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700 Jahre Heiligenbeil

 
     
 
Der Quartierswechsel von Frauenburg nach Rauschen verlief problemlos. Der Grenzübertritt beim Übergang Grunau erfolgte ohne nennenswerte Wartezeiten. In Heiligenbeil wurden letzte In- formationen über den bevorstehenden Festtag eingeholt. Auch in Bladiau wurde kurz haltgemacht. Der Erste Kirchspielvertreter Kurt Oltersdorf kam in den Reisebus und berichtete nach kurzer Begrüßung von dem gerade stattfindenden Gottesdienst seiner Bladiauer mit Pastor Alfred Scherlies aus Königsberg auf dem früheren Kirchengelände. Schnell wurden die Businsassen noch darüber informiert, daß der dortige deutsche Gedenkstein für die Gefallenen des Ersten Weltkrieg
es mit dem früheren Text neu beschriftet worden ist, und schon ging es weiter. In Königsberg ließ der Zeitplan neben einer kurzen Stadtrundfahrt den Besuch des äußerlich wiederhergestellten Doms und die Besichtigung von General Otto Laschs Führungsbunker vor dem Universitätsgebäude zu. Zum Abendessen war die Gruppe pünktlich in Rauschen.

Der nächste war der große Tag. Einträchtig feierten die Deutschen 700 Jahre Heiligenbeil und die Russen 54 Jahre Mamonowo. Zigtausende Mark hat sich der Kreisort das von Profis aus Königsberg organisierte ebenso bunte wie laute Spektakel kosten lassen. Schon von weitem grüßte die Festteilnehmer von der Wand eines der am zentralen Feyerabendplatz gelegenen Häuser das neue Ortswappen. Erfreulicherweise zeigt es unter einer von der Ostsee halbverdeckten Sonne nicht etwa den als Kriegshelden verehrten Oberstleutnant Mamonowo, in dessen Namen die Sowjets Heiligenbeil umbenannt haben, sondern wie das deutsche Wappen die „heiligen“ Beile.

Unweit davon stand die festlich geschmückte Tribüne. Auf ihr hielt nach dem offiziellen Beginn der Feierlichkeiten mit der Begrüßungsansprache des Bürgermeisters Nikolai Laschko Siegfried Dreher eine rund zehnminütige Festansprache, in der es hieß: „Wir alle sind heute hier, um gemeinsam den Geburtstag von Heiligenbeil zu feiern. Das Jubiläum ,700 Jahre Heiligenbeil‘. Darüber freue ich mich persönlich. Im September 1998 war der frühere Bürgermeister Wladimir Komarow in Deutschland in der Stadt Burgdorf bei dem großen Treffen der Heiligenbeiler. Er hat dort die Menschen aus dem Kreis Heiligenbeil zum Jubiläumsjahr 2001 nach Mamonowo eingeladen. Ich habe sofort zugesagt. Herr Bürgermeister Laschko hat die Einladung im vorigen Jahr wiederholt. Nun bin ich mit einigen hundert geborenen Ostdeutschland, mit unseren Paten aus dem Landkreis Hannover, den Städten Lehrte und Burgdorf und anderen deutschen Freunden heute hier. Wir werden bei dem Fest dabeisein und mit den jetzt hier lebenden russischen Einwohnern gemeinsam feiern. Ein großes Programm liegt vor uns. Für die deutschen Menschen, für die ich die Ehre habe, hier zu sprechen, ist dies ein Tag der Freude und auch der Wehmut. Für uns Ostdeutschland aus der früheren Stadt Heiligenbeil und aus vielen Dörfern des Kreises Heiligenbeil, die wir heute hier zu Gast sind, ist unser Dank für die Einladung verbunden mit einer inneren Bewegung. Sie, liebe russische Bürger, die Sie jetzt hier seit Jahrzehnten leben, werden das verstehen. Dieser Platz, diese Stadt, die Landschaft am Frischen Haff sind uns ans Herz gewachsen. Alles ist uns Erinnerung, ist Heimat. Was ist Heimat? Bei dem Wort Heimat denkt man an den Ort, an dem man das Licht der Welt erblickte, wo man die ersten Schritte in seinem Leben an der Hand der Mutter machte, wo man in die Schule ging, aber wo auch liebe Angehörige auf dem Friedhof ruhen. Das ist in jedem Volk der Erde so, auch bei Deutschen und Russen. Ich denke dabei an ein russisches Sprichwort, das da sagt: ,Die erste Heimat ist die Mutter, die zweite Heimat die Stiefmutter.‘ Hier vor mir stehen zahlreiche Menschen, die heute ihre Mutter besuchen! Die meisten der anwesenden Deutschen sind im Februar/März 1945 über das Eis des Frischen Haffs auf die Flucht gegangen, haben das Haus, die Wohnung, den Besitz bei großer Kälte und unter schrecklichen Kriegsbedingungen verlassen müssen. Kleine Reste der Bevölkerung wurden dann 1947/1948 vertrieben, ausgewiesen. Es war das furchtbare Schick-sal unserer beiden Völker, des russischen und des deutschen Volkes, miteinander Krieg führen zu müssen. Tiefe Wunden wurden auf beiden Seiten geschlagen. Die Wunden sind vernarbt. Doch Narben können schmerzen, einige schmerzen noch immer. Für die Menschen beider Seiten war es dann ein sehr schwieriger Neuanfang, ein schwerer Aufbruch in eine ungewisse Zukunft. Heute können und wollen wir aber gemeinsam nach vorne schauen.“

