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SPD und PDS: War Sachsen-Anhalt nur der Auftakt für ein historisches Bündnis?

 
     
 
Die Analyse Günter Rohrmosers über den Zustand der parlamentarischen Demokratie und der sie tragenden Parteien aus dem Jahre 1985 ("Das Debakel") ist leider auch heute zutreffend: "Die traditionellen Parteien in der Bundesrepublik leiden an einem Identitätsverlust oder verändern ihre Identität wie ein Chamäleon, je nach der Richtung, in der der Zeitgeist zu wehen scheint. Das hat schwerwiegende Folgen: Die Wähler wissen nicht mehr, welche Politik sie mit welcher Partei wählen. Indem sich die Parteien ihrer Verantwortung entziehen, politisch-geistige Führung und Grundorientierung wahrzunehmen, tragen sie selber zu einer zunehmenden Labilisierung der Gesellschaft, zu dem bei, was Theodor Eschenburg eine Stimmungsdemokratie genannt hat."

Zehn Jahre später faßte die "Gesellschaft für Kulturwissenschaft" abermals ihr wichtig scheinende Themen unter der Überschrift "Eine Republik kollaboriert – Die Erosion der Gemeinsamkeiten" in einer Reihe zusammen, deren dritter Titel "Geistige Grundlagen der deutschen Einheit
" lautete. Wo sind diese geistigen Grundlagen zu suchen und zu finden? Die Antwort von Günter Rohrmoser: "Als einzige Kraft und Medium der Orientierung und Reflexion bleibt nur noch die Geschichte. Die Geschichte als Quelle politischer Orientierung zu nehmen, ist heute Kern des Konservativen. Konservativ denken heißt heute nichts anderes, als geschichtlich denken. Es geht nicht um Vorstellungen und Ideologien von Geschichte, sondern um die wirkliche Geschichte."

In der Tat, ein Blick auf die nicht ideologisierte, sondern wirkliche Geschichte zeigt, daß sie einmal mehr brisante Aktualitäten gewonnen hat. Denn das, was sich im Gefolge der Landtagswahlen in Sachsen-Anhalt abgespielt hat und sich mit größter Wahrscheinlichkeit in Thüringen und Mecklenburg-Vorpommern wiederholen wird, beweist mit erschütternder Deutlichkeit, daß die Deutschen offenbar nicht fähig sind, aus ihrer jüngsten Vergangenheit zu lernen.

Diese Feststellung beinhaltet zwangsläufig die Frage, ob mit dem Zusammenbruch des Ostblocks auch der Kommunismus als Ideologie das Zeitliche gesegnet hat. Danach sieht es leider nicht aus: 1994 wurde in Sofia eine neue Kommunistische Internationale gegründet, der 22 kommunistische Parteien angehören. In Frankreich erleben wir, wie in der "Frankfurter Allgemeinen" am 17. Juni 1997 nachzulesen war, "eine unübersehbare Renaissance des Marxismus" mit der Folge, daß die Kommunisten in der Regierung vertreten sind. In Italien ist ein Überleben der Regierung ohne Duldung der Kommunisten, die heute als "Partito Democratico della Sinistra" (PDS) auftreten, nicht mehr möglich, und in Rußland stellt die "Kommunistische Partei der Russischen Föderation" (KPRF) mit 191 von 450 Abgeordneten in der Duma die stärkste politische Kraft dar. Mit anderen Worten: der Kommunismus ist nicht tot.

