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Die Apokryphen zum Alten Testament

 
     
 
Die Meinung des heiligen Augustinus Der große Kirchenlehrer Augustinus gesteht den Apokryphen zu, daß sie auch manches Wahre enthielten. Aber da in ihnen insgesamt doch zu viele Irrtümer versammelt seien, besäßen sie kein kanonisches Ansehen. (De civitate Dei XV: In his autem apocryphis etsi invenitur aliqua veritas, tamen propter multa falsa nulla est canonica auctoritas.) Wie erfolgte nun im AT die Unterscheidung in kanonische und apokryphe Schriften? Die Kanonisierung der jüdische
n Bibel geschah im wesentlichen in der Zeit zwischen 300 und 150 vor Christus. Wie schon erwähnt, läßt sich nicht klären, nach welchen Kriterien so manches Buch als apokryph verworfen wurde, obwohl es sich mit kanonischen Büchern durchaus messen konnte. Für die Katholiken wurde der biblische Kanon 1545 auf dem Konzil von Trient festgelegt. Er umfaßt 45 Bücher, also sechs Bücher mehr als der jüdische Kanon, der nur 39 Bücher anerkennt. Die sechs von der hebräischen Bibel verworfenen Bücher nennt die röm. -kath. Kirche deuterokanonisch, also »zweit«-kanonisch, da sie zum jüdischen Kanon noch hinzukommen: Tobias, Judit, Buch der Weisheit, Jesus Sirach (Ecclesiasticus), Baruch und das 1. und 2. Buch der Makkabäer. Auch Hieronymus, der das AT aus dem Hebräischen ins Lateinische übersetzte (die berühmte Vulgata), neigte persönlich dem engeren jüdischen Kanon zu. Er hatte sich aber den Anordnungen des Papstes Damasus gefügt und die deuterokanonischen Bücher hinzugenommen, die auch in der sogenannten »Septuaginta« (griechische Übersetzung der Bibel) standen. Luther ließ sich von der Einstellung des Hieronymus beeindrucken und verbannte die deuterokanonischen Schriften aus der Heiligen Schrift. Ebenso wie die Juden bezeichnen die Protestanten diese Bücher als Apokryphen. Die Apokryphen der Katholiken aber nennen sie Pseudoepigraphen, da fast alle der Verfasser unter einem Pseudonym schrieben. Inhaltlich sind die von katholischer Seite Apokryphen und von evangelischer Seite Pseudoepigraphen benannten Bücher identisch.
Die Entstehung der Apokryphen Wie kam es zur Entstehung der alttestamentlichen Apokryphen? Um einen Einblick in diese Frage zu gewinnen, muß man sich die Geschichte Israels in den fünf letzten vorchristlichen Jahrhunderten ansehen. In der Bibel finden wir nur sehr wenig Informationen aus dieser Zeit. Von 538 an, als die Israeliten aus der babylonischen Gefangenschaft heimkehren durften, bis zur Zerstörung des Tempels (70 n. Chr.) und der endgültigen Zerschlagung der jüdischen Nation unter Titus erfährt man nur wenig. Die letzten Propheten waren um 500 v. Chr. Zacharias, Aggäus und Malachias. Aus dem Buch Esra-Nehemias erfahren wir die Ereignisse von etwa 400 vor unserer Zeitrechnung. Die beiden Makkabäerbücher erzählen von dem verzweifelten Kampf der Juden gegen den griechischen Götterkult im 2. Jh. v. Chr. Die jüngste Schrift des AT ist das Buch der Weisheit, das im 1. Jh. v. Chr. entstand und die Diasporajuden inmitten der griechischen Welt im Glauben stärken soll. Sollte dies nun alles sein, was in Israel in sechs Jahrhunderte seiner Geschichte geschrieben wurde? Israel, das vorher so reich war an Erzählungen über Gott, über das Verhältnis des auserwählten Volkes zu seinem Gott, sollte nun nichts mehr zu sagen haben? Natürlich war es nicht so. Aber alles, was außer den genannten Büchern in der Zeit von 538 an niedergeschrieben wurde, stufte man als apokryph ein. Die kanonische Anerkennung wurde diesem Schriftwerk verweigert, obwohl es sich, um Glaubhaftigkeit zu gewinnen, auf große Gestalten berief: Als Verfasser werden Esra genannt, Henoch, Isaias, Job, Salomo, ja sogar Adam und Eva.
Geschichtliche Einordnung Die meisten dieser Apokryphen entstanden zwischen 300 vor und 100 nach Christus. Das Engagement, das sie für die jüdische Sache ausdrücken, läßt mit Sicherheit darauf schließen, daß sie von Juden verfaßt wurden. Diese Zeit war für Israel eine sehr bewegte Zeit, was sich auch in den Schriften niedergeschlagen hat. Man kann sie nur verstehen, wenn sie auf dem Hintergrund der Zeitverhältnisse gelesen werden. Deshalb ist ein kleiner historischer Überblick unabdingbar. Nach der Rückkehr aus der babylonischen Gefangenschaft hatte Jerusalem wieder an Bedeutung zugenommen, sogar der Tempel war wieder auf -gebaut worden, wenn auch im Vergleich zum Tempel Salomos in recht bescheidenen Ausmaßen. Der Perserkönig Kyros Il. hatte nach der Eroberung Babyloniens die Israeliten zwar heimkehren lassen, aber sie unterstanden in Palästina einem Satrapen des Perserreiches. Doch war das keine drückende Herrschaft. Im Grunde regierte der von den Juden gewählte Hohepriester über das Volk.
