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Die FDP vor der Explosion?

 
     
 
Erstaunlich spät und nur bedingt originell hat die FDP am letzten Wochenende vor der Neuwahl des Bundestages in doppelter Anlehnung an die Union ein eigenes "Kompetenzteam" vorgestellt: An der Spitze mit ihrem Fraktionschef Wolfgang Gerhardt, dem sie in der Nachfolge großer Liberaler das Amt des Außenministers zugedacht hat. Der Wahlparteitag verabschiedete dazu einen "Wahlaufruf": "Schwarz-Gelb
ist die einzige Koalition, die für die FDP in Betracht kommt." Diese - unverhandelbare? - Festlegung überrascht im Licht der Geschichte der Partei, die stets auch für Volten und Wenden stand.

42 Jahre lang war die FDP Regierungspartei, ohne jemals Volkspartei geworden zu sein. Ihre Geburtsstunde schlug 1948 in Heppenheim an der Bergstraße als Zusammenschluß aller liberalen Bewegungen der westlichen Besatzungszonen, die sich der Tradition von Liberalismus des 19. Jahrhunderts und nationalem Einigungsgedanken der Weimarer Republikaner verpflichtet fühlten.

So war Theodor Heuss, erster FDP-Bundesvorsitzender, zwischen 1923 und 1926 Herausgeber der Schrift Die Deutsche Nation gewesen. Heuss saß, als die Bundesrepublik gegründet wurde, für die FDP im Parlamentarischen Rat - das dort verfaßte Grundgesetz trug in wesentlichen Teilen, der Betonung persönlicher Freiheitsrechte, seine Handschrift. Nach den ersten freien Wahlen zum Bundestag im von den Westalliierten besetzten Teil Deutschlands wurde Heuss 1949 gegen den Sozialdemokraten Kurt Schumacher zum ersten Bundespräsidenten gewählt - auf Vorschlag Konrad Adenauers. Er blieb Präsident bis 1959, eine von der Mehrheit der Bevölkerung gewünschte dritte Amtszeit lehnte er in aufrechter Konsequenz ab, weil sie eine Grundgesetzänderung erfordert hätte.

Anfang der 50er Jahre überstand die FDP ihre erste innerparteiliche Zerreißprobe, als sie ehemalige Nationalsozialisten, die die Freilassung von Kriegsverbrechen Beschuldigter forderten und die Gründung eines von Wehrmachts- und SS-Angehörigen formierten "Verbands Deutscher Soldaten" unterstützten, ausschloß. 1954 trat mit Thomas Dehler ein Mann an die Spitze der Partei, der ihren linksliberalen Flügel stärken und ausgestalten sollte. Dehler hatte im Ersten Weltkrieg dem Kaiser gedient, später für die "Deutsche Demokratische Partei" im Reichstag gesessen und war während des Zweiten Weltkriegs aus politischen Gründen inhaftiert. In der Nachkriegszeit betreute er als Generalstaatsanwalt Entnazifizierungsfälle und wurde Adenauers erster Justizminister.

Dehler sicherte den Fortbestand der FDP, als gegen Ende der 50er Jahre die meisten kleinen Parteien von der politischen Landkarte Westdeutschlands verschwanden. Von 1960 bis zu seinem Tod 1967 war er Vizepräsident des Bundestages.

In den Gründerjahren der Bundesrepublik blieb die FDP an der Seite der Union, der sie aber 1956 nach Streit in der Saarfrage die Gefolgschaft verweigerte, bis sie 1961 schließlich in das bürgerliche Bündnis zurückkehrte. Damals auch trug sie sich erstmals und langanhaltend den Ruf einer "Umfallerpartei" ein: 1960 war Erich Mende Vorsitzender geworden, Ritterkreuzträger der Wehrmacht und nach Kriegsende Politikdozent an der Bonner Universität. Mit Mende war die FDP 1961 in den Wahlkampf mit der Ankündigung gezogen, keinesfalls mit Adenauer am Kabinettstisch sitzen zu wollen - nach der Wahl tat sie es dennoch. Unter Adenauers Nachfolger Ludwig Erhard stieg Mende zum Vizekanzler und Minister für Gesamtdeutsche Fragen auf. Nach langem Zwist mit der Union über eine Steuererhöhung verließen die FDP-Minister 1966 die Regierung und ebneten der großen Koalition den Weg und ihren eigenen in die Opposition. Mende führte die FDP noch bis 1968 - sein Abschied wurde für Deutschland zur Zäsur: 1969 zog die Partei in eine sozialliberale Koalition unter dem Sozialdemokraten Willy Brandt, dem sie in eine neue Ostpolitik der Aussöhnung mit den Sowjets und Polen und der friedlichen Koexistenz mit der DDR folgte. Mende, der den Vorsitz an Walter Scheel abgegeben hatte, verließ die Partei, deren Mitbegründer er war, und trat in die CDU ein. Die Partei und ihr langjähriger Vormann hatten die Seiten gewechselt - jeder für sich. Der Nationalliberalismus hatte ausgedient.

