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Eine karpatendeutsche Karriere

 
     
 
Alle Kandidaten im Rennen um die slowakische Präsidentschaft stehen auf ihren Startplätzen. Kurz vor Ablauf der Meldefrist am 9. April wurde noch der frühere Ministerpräsident Meciar nominiert und vervollständigte das Feld der neun Rivalen.

Am 18. März hatte das Parlament in Preßburg mit 89 von 150 Stimmen das heftig umstrittene Gesetz über die Direktwahl des künftigen Staatsoberhauptes beschlossen. Ausschlaggebend war wohl die Erinnerung an das Hickhack zwischen Meciar und dem noch von den Abgeordneten gekürten Ex-Präsidenten Kovác. Durch die Volkswahl soll das höchste Staatsamt deutlich aufgewertet werden.

Das eigentliche Wahlkampfrennen beginnt laut slowakischem Gesetz erst 15 Tage vor der Stimmabgabe, die am 15. Mai erfolgt. Die heiße Phase ist also gerade in Gang gekommen, und die Kandidaten werden sich in den nächsten Tagen im rhetorischen Schlagabtausch gegenseitig zu überholen versuchen. Während dabei die Grenzen des Erlaubten erfahrungsgemäß weit gesteckt sind, ist das finanzielle Engagement
im Wahlkampf begrenzt: Jeder Bewerber darf maximal vier Millionen Kronen (rund 190 000 DM) einsetzen. Die Annahme ausländischer Spenden ist verboten. Damit die Vorgaben auch eingehalten werden, müssen Abrechnungen aller Auslagen vorgelegt werden. Sollten diese zu hoch ausfallen, ist eine Strafe in zehnfacher Höhe der Differenz zum vorgeschriebenen Grenzwert zu zahlen.

Jeder Kandidat mußte entweder von einer Gruppe von mindestens 15 Abgeordneten vorgeschlagen werden, oder er hatte 15 000 Unterstützer-Unterschriften vorzulegen. Aus den Reihen der Parlamentarier wurden nominiert: der Vorsitzende der 1998 gegründeten Partei der Bürgerlichen Verständigung (SOP), Rudolf Schuster (64 Stimmen), Ex-Ministerpräsident Vladimir Meciar (42 Stimmen) von der Bewegung für eine Demokratische Slowakei (HZDS) sowie der Vorsitzende der über 14 Parlamentssitze verfügenden nationalistischen SNS, Ján Slota (15 Stimmen).

Letzterer hatte kürzlich vor dem Hintergrund eines Streits mit der in der Regierung vertretenen Partei der Ungarischen Koalition (SMK) seine Anhänger in einer Rede aufgefordert, sich zu bewaffnen, in Fahrzeuge und Panzer zu steigen und die ungarische Hauptstadt Budapest dem Erdboden gleichzumachen. Die Quittung: Slota muß um seine parlamentarische Immunität bangen. Bei den Präsidentenwahlen ist er chancenlos.

Aufs Unterschriftensammeln angewiesen waren Magda Vásáryová, Michal Kovác, Ivan Mjartan, Boris Zala, Juraj Svec und Juraj Lazarcík. Als Favoriten gelten der aus einer karpatendeutschen Familie stammende und von vielen Abgeordneten der vier Regierungsparteien gemäß einer Klausel im Koalitionsvertrag unterstützte Schuster, der bekannteste Oppositionspolitiker Meciar, die nach der "Samtenen Revolution" als Botschafterin in Wien tätige Schauspielerin Magda Vásáryová und – mit Abstrichen – der im Frühjahr letzten Jahres nach fünfjähriger Amtszeit zurückgetretene Präsident Kovác. Daß einer der Bewerber bereits im ersten Durchgang die nötige absolute Mehrheit gewinnt, scheint ausgeschlossen. Die dann fällige Stichwahl ist für Ende Mai angesetzt.

Die parteipolitisch unabhängige Magda Vásáryová ist ohne Zweifel eine interessante Frau. Manche Zeitungen vergleichen sie mit Václav Havel und weisen darauf hin, daß sie die einzige Kandidatin ohne kommunistische Vergangenheit ist.

Michal Kovác, der bis vor wenigen Wochen noch als völlig chancenlos gegolten hatte, darf auf einen Überraschungserfolg hoffen, nachdem ihm der führende Christdemokrat Carnogursky öffentlich vor Schuster den Vorzug gab und damit ein koalitionsinternes Donnerwetter provozierte. Der als Quertreiber bekannte Carnogursky genießt das Vertrauen der katholischen Bischöfe, was wiederum seinen politischen Meinungsäußerungen einiges Gewicht verleiht.

Besonders schwer zu beurteilen sind die Aussichten Meciars. Dieser ist nach eigenen Aussagen von seinen Anhängern zur Kandidatur gedrängt worden. Vieles spricht allerdings dafür, daß sich der machtbewußte Taktiker selbst wieder ins Rennen gebracht hat. So oder so läßt sich feststellen, daß es mit dem im Herbst 1989 angekündigten Rückzug aus der Politik nicht weit her ist.

