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Völkerrechtler Theodor Schweisfurth kritisiert das Bodenreformurteil des Bundesverfassungsgerichts

 
     
 
Das Bundesverfassungsgericht, als eine Art "Reparaturbetrieb" mißlingender und mißliebiger Gesetzesvorhaben und "Ersatzinstanz" für politische Schwächlinge und die Scheu von Regierenden zu klaren Entscheidungen ohnehin zunehmend überfordert, hat in diesem Sommer nun noch ein gravierendes Problem hinzubekommen, das – ob von den einzelnen Richtern akzeptiert oder nicht – an seine Grundfesten rührt und die Identität als staatstragende Institution und das nicht unwesentliche "Image" für seine künftige Rolle und Akzeptanz in Frage stellt. Die neue Herausforderung
kommt von der Rechtswissenschaft selbst, in Gestalt eines Buches des Völkerrechtlers Professor Theodor Schweisfurth (früher Viadrina-Universität Frankfurt/Oder, jetzt Heidelberg).

Die von verschiedenen führenden Rechts- und Staatswissenschaftlern bereits als grundlegende Arbeit zur Weiterverfolgung der Verfahren gegen die vollkommen mißglückten gesetzlichen Regelungen und Urteile in der Frage der Konfiskation 1945–1949 und deren Folgen für den Rechtsstaat, innere Einheit und Aufbau Ost bezeichnete Studie – sie entstand aus einer Schlußvorlesung in der Universität Frankfurt/Oder – hat tatsächlich das fälschlich als "Bodenreform"-Thema verengte Problem des Rechtsverfalls im neuen Deutschland exemplarisch beleuchtet.

Wie die starrsinnige Fortsetzung der Eigentumsvernichtung nach der deutschen Wiedervereinigung, im Machtkalkül der Politiker ersonnen, von "Fiskalisten" in Ministerien und Ämtern in ihrer Vorstellung vom Behaltenwollen geerbter Beute umgesetzt, auch nicht vor dem Bundesverfassungsgericht haltgemacht hat, das analysiert Schweisfurth in seiner bestechend logischen, kristallklaren, zum Glück auch allgemeinverständlich geschriebenen Darstellung. Der völkerrechtlichen Analyse folgt die Herausarbeitung der Konsequenzen für das deutsche Recht; eigentlich sogar mit einer Forderung an die deutsche Politik und für die demokratisch-freiheitliche Gesellschaft.

Schweisfurth erinnert daran, daß der Raubzug der Kommunisten gegen das Bürgertum und die politisch aus ihrer Sicht zu beseitigende Klasse keine Enteignung war, sondern "nur" ein Besitzentzug, Konfiskation also. Denn Eigentum kann ohne Entschädigung nicht weggenommen werden. Die Verfolgungsopfer blieben bis 1990 Eigentümer ihres konfiszierten Besitzes.

In der Übernahme der Behauptung der Bundesregierung – zumindest im 1. Urteil des Bundesverfassungsgerichts ("Herzog-Spruch") zur "Bodenreform" (so auch falsch in der BVG-Terminologie), – die gesamten Konfiskationen lägen in der Verantwortung und Zuständigkeit der damaligen sowjetischen Besatzungsmacht, hat sich – wie Schweisfurth scharfsinnig herausschält – das oberste Gericht selbst entscheidend widersprochen, wenn nicht sogar seine Entscheidungen wertlos gemacht. – Denn wenn die Vorgabe der sowjetischen Zuständigkeit richtig war, mußten die Maßstäbe des Völkerrechts beachtet werden – und genau dies haben Roman Herzog und seine Kollegen nicht getan.

Das Völkerrecht sagt völlig eindeutig, daß privates Eigentum überhaupt nicht für Enteignungen durch Besatzungsmächte in Betracht kommt, denn Kriege werden bekanntlich gegen Staaten, nicht gegen private Bürger und deren Eigentum geführt. Der französische Originaltext der Haager Landkriegsordnung (HLKO) sagt es so: "Privates Eigentum kann nicht konfisziert werden" – das ist mehr als … "Die Konfiskation ist verboten".