Alexander der Große Nach 200 Jahren Perserherrschaft brach auch dieses Reich zusammen. Es konnte dem Ansturm des Heeres Alexanders des Großen nicht widerstehen. Im Jahre 332 erreichte Alexander Palästina. Aber schon im Jahre 323 setzte der Tod den Welteroberungsplänen dieses ungestümen Feldherrn ein Ende. Sein Reich zerfiel. Palästina geriet in den Diadochenkämpfen zwischen die Fronten der verfeindeten Nachfolger Alexanders des Großen. Hatten die Ptolemäer eine relativ milde Schutzherrschaft ausgeübt, so waren die Juden unter denSeleukiden, die im Jahre 200 die Ptolemäer in die Grenzen Ägyptens zurückdrängten, in harter Bedrängnis. Die Ptolemäer hatten sich mit synkretistischen Bestrebungen zufriedengegeben. Das heißt, sie wollten den Gott der Juden in ihre Religion eingliedern. Die Seleukiden dagegen versuchten, die jüdische Religion zu unterdrücken.
Die Makkabäer Unter Antiochus IV. wurde der Tempel durch Aufstellung einer Statue des olympischen Zeus entweiht, es wurde verboten, die Thora zulesen, die Neugeborenen zu beschneiden und den Sabbat zu feiern. Diese Maßnahmen reizten die Juden zum Äußersten. Unter den Makkabäern kam es zu einem allgemeinen Aufstand. In einem verzweifelten Kampf gelang es, die selenkidischen Heere zu schlagen. So erlangten die Juden ihre religiöse Freiheit wieder und unter der Dynastie der Hasmonäer, den Nachkommen der Makkabäer, sogar die politische Unabhängigkeit. Jetzt, so meint man, wird es den Juden endlich vergönnt sein, in Frieden ihre Religion auszuüben. Aber eigenartigerweise blieben die Hasmonäer ihren Vätern nicht treu, sondern öffneten dem Hellenismus Tür und Tor. Nicht nur, daß sie selbst ihre Sitten dem hellenistischen Vorbild anpaßten, sondern sie kämpften sogar gegen die frommen Anhänger des einen und wahren Gottes. Unter Alexander Janneus kam es zum Aufstand, der aber blutig niedergeworfen wurde. Sechshundert Aufständische wurden gekreuzigt.
Unter römischer Herrschaft Als im Jahre 64 Pompeius den Osten des römischen Reiches neu ordnete, wurden Pontus, Syria und Cilicia zu römischen Provinzen, Armenia, Cappadocia, Galatia, Colchis und Judäa zu Klientelstaaten. Da natürlich nur solche Staatslenker geduldet wurden, die mit Rom kollaborierten, sollte auch dieser neuen Epoche in der Geschichte der Juden harte Bedrückung und religiöse Vergewaltigung nicht erspart bleiben. Herodes d. Gr. beispielsweise, der von 37-4 v. Chr. König von Judäa war (nach Ausrottung der Hasmonäer), achtete zwar die religiösen Anschauungen seiner Untertanen, aber wegen seines Privatlebens, seiner Förderung des Hellenismus und der durch seine Bautätigkeit bedingten hohen Steuern erregte er den Zorn seines Volkes. Nach seinem Tode wurde sein Sohn Herodes Antipas, nur noch Fürst über Galiläa (Lk 3, 1). (Dieser Herodes war es auch, der Johannes den Täufer hinrichten lieg, weil er sein Verhältnis zur Frau seines Bruders rügte. Und ihm schickte Pilatus Jesus zum Verhör, als er erfuhr, daß Jesus aus dem Machtbereich des Herodes, also aus Galiläa, kam (Lk 23,8-12). Im Jahre 70 nach Christus eroberte Titus das aufständische Juda und zerstörte den Tempel von Jerusalern; die Bevölkerung wurde deportiert. Völlig vernichtet und in alle Winde zerstreut wird das jüdische Volk nach einem hoffnungslosen und unsinnigen Aufstand unter Bar-Kochba im Jahre 135 n. Chr.