1971 verabschiedete die FDP, maßgeblich gestaltet von ihrem legendären Generalsekretär Karl-Hermann Flach, einem der herausragendsten Journalisten der Bonner Republik, die "Freiburger Thesen" - ein linksgewobenes Grundsatzprogramm mit Strahlkraft, das die Demokratisierung von Gesellschaft und freiheitlichem Rechtsstaat apostolierte. Walter Scheel wurde als Außenminister einer der maßgeblichen Architekten der Ostpolitik und 1974 für fünf Jahre der volkstümlichste Bundespräsident, den die Republik je hatte. Sein Nachfolger als Parteivorsitzender und Außenminister, Hans-Dietrich Genscher, führte die FDP bis 1985 und das Außenamt bis 1992 unter den Kanzlern Schmidt und Kohl - solange wie kein westlicher Politiker vor und nach ihm. Genscher und an seiner Seite der FDP-Wirtschaftsminister im Kabinett Schmidt, Otto Graf Lambsdorff, waren es, die den Ruf der "Umfallerpartei" neu begründeten - wenn auch aus Staatsräson, wie man heute weiß: Genscher, gebürtig in Halle / Saale, Soldat in der Wenck-Armee, nach Kriegsende Jurist in Leipzig, war 1952 in den Westen geflüchtet und hatte in der FDP Karriere als Fraktions- und Bundesgeschäftsführer gemacht. Otto Freiherr von der Wenge Graf Lambsdorff, Schlesier, Absolvent der Ritterakademie in Brandenburg, nach dem Krieg erfolgreicher Privatbankier, Versicherungsmanager und Rechtsanwalt, war vor seiner Ministerzeit Schatzmeister der FDP. Beide Männer standen für den ideologiefreien Wirtschaftsliberalismus. Als sich die Arbeitslosenzahl Anfang der 80er Jahre der Zwei-Millionen-Grenze näherte, glaubten beide, die Koalitions-Reißleine ziehen zu müssen: Die sozialliberale Regierung hatte sich in der Arbeitsmarkt-, Wirtschafts- und Finanzpolitik zerrieben, Kanzler Schmidt (SPD) überdies wegen der von ihm unterstützten Nato-Nachrüstung das Vertrauen der eigenen Partei und Fraktion verloren. Im September 1982 schrieb Lambsdorff, unterstützt von Genscher, einen 34 Seiten langen Brief an den Kanzler, seine Überschrift: "Konzept für eine Politik zur Überwindung der Wachstumsschwäche und zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit". Das Schreiben markierte das Ende von 13 Jahren Sozialliberal und den Beginn von 16 Jahren Helmut Kohl, der Schmidt qua konstruktivem Mißtrauensvotum beerbte. Wieder hatte die FDP die Seiten gewechselt.

Einmal noch, 1985, besannen sich die Liberalen darauf, nicht nur Funktionspartei zu sein, als sie sich ein "Liberales Manifest" gaben, das die Freiheit des Einzelnen in den gesellschaftlichen Mittelpunkt rückte.

In der christlich-liberalen Koalition verlor die FDP ihre Nachwuchs-organisation, die Jungdemokraten, die sich zu einem parteiunabhängigen linken Jugendverband umgestalteten - gegen die Altvorderen. Außenminister Genscher erreichte die Geschichtsbücher durch seine aktive Rolle beim Fall des Eisernen Vorhangs, der Europa ein halbes Jahrhundert zerrissen hatte. Bei der ersten gesamtdeutschen Bundestagswahl 1990 wurde die FDP zum bis heute letzten Mal zweistellig im Bund (elf Prozent plus ein Direktmandat). 1998 wurde Helmut Kohl auch deshalb abgewählt, weil die FDP als Programmpartei nicht mehr wahrgenommen wurde.

Das größte Problem der Liberalen blieben ihre Vorsitzenden: Lambsdorff haftete der Makel der Flick-Parteispendenaffäre und einer Geldstrafe wegen Steuerhinterziehung an. Unter Martin Bangemann verfehlten sie den prestigeträchtigen Einzug ins Europaparlament - ausgerechnet in Brüssel wurde er später EU-Kommissar für Telekommunikation, bevor er von der EU wegen des Vorwurfs angeklagt wurde, im Amt erworbenes Wissen für seinen Wechsel in die Privatwirtschaft nutzen zu wollen. Mit Klaus Kinkel halbierte die Partei ihren Stimmenanteil im Bund, Folge nicht zu kaschierender Führungsschwäche. Wolfgang Gerhard beschleunigte den Niedergang - bei Landtagswahlen rutschte die Partei in Serie unter drei Prozent, bis er 2001 aufgab.