Offensichtlich wittert die Ende September 1998 in die Opposition verwiesene HZDS angesichts des Kosovo-Krieges Morgenluft. Die Nato-Bombenangriffe gegen Jugoslawien sind in Teilen der slowakischen Bevölkerung sehr unpopulär. Gerade slowakische Nationalisten malen sich aus, was ihrem Land blühen könnte, wenn die im Süden konzentriert lebende ungarische Volksgruppe von über 600 000 Personen eines Tages vielleicht doch die Sezession fordert. Natürlich läßt sich dieses Minderheitenproblem mit dem Haß zwischen Serben und Albanern im Kosovo nicht vergleichen. Dennoch wecken die Bomben gegen Belgrad und Neusatz tiefsitzende Ängste.

Vor dem Hintergrund dieser Stimmungslage erscheinen Meciars altbekannte Proklamationen eines "slowakischen Weges" jenseits der "Einflußnahme von Großmächten wie den USA und Deutschland" manchen Slowaken in besserem Licht.

Wie die Zeitung "Novy Cas" (Neue Zeit) berichtete, dürfte der Ausgang der Wahl nicht unwesentlich davon abhängen, wie die schätzungsweise 450 000 Zigeuner stimmen werden, die hauptsächlich in der Ostslowakei leben. Um deren Gunst konkurrieren vor allem der Mitte-Links-Politiker Schuster und der Nationalpopulist Meciar.

Allerdings gelten die Zigeuner als politisch schwer mobilisierbar; viele besitzen auch nicht die slowakische Staatsbürgerschaft, da sie die Bedingungen eines wenigstens zweijährigen Aufenthalts im Lande sowie einer fünfjährigen Straflosigkeit nicht erfüllen. Der Europarat sah in der letztgenannten Bedingung im übrigen eine unzulässige "Diskriminierung" und erwirkte durch massiven Druck auf Preßburg die Gewährung eines "Ermessensspielraums".

Rudolf Schuster kann auf seine Erfolge als Bürgermeister der ostslowakischen Metropole Kaschau verweisen. Nachdem der 1922 in Metzenseifen geborene vielseitig begabte Politiker zwischen 1983 und 1986 erstmals als Bürgermeister amtiert hatte, wurde er (nach seinem Austritt aus der Kommunistischen Partei im März 1990) im Jahr 1994 erneut in dieses Amt gewählt und zuletzt im Dezember 1998 bestätigt.

Große Sympathien trug ihm vor allem die aufwendige Sanierung der Altstadt Kaschaus mit Hilfe hoher Kredite ein. Das Ergebnis lohnte das Risiko: Kaschau verwandelte sich im Zentrum vom "slowakischen Aschenputtel" in eine sehenswerte, lebendige mitteleuropäische Metropole. Die noch von der Jahrhundertwende stammenden Gas- und Wasserleitungen wurden auf Geheiß des gelernten Wasserbauingenieurs instand gesetzt, und die zuvor in großer Zahl in der Innenstadt wohnenden Zigeuner erhielten neue Quartiere in einem abgelegeneren Viertel.

Während Meciar vor allem unter älteren Menschen beliebt ist, genießt der ehrgeizige Karpatendeutsche gerade bei Jüngeren großes Vertrauen. Schuster, der nach der Wende erster tschechoslowakischer Botschafter in Kanada war, spricht nicht nur fließend Deutsch und Englisch, sondern auch Ungarisch und Russisch. Er verfaßte 24 Hörspiele und Bücher. Die Bandbreite des leidenschaftlichen Autors reicht von einer autobiographischen Erzählung "Ich war dabei" über die eigenen Partisanenerfahrungen bis zu einem Werk über den gotischen Elisabeth-Dom in Kaschau.

Einige Christdemokraten kritisieren Schuster wegen seiner kommunistischen Vergangenheit. Seine deutsche Herkunft wurde ihm bisher nur vom früheren Amateur-Boxer Meciar angekreidet. Zwar ist der Ruf der Deutschen in der Slowakei allgemein gut, dennoch ist Schuster bemüht, seine Abstammung nicht zum Thema zu machen.

Bei der letzten größeren Umfrage von Ende Februar belegte er mit etwa 40 Prozent Zustimmung die Spitze vor Meciar mit ca. 30 Prozent. In einer Stichwahl dürfte es für den 1942 in Altsohl geborenen HZDS-Politiker trotz seines rhetorischen Geschicks wahrscheinlich nicht reichen. Zu sehr haben die vielen Korruptionsfälle unter seiner Regierung am Image gekratzt. – Doch das Rennen um die Präsidentschaft hat erst gerade richtig begonnen und läßt wegen der vielen Bewerber auch Außenseitern wie Vásáryóvá und Kovác eine Chance.

 
     
     
 
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