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Eine Generation auf dem Glatteis vorgegebener Selbstgerechtigkeit

 
     
 
Die positive Einstellung zur eigenen Großgruppe fördert nachhaltig die Bereitschaft, Lasten mitzutragen, sich für Gemeinschaftsaufgaben zu engagieren, auch wenn die Erfüllung von Gemeinschaftsaufgaben Anstrengung, Kosten und Mühen erfordert. Es dürften kaum Zweifel an der These auftauchen, daß zumindestens manche der drängenden Probleme und Schwierigkeiten in unserm Land oft Folgen eines Mangels an Gemeinsinn und Solidarität sind. Zwar wird in bestimmten Medien von Zeit zu Zeit auf solche Defizite hingewiesen, ohne jedoch die Ursachen der Misere beim Namen zu nennen. Vergessen scheint zu sein, daß die Eingliederung der Millionen Heimatvertriebenen nach 1945 und die gemeinschaftliche Anstrengung beim Wiederaufbau des zerstörten Vaterlandes nur dank Solidarität und Gemeinsinns gelingen konnte.

Im Zeichen eines ausgeglichenen National
gefühls wäre eine schnellere Überwindung auch der inneren Teilung Restdeutschlands ebenfalls weniger zweifelhaft. Weil aber die Teilung Deutschlands von vielen innerlich akzeptiert wurde, dem Einheitsstreben eine über Jahrzehnte andauernde Phase der Diffamierung und Unterdrückung einer bejahenden Einstellung zur ungeteilten Nation vorausging, waren politisch-psychologische Probleme keineswegs auszuschließen. In keinem dem Verfasser bekannten Land der Erde, schon gar nicht bei unseren zahlreichen Nachbarn, werden Nationalgefühl, Heimatbewußtsein, Traditionen so negativ belegt wie in Deutschland. Solange aber die normale Einstellung zu Volk, Heimat oder Nation mit Schmähungen und Verdächtigungen belegt wird, kann sich keine Gemeinschaft bilden, um wichtige und notwendige Gemeinschaftsleistungen zu erbringen. In einem vorrangig auf Scheckbuch und Lustprinzip ausgerichteten Staatswesen könnte ohne emotionale Unterfütterung zumindestens auf längere Sicht die Stabilität und die Funktionsfähigkeit des demokratischen Systems in Gefahr geraten.

Es kommt nicht von ungefähr, daß besonders deutsche Politiker geradezu euphorisch auf Europa setzen, um via Europa endlich vom Deutschsein und der unseligen deutschen Nation dauerhaft "erlöst" zu werden. Die Träger des Bewältigungssyndroms übersehen jedoch, daß sie mit ihrer ständig demonstrativ geäußerten Selbstverachtung, Nestbeschmutzung, Selbstbeschuldigung bei unseren Nachbarn wenig Ansehen, kaum Respekt und schon gar nicht Vertrauen erwerben, sondern eher Zweifel schüren, Befremden und Mißtrauen säen und sich nicht selten der Lächerlichkeit ausliefern. Frei nach dem Sprichwort "Mach dich nicht ständig so klein, so groß bist du doch gar nicht" erzeugt dies eher Argwohn denn Vertrauen.

Wer im Sinne Luthers dem Volk aufs Maul schaut, dem verstärkt sich der Eindruck, daß vornehmlich deutsche Politiker Interessen der eigenen Bevölkerung in dem Maße vernachlässigen, wie es in den anderen Mitgliedsländern der EU undenkbar wäre, schon gar nicht geduldet würde. Nur hierzulande wird die Distanz zur Mehrheitsmeinung, das permanente Aufwühlen von Schuld als Zeichen historischer Aufgeklärtheit gefeiert. Wer gegenüber der eigenen Nation Distanz und Argwohn pflegt, geht keinerlei Risiko ein. Verzicht wird zur Norm. Jene, die sich zuerst der eigenen Nation verpflichtet fühlen und beispielshalber den Euro-Rausch nicht mitmachten, werden als Nazis diffamiert und für den verbalen "Abschuß freigegeben".