Zeugnis jüdischen Denkens Von der Geschichte des jüdischen Volkes ist in den Apokryphen die Rede, wenn oft auch nur in Anspielungen und in verschlüsselter Form. Im Buch Henoch lassen sich Hinweise auf die despotische Herrschaft des Alexander Janneus und Herodes des Großen herauslesen. Im Buch der Sibylle wird wohl bei dem Weibe, »das die Zügel des Universums in ihren Händen halten wird«, auf Kleopatra angespielt. Die Zerstörung Jerusalems durch Titus hat offensichtlich den Schmerz hervorgerufen, der im Vierten Buch Esras zum Ausdruck kommt. Was war diese Geschichte anderes als eine Geschichte der Unterdrückung und der Drangsal? Und dennoch verzweifelten die Juden nicht an ihrem Gott, der sie auserwählt hat. Vielmehr glaubten sie, daß ihre Sünden an ihrem Unglück Schuld seien, daß sie noch an ihrer sittlichen Vervollkommnung zu arbeiten hätten. Die Testamente der zwölf Patriarchen sind ein deutliches Zeugnis für diese Einstellung. Schließlich aber haben auch sie oder zumindest manche von ihnen die Hoffnung aufgegeben, daß diese Welt sich noch zum Guten wenden könnte. Das Leid und die Bedrängnis waren zu manchen Zeiten so groß, daß sie nur noch ein baldiges Ende dieser Welt erhofften und erwarteten.
Die Apokalypsen Diese Haltung hat Schriftwerke hervorgebracht, die man Apokalypsen nennt. Das griechische Verb »apokalyptein« bedeutet entschleiern, also etwas Verborgenes aufdecken. Das Verborgene, das aufgedeckt wird, ist das nahe Ende dieser Welt und der Anbruch einer neuen Welt jenseits der grausamen Wirklichkeit. Die Apokalyptik war innerhalb der apokryphen Literatur so tonangebend, daß sich ihr Einfluß in beinahe allen Schriften bemerkbar macht.
Legenden Außer den Grundelementen, dem Geschichtlichen, den sittlichen Forderungen und dem Apokalyptischen, finden wir in den Apokryphen noch interessante Einzelheiten. Wir erfahren Genaueres über das Ende des Propheten Isaias, der auf Befehl Nanasses in zwei Teile zersägt wurde und dabei keinen Laut von sich gab. Im Aristeasbrief wird der Name der griechischen Bibelübersetzung erklärt. Die »Septuaginta« sei in Ägypten in siebzig Tagen von siebzig (oder zweiundsiebzig) Gelehrten fertiggestellt worden. Was die Apokryphen an Wissenschaftlichem (Kosmologie, Astronomie, Geographie) bieten, verdient nicht der Erwähnung. Interessant ist da nur, daß im Buch Henoch das Mondjahr kritisiert und ein Sonnenjahr mit 364 Tagen gefordert wird. Einfluß aufs Christentum Schließlich soll die Frage noch untersucht werden, ob die Apokryphen auf das Christentum Einfluß hatten, da sie ihm doch zeitlichunmittelbar vorausgingen. Der Hauptpunkt, in dem eine gewisse Übereinstimmung vorliegt, kann mit dem Begriff »messianische Erwartung« umschrieben werden. Hier wie dort ist es der Messias, der in schwerer Not als Retter und Heiland kommen wird. Ebenso wie im NT wird er im Henochbuch noch deutlicher als bei Daniel auch als »Menschensohn« bezeichnet. Am Ende der Zeit wird der Menschensohn nicht nur als Retter, sondern auch als Richter erscheinen. Die Lehre von der Vergeltung im jenseits hat im AT noch keinen Platz. Für die Propheten gibt es nur eine irdische Vergeltung, die sich in Krankheit, Unglück und Not vollzieht. Es stellte sich damit aber das Problem des Leiden5 Unschuldiger und des Glücks der Gottlosen. Die (apokryphe) Apokalyptik hat die Lösung in der jenseitigen Belohnung und Bestrafung gesehen. Das NI spricht von der Vergeltung am Tag des Gerichtes (Mt 11,22-24). Da nun mit dem Kommen des Messias das Gericht verbunden ist, wird in den Apokrypher zu Umkehr und Buge aufgerufen. Aber gerade das ist auch der Inhalt der Predigt des Vorläufers Jesu: » So trat Johannes als Täufer in der Wüste auf und verkündete eine Taufe der Bekehrung zur Vergebung der Sünden« (Mk 1,4). Somit sind Übereinstimmungen, die auf einen Einfluß der alttestamentlicher Apokryphen auf die christliche Lehre schließen lassen unverkennbar. Dennoch sollte dieser Einfluß nicht überbewertet werden. Mag auch mancher Gedanke des Christentums vorbereitet worden sein, Christus hat doch etwas entscheidend Neues gebracht. Denn der Kern des christlichen Glaubens, der Tod und die Auferstehung des Erlösers, stellt einen radikalen Bruch mit dem Gedankengut der Apokryphen dar. Trotz der unbestrittenen sittlichen und religiösen Größe und dem literarischen Wert der Apokryphen des AT sind sie in der Christenheit bei weitem nicht s( berühmt und verbreitet wie die »verborgenen Schriften« zum NT. Das ist auch der Grund, warum sie in der mittelalterlichen Kunst geringere Spuren hinter lassen haben. Besonders zu erwähnen ist hier die Himmelfahrt des Henoch, ein Motiv, dessen sich vor allem die Gotik angenommen hat.
 
     
     
 
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