Die Sowjetunion, als Signatarland der HLKO an diese Regelung fest gebunden, hat also unzweifelhaft das Völkerrecht verletzt, was rechtlich zu überprüfen war. Wenn also, so Schweisfurth, eine Konfiskation rechtlich unmöglich war, dann ist sie auch ohne jede rechtliche Wirkung, also nichtig. Unheilbar nichtig auch, weil dem Konfiskationsverbot die höchste Qualität zukommt, es ist sozusagen "ius cogens", das heißt zwingendes Recht. Fazit: Es gab gar keine wirksame Enteignung.

Um so erstaunlicher, daß in dem Urteil vom 23. April 1991 trotz der eindeutigen Basierung auf der sowjetischen Zuständigkeit auf das Völkerrecht und seine übergeordnete Bedeutung, ja nicht einmal auf den eindeutigen Text der HLKO eingegangen wird. Laut Schweisfurth hätten Herzog und seine Kollegen feststellen müssen, daß die Eigentumsrechte der Konfiskationsopfer fortbestanden. Ein schwerwiegender Vorwurf des "Rechtsirrtums" an die Adresse einer obersten Gerichtsinstanz. In der Argumentationskette des Autors wird dann weiter herausgearbeitet, daß erst mit dem Artikel 41 Absatz I des Einigungsvertrages von 1990 der kommunistische Besitzentzug zu einer – wenngleich rechtswidrigen – Enteignung geführt hat. Die lange Zeit des Besitzentzuges hat nichts an den – so lange nicht umsetzbaren – Eigentumsansprüchen geändert. Die Rechte der Eigentümer erhielten 1990 neuen und praktischen Wert.

Schweisfurth betont zur Klarstellung auch die völkerrechtliche Abschlußfreiheit der Vertragsparteien im Einigungsvertrag. BRD und DDR wußten, daß eine Enteignung der von den Konfiskationen Betroffenen nicht stattgefunden hatte. Das Resumé ist düster für die Täter: Die Bundesrepublik leistete Beihilfe zur Erhaltung eines schwerwiegenden Unrechtsbestands, sie verging sich gegen zwingendes Völkerrecht. Die Konsequenz: Der Artikel 41, Abs. 1 des Einigungsvertrages (EV) selbst ist nichtig.

Mit dem Beitritt der DDR ist zwar die völkerrechtliche Seite des Einigungsvertrages gegenstandslos geworden, denn nach dem Erlöschen der DDR wurde er zum Landes- das heißt Bundesrecht, aber auch die neue Rechtslage ist völkerrechtlich bedeutsam. Denn das Recht der Länder muß mit dem Völkerrecht im Einklang stehen. Dies aber ist in diesem Fall – wie der ganze Ablauf der Rechtswidrigkeit und die dadurch entstandene rechtsstaatlich chaotische Lage zeigt – nicht gegeben und muß dringlich geregelt werden. Schließlich die brisante Feststellung Schweisfurths: Mit dem (neu geschaffenen) Artikel 143, Absatz 3 des Grundgesetzes, die (nichtige) Bestimmung des Artikel 41 Absatz 1 EV als verfassungsrechtlich bestandskräftig erklärt, sei dem Ganzen "auch noch die Dornenkrone völkerrechtswidrigen Verfassungsrechts aufgesetzt worden. Und die Verfassungsänderung, die dem zugrunde liegt? Schweisfurths Rechtsprüfung nach Artikel 79 des Grundgesetzes bestätigt andere Rechtswissenschaftler: Bei der eingebauten Verfassungsänderung hat der deutsche Gesetzgeber die ihm gesetzten Grenzen nicht eingehalten. Also die Bestimmungen des Artikel 143 Absatz 3 wiederum nicht Rechtens.

Also: Verfassungswidriges, Verworrenes als geltendes Recht? Kann das dauerhaft Bestand haben, auch wenn soviel dezidiert politisches Interesse am Unrecht am Spiel ist? Professor Schweisfurth meint, daß Richtervorlagen und Verfassungsbeschwerden weiterhelfen werden, wenn diese sich auf das Völkerrecht stützen und die Fehlentwicklung seit 1990 juristisch unwiderlegbar nachzeichnen. Artikel 100 des Grundgesetzes und das Völkerrecht liefern hierfür die klare Grundlage. Da die eindeutigen Regeln des Völkerrechts den Gesetzen der Länder vorgehen, dürfen, so Schweisfurth, die Folgebestimmungen des – nichtigen – Artikels 41, Abs. 1 EV, also vor allem die des Vermögensgesetzes, nicht angewendet werden.

