesregierung, und ein eigenständiges Programm unterstützt sowohl in Stuttgart als auch in München den Einsatz der mittelständischen Wirtschaft in neuen Märkten. So etwas findet in Norddeutschland überhaupt nicht statt.

Wie sieht es dann mit handfesten Schwierigkeiten aus, die das Hanse-Parlament zu beklagen hat?

Für das Handwerk macht sich da zunächst die Sprachbarriere bemerkbar. Wir haben sie teilweise durch Fremdsprachenunterricht und durch ein Sprachbuch überwunden, das sogar auf der Buchmesse ausgezeichnet und von der Handwerkskammer Hamburg mit der Handwerker Akademie und dem Sparkassenverlag Stuttgart hergestellt worden ist. Es hilft den Handwerkern in Dänisch, Deutsch, Englisch, Polnisch und Russisch sich in ihrem Arbeitsbereich zu verständigen, auch wenn sie die Landessprache nicht beherrschen.

Ein besonders schwerwiegendes Problem sind aber auch die bürokratischen Anforderungen der europäischen Administration. Für kleine Betriebe bleiben sie mit Antragspapieren, die annähernd Buchform erreichen, einfach unüberwindbar. Deshalb bündeln wir jetzt im Hanse-Parlament die Ideen einzelner Betriebe und entwickeln daraus ein Konzept, das wir in Brüssel einreichen. Vor allem setzen wir uns dafür ein, daß das Förder-System geändert wird, so daß sich die Förderung nicht an dem eingereichten Plan und dessen akribischer Einhaltung orientiert, sondern an dem Ergebnis, das das Vorhaben de facto erbringt. Also, daß die dafür notwendige Planung und Kontrolle von einer Input- in eine Output-Kontrolle umgewandelt wird. Darin sehe ich eine Aufgabe für das Hanse-Parlament, daß der gesamte Ostseeraum geschlossen auftritt und versucht, die EU zu entbürokratisieren.

Welche Projekte des Hanse-Parlaments stehen zur Zeit im Mittelpunkt, und wie wird die Zusammenarbeit koordiniert?

Wir werden bei der laufenden Erweiterung der Handwerkskammer von St. Petersburg als Hanse-Parlament und in diesem Falle vorwiegend mit deutschen Erfahrungen zum Aufbau neuer Einrichtungen herangezogen. So zum Beispiel dafür, eine systematische Berufsbildung aufzubauen.

Wir wollen unsere Fachhochschule für mittelständische Unternehmer in Hamburg als internationale Ausbildungsstätte entwickeln.

Wir wollen ein Internet-System des Hanse-Parlaments einrichten, das den uns angeschlossenen Betrieben rund um die Ostsee untereinander eine unmittelbare Direktverbindung ermöglicht.

Die Projekte und ihre Realisierung werden in der jährlich stattfindenden dreitägigen Vollversammlung von den 28 Mitgliedern beschlossen, die Arbeitsvorschläge aus der Praxis ihrer Betriebe einbringen. Diese Vollversammlung fand 2002 in Estland statt und wird im August dieses Jahres in Finnland durchgeführt. Arbeitsgruppen übernehmen Detailaufgaben. Wir sind eine Organisation am Puls der Praxis, wir haben keine Rechtsform, sondern sind Ansprechpartner, die sich am Bedarf und den praktischen Notwendigkeiten orientieren. Sozusagen in sich selbst eine Alternative zu überhand nehmender Bürokratie.

Worin sehen Sie jetzt die besondere Bedeutung des Hanse-Parlaments, und welche Auswirkungen erwarten Sie?

Ich sehe die größte Bedeutung des Hanse-Parlaments darin, daß es Betriebsinhabern aus den Ländern Polen, Litauen, Schweden sowie Dänemark und Städten wie beispielsweise Hamburg, also aus dem gesamten Ostseeraum, möglich macht, gemeinsam, in persönlichem Kontakt Qualifizierungssysteme zu entwickeln, die die Zukunft der mittelständischen Wirtschaft entscheidend bestimmen werden.

Von erheblicher Bedeutung wird auch die mittel- und langfristige Wirkung, insbesondere in Deutschland, sein, die dazu zwingt, hart zementierte Strukturen aufzubrechen und festgefahrene Wege zu verlassen. Von den mittel- und osteuropäischen, insbesondere den skandinavischen Ländern, können wir sehr viel mehr Flexibilität, Mut zum Wagnis und Offenheit für eine Aufbruchstimmung lernen.

Die grenzüberschreitende Zusammenarbeit hat aber insbesondere weitere wirtschaftliche Effekte: Wir haben heute so im Hamburger Handwerk eine Exportquote von 4 Prozent. Unser Ziel ist es, sie durch die Arbeit des Hanse-Parlaments auf 20 Prozent zu erweitern und dadurch einen durchschnittlichen Umsatzanteil von 16 Prozent zu gewinnen.

Hinzu kommt, daß die Europäische Union bisher vorwiegend auf Südeuropa ausgerichtet ist, 70 Prozent ihrer Maßnahmen gelten dem Mittelmeerraum. Wenn wir den Ostseeraum zu einer großen Wirtschafts-Region entwickeln, dann können wir im Rahmen der Europäischen Union, deren Strategien ohnedies auf Regionen und nicht auf einzelne Länder ausgerichtet sind, einen Ausgleich erwirken, dessen Entwicklung auch die Beachtung vielschichtiger kultureller Aspekte eröffnet. Wir wollen dem europäischen Osten wirtschaftlich Weltgeltung verschaffen und der Globalisierung zu einem neuen Gleichgewicht verhelfen.

 

Interviewpartner: Dr. Jürgen Hogeforster ist Hauptgeschäftsführer der Handwerkskammer Hamburg und Leiter des Sekretariats des Hanse-Parlaments.

Das Hanse-Parlament ist ein Zusammenschluß von 28 Kammern und Fachorganisationen des Handwerks und der mittelständischen Wirtschaft aus den neun Ostsee-Anrainerstaaten. Diese haben in Anlehnung an den historischen Bund der Hanse ein Konzept entwickelt, das eine enge grenzüberschreitende Zusammenarbeit von Menschen und Betrieben vorsieht und der Region Nordost-Europa eine neue Bedeutung verleihen will. Sitz und Ausgangspunkt des Hanse-Parlaments ist Hamburg, so daß die Situation des deutschen Handwerks für die Entwicklung seines Netzwerkes von ausschlaggebender Bedeutung ist.

Kogge: Stolzes Symbol für das in Hamburg ansässige Hanse-Parlament
 
     
     
 
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