Nach den Ansprachen weiterer Ehrengäste, darunter auch Renate Beu und Dr. Rudolf Köhler, enthüllten der Bürgermeister und der Kreisvertreter einen Gedenkstein mit einer russischen Inschrift folgenden Inhalts: „… Kreis mit doppelter Geschichte, Herr unserer Schicksale - Kreis, vom Krieg verwundet, aus Ruinen wiedergeboren! Errichtet zu Ehren des 700jährigen [Jubiläums] der S[tadt] Heiligenbeil-Mamonowo 1301-2001.“

Weiter ging’s - das Stadtoberhaupt an der Spitze, die Ehrengäste hinterher - zur unweit des Feyerabendplatzes gelegenen Ehrenanlage für die russischen Gefallenen, wo an einer steinernen Darstellung des um seine Söhne trauernden „Mütterchens Rußland“ der hierzu mitgenommene Teil der unmittelbar zuvor am Gedenkstein niedergelegten roten Nelken abermals niedergelegt wurde. Anschließend zog sich der Politiker, der schon einmal von 1984 bis 1991 an der Spitze des Ortes gestanden hat, mit seinen Gästen zum Festbankett ins neue Hotel „Heiligenbeil“ an der Braunsberger Straße zurück. Hier wurde gegessen, getrunken, und ein Toast folgte dem anderen.

Von dieser geselligen Runde riß sich S. Dreher kurz vor 15 Uhr los, um rechtzeitig beim ökumenischen Gottesdienst auf dem alten evangelischen Friedhof an der Bismarckstraße zu sein, der jetzt teilweise als Spielplatz des Waisenhauses genutzt wird. Außer ihm als Vertreter der Kreisgemeinschaft und Pastor Alfred Scherlies, der die Hauptpredigt hielt, sprachen auch Pater Eugenij Jazpin von der russisch-orthodoxen sowie Pater Eduard Prawdzik und Andrzej Galijewsky von der römisch-katholischen Kirche einige Worte zu den versammelten Menschen. Für die musikalische Begleitung war mit einer Hammondorgel gesorgt. Den vorangegangenen kirchlichen Liedern folgte zum Abschluß das Ostdeutschlandlied. Nach dem Ende des Gottesdienstes und des Banketts erfolgte die Rückfahrt über Bladiau, Ludwigsort, Brandenburg und den Umgehungsring um Königsberg nach Rauschen.