Wen wundert es daher, daß angesichts solcher Stimmungslage und dem gleichgeschalteten Trommelfeuer der meisten Medien nicht wenige Nachgeborene es als Makel empfinden, Deutsche genannt zu werden. Auch wenn das Sammelsurium Europa für nicht wenige deutsche Staatsbürger keine rational begründete Devise oder Größe darstellt, befriedigt es andererseits das gefühlsgesteuerte Bedürfnis im Sinne des Bewältigungssyndroms. Wahrscheinlicher ist jedoch, daß sich ein europäisches Zusammengehörigkeitsgefühl im Sinne eines europäischen Nationalbewußtseins als Illusion erweisen wird. Welche mit natürlicher Selbstachtung und ungebrochenen Traditionen ausgestattete europäische Nation hegt wirklich den Wunsch, ausgerechnet mit einem Volk zu verschmelzen, dessen lauteste Sprecher sich unablässig in einseitiger Vergangenheitsbewältigung üben? Geduckt, aber stets zahlungswillig ist doch auf Dauer kein Staat zu machen.

Angesichts der nicht zu unterschätzenden Auswirkungen ständiger Selbstkasteiung ergibt sich die Frage, wie lange das Bewältigungssyndrom noch Anwendung beziehungsweise ernstzunehmendes Echo findet. Da die Bundesrepublik Deutschland in ihrer politischen und moralischen Verfaßtheit in nichts mit dem "nationalsozialistischen Deutschland" vergleichbar ist, unterliegt das Haltbarkeitsdatum ewiger deutscher Kollektivschuld zunehmend dem Verfall. Aus der Machtbesessenheit des Dritten Reiches in eine neudeutsche Dauerzerknirschung getaumelt zu sein macht uns eher verdächtig als anerkannt. Die Crux heutiger deutscher Politik liegt zwischen der Skylla alleiniger Schuld und der Charybdis kleiner nationaler Erfordernisse.

Wer sich heute im Land der Deutschen umhört, wird vermehrt bei jenen Jugendlichen, die nicht durch fortwährende Kollektivschuld geprägt oder durch oberlehrerhafte Betroffenheitsvirtuosen beeinflußt wurden, ein neues Selbstbewußtsein hinsichtlich des fokussierten Zeitraumes zwischen 1933 bis 1945 feststellen, indem schärfer zwischen Tätern, Mitläufern und Unbeteiligten unterschieden und kollektive Anklage zurückgewiesen wird, weil man sich nicht ständig für das fehlende Gewissen anderer verantwortlich fühlt. Die Zahl der jungen Deutschen wächst, die es nachdrücklich ablehnen, daß für alle Übel dieser Welt zunächst die Deutschen in Anspruch genommen werden.

So schreibt beispielsweise Ute Voigt in einem Leserbrief in der FAZ vom 1. September 1998, S. 11: "Ich habe keine Lust und Veranlassung, 53 Jahre nach Kriegsende als nicht schuldige Nachkriegsdeutsche immer noch in Sack und Asche herumzulaufen und mich bis in alle Ewigkeit schröpfen zu lassen." Wer spricht eigentlich hierzulande offen von den ungezählten deutschen Kriegsgefangenen, Verschleppten, Zwangsarbeitern und anderen Landsleuten, die nach dem Krieg in Polen, der Tschechei, der Sowjetunion usw. unter zum Teil entwürdigenden, unmenschlichen Bedingungen Zwangsarbeit leisten mußten? Statt dessen werden immer neue finanzielle Forderungen an Staat und Wirtschaft erhoben, die von den Meinungssoldaten des Bewältigungssyndroms begeistert abgenickt werden, ohne wirklich dazu geeignet zu sein, moralisches, körperliches und seelisches Unrecht wiedergutzumachen. Durch die "Betonierung des Zentrums von Berlin mit einem fußballfeldgroßen Albtraum" – so Friedenspreisträger Martin Walser in seiner berühmt gewordenen Dankesrede vom Oktober 1998 – ist den Opfern des NS-Regimes nicht gedient. Die eindimensionale Dauerpräsentation deutscher Schuld stumpft zunehmend ab, verfängt immer weniger. Mit dem eingeschlagenen Weg bundesrepubli-kanischer Vergangenheitsbewältigung kann nichts gelöst noch bewältigt, schon gar nicht geheilt werden.