Nur ein einziger Vertreter der Führungsriege stemmte sich zum Millenium gegen den freien Fall - bevor er selber in den Tod stürzte: Jürgen W. Möllemann, mächtiger Landeschef an Rhein und Ruhr, war im Jahr 2000 mit verdoppeltem Stimmenanteil von zehn Prozent in den Düsseldorfer Landtag zurückgekehrt und träumte das "Projekt 18" für die Bundespartei. Möllemann, Bildungs- und Wirtschaftsminister unter Helmut Kohl, gelernter Lehrer und Inhaber einer Firma für Wirtschafts- und Exportberatung, galt als Ziehsohn Genschers. Er führte die "Deutsch-Arabische Gesellschaft". Als Wirtschaftsminister hatte er zurücktreten müssen, nachdem er auf ministerialem Briefpapier Werbebriefe für Geschäftsideen eines Schwagers verschickt hatte. Nun wurde seine Firma mit Waffengeschäften im arabischen Raum in Verbindung gebracht. Möllemann äußerte öffentlich Verständnis für palästinensische Terroristen und nannte den deutschen Vizepräsidenten des Zentralrates der Juden, Michel Friedman, ebenso öffentlich "intolerant, gehässig, zynisch". In einem von ihm selbst rechtswidrig finanzierten und vertriebenen Flugblatt wollte sich Möllemann vom Vorwurf des Antisemitismus freisprechen - die Bundespartei drohte mit Ausschluß. Dem kam er schließlich im März 2003 mit eigenem Austritt zuvor. Drei Monate später kam der schillerndste Politiker in der Geschichte der Liberalen bei einem Fallschirmsprung nahe Marl-Loemühle ums Leben. Der ermittelnden Staatsanwaltschaft gelang es nicht, die Frage "Selbstmord oder Unfall?" zu klären. Lange Zeit hielten sich Manipulations- und Verschwörungstheorien.

Jener Mann, der Möllemann hatte aus der Partei werfen wollen, wurde zum neuen Medienstar der FDP: Guido Westerwelle, seit 2001 ihr Bundesvorsitzender. Mit ihm erneuerte sich nicht nur die Partei, sondern zog ein völlig neuer Stil in die politische Kultur der Republik. Westerwelle, Rechtsanwalt, Mitbegründer der Jungen Liberalen und spät bekennender Homosexueller, hatte sich vom lokalen Vorsitzenden der Bonner FDP über das Amt des Generalsekretärs zum jüngsten Parteichef hochgearbeitet. Nun trimmte er die FDP auf "Spaßpartei", wie es in Talkshows hieß, ließ sich 2002 zum Kanzlerkandidaten küren und zog in den Big-Brother-Container ein, Wahrzeichen deutscher Fernseh-Subkultur. Als im selben Wahlkampfsommer die Deiche brachen und der Osten Deutschlands in einer Jahrhundertflut versank, tourte Westerwelle mit einem "Guidomobil" durchs Land. Es reichte nicht zur Rückkehr an die Machtteilhabe im Bund.

Mit Al Quaida und "Hartz IV" kam das Ende der Unterhaltungspolitik. Westerwelle war im Bundestags-Neuwahlkampf in den letzten Wochen vorrangig damit beschäftigt, sich selbst ein neues Image als ernsthafter Politiker zu geben - programmatische Aussagen der FDP blieben dabei rar. Ein "Reformexpreß" ersetzte das "Guidomobil". In der Steuerpolitik immerhin wurde ein Stufenmodell ("15, 25, 35") kommuniziert.

Westerwelles stärkste Wahlaussage war diese: "Uns stört eine Alt-68er-Politik, die Ausdruck einer saturierten westdeutschen Wohlstandsgesellschaft ist, ohne zu merken: Diese Gesellschaft gibt es nicht mehr."

In der Union sind Zweifel längst Panik gewichen: ob Westerwelles späte Abkehr von der Spaßgesellschaft für die FDP als gewünschtem Regierungspartner reichen wird. Oder scheitert ein schwarz-gelbes Bündnis erneut, weil Gelb nicht trägt? "Falls es wieder nicht klappt", unkt ein ungenannt bleiben wollendes Führungsmitglied, "wird die Partei explodieren ..."

Eine Partei im Wandel: Mende (l. oben) mit Adenauer. Bundeskanzler Brandt mit Scheel (r. oben). Genscher mit Graf Lambsdorff. (l. unten) Guido Westerwelle als "Mister 18 Prozent" beim Aachener Karneval (r. unten). Fotos (4): pa (3), photothek.net
 
     
     
 
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