Während die Russen in Heiligenbeil auch ohne die Deutschen gefeiert hätten, hatten jene in Zinten für den darauffolgenden Tag extra eine Feier für die Bundesbürger organisiert. Gegen 11 Uhr begann ein kleiner Festakt im bescheidenen Rahmen vor dem Eingang des einen der beiden gegenüberliegenden Gebäude der Volks- und Mittelschule.

Bürgermeister Igor Ryk hieß die Gäste aus der Bundesrepublik herzlich willkommen und übergab Siegfried Dreher im Anschluß an seine Worte der Begrüßung einen Partnerschaftsvertrag. In seiner Erwiderung machte S. Dreher klar, daß er dieses Schriftstück nicht ohne Rücksprache unterzeichnen könne, doch versprach er, 2002 wiederzukommen und dann einen Vertrag vorzulegen, den er dann auch an Ort und Stelle unterschreiben werde. Um seinem Versprechen zusätzlichen Nachdruck zu verleihen, wird der Deutsche seinem Gegenüber einige Stunden später beim Abschied mit Wodka im kleineren Kreise die inhaltsschweren Worte übersetzen lassen: „Bürgermeister in Zinten kommen und gehen, Siegfried Dreher bleibt.“

Den Reden und obligatorischen Geschenkübergaben folgte ein kleines Kulturprogramm. Schülerinnen tanzten, sangen und spielten auf dem Keyboard. Den Abschluß bildete der auf einem Akkordeon begleitete Vortrag eines zwölfköpfigen Damenchors.

Zügig brachten die Deutschen nach dem Festakt ihre mitgebrachten Sachspenden für die Schüler in den hierfür vorgesehenen Klassenraum, um sich dann zur Wiese neben dem Kulturhaus, der alten Mittelschule, in der Bahnhofstraße zu begeben, wo mit Verkaufsständen, Sitzgelegenheiten und einer provisorischen Bühne bereits Vorbereitungen für ein Dorffest getroffen worden waren. Der Platz ist der Garten des Zintener Arztes Dr. Grube.

Bevor es jedoch losging, wurde noch ein auf die Wiese geschaffter Findling von dem Bürgermeister und dem Kreisvertreter mit russischem Brimborium enthüllt. Über die Inschrift soll bis zum Besuch im nächsten Jahr ein deutsch-russischer Konsens erzielt werden. Der Rest des Tages bis zur Rück-fahrt nach Rauschen war zum Feiern freigegeben. Die Deutschen folgten den Vorführungen, genossen die Sonne unter einem der Bäume am Rande der Wiese, versuchten mit Händen, Füßen und Schulrussisch mit der russischen Bevölkerung zu kommunizieren, durchstreiften den Ort und/oder besuchten das Kulturhaus mit dem für die Heimatstube vorgesehenen früheren Lehrerzimmer.

Mit dem Besuch in Zinten endete auch das offizielle Programm im nördlichen Teil Ostdeutschlands und des Kreises Heiligenbeil. Die Rück-reise vom zweiten Stützpunkt Rauschen in die Bundesrepublik Deutschland erfolgte über Stuhm, Marienwerder, Gnesen und wieder Frankfurt an der Oder. D. Beutler

Fototexte:

Totenehrung: Nach der Einweihung des Gedenksteins „700 Jahre Heiligenbeil“ legt Siegfried Dreher - gemeinsam mit den anderen Ehrengästen der Jubiläumsfeier - an der unweit des Feyerabendplatzes stehenden Statue, welche „Mütterchen Rußland“ symbolisiert, eine rote Nelke nieder.

 

Festansprache: Zur Jubiläumsfeier „700 Jahre Heiligenbeil“ hält der Sprecher des Heimatkreises auf der farbenfrohen Bühne am Feyerabendplatz die Hauptrede.

 

Ökumenischer Gottesdienst: Vier Geistliche dreier Konfessionen auf dem alten evangelischen Friedhof an der Bismarckstraße 

 
     
     
 
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