Seriöse Zeitzeugen der NS-Zeit und ernstzunehmende Historiker staunen schon, wenn sie erfahren, über welche Vorstellungen und welches Hintergrundwissen die besonders eifrigen Syndromträger über die Situation des Normalbürgers im Dritten Reich verfügen. Es versteht sich quasi von selbst, daß das durch die gut versorgten Syndromträger in Schule, Kirche und bei den Medien vermittelte Bild von den Vorgängen vor und während des Zweiten Weltkrieges von wesentlicher Bedeutung für das Selbstverständnis und die allgemeine psychische Verfassung der nachgeborenen Generation ist. Sie machen manche Reaktion auf Goldhagen oder die sogenannte Wehrmachtsausstellung erklärbar. Die wohlalimentierten Syndromträger beunruhigen nicht nur uns Deutsche, die kritisch der uns auferlegten Routine gegenüberstehen, sondern auch wohlmeinende Ausländer, die von den Folgen generalisierter und mitunter institutionalisierter Selbstverachtung warnen – wie es selbst Frankreichs Präsident Mitterrand oder der estnische Staatspräsident Meri getan haben.

Die vorrangig von Deutschen praktizierte Neigung kollektiver Beschimpfung und Selbstkasteiung kann zu Gewöhnungen führen, die sich als Verlust moralischer Sensibilität im Hinblick notwendiger Differenzierung äußern, so daß selbst der später per Geburt Unschuldige beschuldigt bleibt. Dies gilt selbst für den Fall, daß der einzelne nicht direkt benannt wird, aber die Art der Darbietung und Kommentierung von Materialien eine kollektive Mitschuld suggeriert.

Die in der Bundesrepublik medienwirksam betriebene Vergangenheitsbewältigung innerhalb der "political correctness" versucht dem Anschein nach, uns Deutschen ewige Schuldgefühle einzuhämmern. Deutsche werden gerne wie Straftäter auf Bewährung behandelt, die ständig ihre Resozialisierung unter Beweis stellen müssen. Daß Häufung und ständige Wiederholung solcher Anklagen leicht zu affektbedingten Denkhemmungen führen können, bedarf keines besonderen Beweises. So erklären sich mitunter bei manchem besonders eifrigen Gutdeutschen die bedenklichen Einbußen bei der Informationsaufnahme beziehungsweise der Informationsintegration. Freiwillig eingegangene Denk- und Wissenslücken äußern sich schnell als Schablonendenken mit weitgehender Reduktion der Fähigkeit, komplexe Sachverhalte weitgehend wertneutral zu analysieren. Die speziell unter den Syndromträgern und ihren Claqueuren weit verbreiteten affektiven Denkhemmungen treten fast regelhaft spätestens dann auf, wenn das anstehende oder zu lösende Sachproblem auch nur am Rande mit der nationalsozialistischen Herrschaft in Verbindung zu bringen ist. Ein Popanz wird konstruiert und bemüht, der jede pragmatische Lösung ausschließt. Wenn auf diese Art bei der Erörterung öffentlicher Angelegenheiten Einengungen der Wahrnehmung zur Regel werden, darf man sich über fehlende Lösungen nicht wundern.

Die Auswirkungen der allgegenwärtigen Gewissensdomestizierung und Gewissensmanipulation auf die zukünftige Rolle der Deutschen in der internationalen Völkergemeinschaft hängt wohl auch davon ab, inwieweit die Bewältigungssyndromträger aus dem Volk Zustimmung erfahren. Sollte die bunte Schar der heutigen Meinungssoldaten gleich klein bleiben, ihr politischer und gesellschaftlicher Einfluß jedoch zunehmen, werden die geschichtlichen Vorgänge in diesem Jahrhundert vermutlich im Ausland umfassender analysiert. Wer aber nicht auf das Niveau eines willfährigen Heloten zurückfallen will, sich ein freies eigenes Gewissen bewahrt hat, müßte laut dem fortwährenden Beschuldigten-Zustand widersprechen. Gleich anderen europäischen Nationen sollten wir unser nationales Gewissen nicht in eine Flasche sperren lassen, zu der angeblich nur die Syndromträger den Stöpsel besitzen. Schluß

 
     
     
 
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