Auch nicht in Deutschland, wie Gregor Gysi wiederholt bekannt hat: "Antikommunistisch darf die PDS nicht werden, das ist für mich unabdingbar. Aber antistalinistisch müssen alle ihre Teile sein." Die stellvertretende Thüringische PDS-Landesvorsitzende Edda Seiferth hat es so ausgedrückt: "Um ihrem Zukunftsanspruch zu genügen, muß die PDS den kommunistischen Urglauben in neuer Qualität reproduzieren." So hält denn auch das Grundsatzprogramm der PDS am Feindbild Kapitalismus fest: "Bei allen Meinungsunterschieden gehen wir gemeinsam davon aus, daß die Dominanz des privatwirtschaftlichen Eigentums überwunden werden muß." Hier finden wir auch den Satz: "Dem welthistorischen Ereignis der sozialistischen Oktoberrevolution verdankt die Menschheit grundlegende günstige Entwicklungen im 20. Jahrhundert." Kein Zweifel: der Linksextremismus soll wieder politikfähig gemacht werden, um ihn an der politischen Machtausübung teilhaben zu lassen. Die pure Gier nach Macht läßt offenbar Undenkbares wieder denkbar erscheinen. Um diesem Ziel näher zu kommen, präsentierte daher im Januar 1997 ein breites Linksbündnis, bestehend aus führenden Gewerkschaftern, Grünen, Vertretern der evangelischen Kirche, bekannten Sozialdemokraten wie Egon Bahr, der brandenburgischen Sozialministerin Regine Hildebrandt, dem thüringischen Landesvorsitzenden der SPD und Landesinnenminister Dewis und natürlich PDS und DKP, die sog. "Erfurter Erklärung" mit dem anmaßenden Titel "Bis hierher und nicht weiter, Verantwortung für die soziale Demokratie" der Öffentlichkeit. In ihrem Aufruf zur Großdemonstration am 20. Juni in Berlin, dem etwa 20 000 Menschen folgten, wird mit der Parole "Aufstehen für eine andere Politik" die politische Stoßrichtung unmißverständlich beschrieben; die Bildung einer "starken und widerstandsfähigen außerparlamentarischen Bewegung, die auf das parteipolitische Spannungsfeld von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und PDS für einen Politikwechsel einwirkt." Eine nicht unbekannte Berliner Zeitung ("Neues Deutschland") hatte bereits am 10. Januar 1997 die Richtung gewiesen: "Gebraucht wird eine Opposition, die den Wechsel mit allen Kräften will. Sie kann nur aus den bisher getrennten Oppositionskräften entstehen. Kein Nichtberührungsgebot darf sie schrecken..."

Bekanntlich ist die SED aus der Vereinigung der SPD mit der KPD entstanden. Hauptmotiv für den Entschluß der Führung der DDR-SPD, den Lockungen der KPD zu folgen, war das Argument, daß nur die vereinte Arbeiterklasse fähig sein würde, eine erfolgreiche "antifaschistische Politik" durchzusetzen. Diese Entscheidung bedeutete, wie wir heute wissen, die totale Absage an eine Politik, für die die Gründungsväter dieser alten demokratischen Partei bis hin zu Kurt Schumacher und Ernst Reuter stets eingetreten waren. Es ist daher geradezu ein Verrat an den eigenen Idealen, wenn große Teile der SPD sich heute erneut mit der Nachfolgepartei der KPD bzw. SED zu einer neuen gemeinsamen "antifaschistischen Front" zusammenfinden wollen. Wer erinnert sich dabei nicht an das im August 1987 von der SPD-Grundwertekommission und der Akademie für Gesellschaftswissenschaften beim ZK der SED der Öffentlichkeit vorgestellte Papier, in dem sich beide Seiten gegenseitig ihre Existenzberechtigung beurkundeten und auf das "gemeinsame humanistische Erbe Europas" beriefen.

Für Kurt Schumacher waren jedenfalls, woran ausgerechnet der SPD-Kanzlerkandidat anläßlich dessen 40. Todestag (1992) erinnerte, "die Kommunisten rot-lackierte Nazis." Um so mehr sollte er sich auch daran erinnern, daß z. B. nach den blutigen Krawallen in Berlin im Mai 1929 die demokratischen Sozialisten zum Hauptfeind, zur Partei des Arbeiterverrats und zu Sozialfaschisten erklärt wurden, wie in den Protokollen des 12. Parteitages der KPD nachzulesen ist, wo ein Mitglied des Zentralkomitees der KPdSU erklärte: "Man kann gegen Faschismus nur kämpfen, in dem man einen Vernichtungskampf gegen die Sozialdemokratie führt."