Man sieht also deutlich: Ein rechtsstaatlich sauberer Weg zur Wiederherstellung der Glaubwürdigkeit des so strapazierten Rechtsstaats in dieser Frage wäre immer noch zu finden und damit mehr Rechtsfrieden zu schaffen, Ruhe gibt es – so darf man folgern – nach dem Erscheinen dieses Buches in der Politik- und Rechtsszene weniger denn je. Und was rechtlich und rechtsstaatlich geboten ist, kann man nicht ewig mit dem billigen Hinweis abtun, dies sei politisch nicht gewollt oder nicht durchsetzbar …

Anzumerken bleibt auch noch dieses: Wenn Schweisfurth das Bundesverfassungsgericht insofern "im selbstgewobenen Fallstrick" fängt, weil dieses ja ausdrücklich auf die sowjetische Zuständigkeit und damit auf das (mißachtete) Völkerrecht abhebt, so nützt ein etwaiger später "Hakenschlag" nichts: Die Wegnahmen seien wohl doch im wesentlichen eine Maßnahme, die in die deutsch-rechtliche Verantwortung falle. Ist diese These richtig – wofür einiges spricht – und sollte sie jetzt, vielleicht aus taktischen Gründen wegen der Völkerrechtsdiskussion in den Vordergrund geschoben werden, so ist auch dann eine ernsthafte Wiederaufnahme von Verfahren gefordert, denn die Argumente des Bundesverfassungsgerichtes bauen ja auf der "Vorbedingung" und der "Besatzungshoheit" auf; ihnen wäre auch in diesem Falle der Boden weggezogen.

Manches wird sich mit der Diskussion um dieses Buch noch rascher verändern: Man darf erfreulicherweise davon ausgehen, daß der verantwortungsbewußte Widerstand gegen die unhaltbaren, leider von Karlsruhe mit geschaffenen Zustände wächst und wächst.

Anläßlich dieser juristischen Aufarbeitung von Rang und der aufgezeichneten Ansätze zur Lösung oder doch Milderung des Unrechttatbestands ist auch zu sagen: Dem Gemeinwesen wäre es sicherlich sehr dienlich, wenn Rechtsstaatler unter den Politikern von sich aus der "unendlichen Geschichte" eine neue Wendung geben würden, nicht zuletzt um dem höchsten Bundesgericht ein wenig von seiner Überforderung abzunehmen. Noch allerdings sieht es nicht so aus, daß die hartgesottenen Unrechtsstrategen in den verschiedenen Lagern der politischen Verantwortung ihre Hoffnung aufgeben, mit Hilfe geschwächter Institutionen das Gleichbehandlungs- und das Eigentumsrecht nachhaltig zu verändern und so dem Rechtsstaat seine Grube zu graben.

Vestigia terrent, Herr Professor Herzog, Frau Professor Limbach und Kollegen … – Und im übrigen: Kurskorrektur ist schnell möglich, Richtervorlage und Verfassungsbeschwerden – von Schweisfurth im Juni angeregt – liegen schon in Karlsruhe im Posteingang. Sie nicht anzunehmen oder abzublocken wäre nicht sehr weise und schon gar nicht rechtsfriedenstiftend; und – wie die zu erwartende Entscheidung zum rechtswidrigen Entschädigungs- und Ausgleichsleistungsgesetz (EALG), fast auf Regierungslinie – eine gefährlich-erfolgreich falsch gestellte Weiche für die Zukunft dieses Staatswesens.

Ulrich Landskron

Theodor Schweisfurth: SBZ-Konfiskation privaten Eigentums 1945 bis 1949.Völkerrechtliche Analyse und Konsequenzen für das deutsche Recht, Nomos-Verlagsgesellschaft, Baden-Baden 2000, 95 Seiten, 38 Mark. Der Band ist erschienen in der Reihe "Leipziger Schriften zum Völkerrecht, Europarecht und ausländischen öffentlichen Recht", Band 3.

 
     
     
 
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