So ist es wahrlich keine Überraschung mehr, wenn der oberste Gewerkschaftsvertreter in Norddeutschland, der kommissarische Vorsitzende des Landesbezirks Nordmark des DGB (Hamburg, Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern) mit dem schönen Familiennamen Deutschland für ein "historisches Bündnis links von der Union" eintritt.

Man kann es deshalb gut verstehen, wenn der Chefideologe der PDS André Brie – man höre und staune – in Washington auf einer Podiumsdiskussion des von Bonn mitfinanzierten "American Institute for Contemporary Studies" seiner Zuversicht Ausdruck gab, daß die PDS gute Chancen habe, in den neuen Bundesländern "hinter der SPD zweitstärkste Kraft zu werden", und formale Koalitionen zwischen der SPD und PDS nicht mehr ausschloß. Diese gute Chance wird ganz gewiß realisiert werden. Man braucht sich nur daran zu erinnern, was Reinhard Höppner auf dem "Rechtspolitischen Kongreß" der Friedrich-Ebert-Stiftung am 20. April 1997 in Mainz von sich gab: "Daß in der DDR Unrecht geschehen ist, wird niemand bezweifeln. Aber das reicht nicht aus, diesen Staat zu charakterisieren. Wer wollte unterstellen, daß es in der Bundesrepublik kein Unrecht gegeben hätte? Ab wieviel Unrecht ist ein Staat ein Unrechtsstaat?"

"Sonderweg nach Weimar" – so lautet die Überschrift einer kritischen Analyse, die Heinrich August Winkler – er lehrt Neueste Geschichte an der Berliner Humboldt-Universität und ist seit 1962 Mitglied der SPD – am 16. Mai in der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" veröffentlichte. Er schreibt: "Als eine Zäsur in der Geschichte der deutschen Sozialdemokratie, ja mehr noch, des deutschen Parteiensystems könnte sich der Tag, an dem Reinhard Höppner, der Ministerpräsident von Sachsen-Anhalt, beschloß, eine sozialdemokratische Regierung zu bilden und diese von der Partei des Demokratischen Sozialismus tolerieren zu lassen, sehr wohl erweisen. Die Sozialdemokratie wird sich im Kern verändern; sie wird, mehr nolens als volens, nach links rücken – in die Richtung, in die Höppner, Ringstorff und Drewes (ein "Westimport" aus dem Saarland, d.V.) sie drängen. Die Folgen hat die Partei insgesamt zu tragen – und da die SPD ihrerseits Teil eines großen Ganzen ist, nicht nur sie, sondern auch das parlamentarische System der Bundesrepublik Deutschland." Eine exakte Analyse des Geschehens. Aber hat der Sozialdemokrat Winkler nicht die klare Aussage des SPD-Kanzlerkandidaten Gerhard Schröder unberücksichtigt gelassen, daß eine nur mit Hilfe von PDS-Stimmen erreichbare Kanzlerschaft für ihn inakzeptabel sei? Wir können wohl davon ausgehen, daß diese Unterlassung nicht ohne Grund erfolgt ist. Sie dürfte aus der Überzeugung resultieren, daß die Erklärung Schröders einfach unglaubwürdig ist.

Schröder hatte 1990 nicht die geringsten Hemmungen, mit alten Sympathisanten des "Kommunistischen Bundes Westdeutschland" vom Schlage Jürgen Trittins eine Koalition zu bilden und diesen in sein Kabinett zu berufen. Nach den Wahlen 1994 in Sachsen-Anhalt forderte er energisch eine Zusammenarbeit mit der PDS und die Zuteilung von Ministerien, z. B. für Wohnungsbau und Soziales. Seine Begründung: "Was zählt, ist allein der Erfolg." Nach seiner neuesten Biographie wissen wir es noch besser.

Hier ist nachzulesen, daß zwar die fünf mitteldeutschen SPD-Fraktionsvorsitzenden mit ihrer "Dresdener Erklärung" eine klare Abgrenzung zur PDS als SED-Nachfolgepartei formuliert hatten. Bei den Beratungen im SPD-Präsidium am 15. August aber bezeichnete Schröder dieses Papier als "Firlefanz" und erklärte: "Einen solchen Zinnober mache ich nicht mit."

 
     
     
 
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