|  | Welche Kriterien müssen erfüllt sein,     um vom Tatbestand eines Völkermordes durch ethnische Säuberungen sprechen zu können?
 Alfred de Zayas: Hauptkriterium ist nicht die Anzahl der Opfer,     sondern eher die Absicht des Vertreibers. So beinhaltet gemäß Artikel 2 der     Uno-Konvention gegen den Völkermord von 1948 der Völkermord solche Handlungen, die in     der Absicht begangen werden, eine national
   e, ethnische, rassische oder religiöse Gruppe     als solche ganz oder teilweise zu zerstören. Das sind natürlich Tötungen von     Mitgliedern der Gruppe, Verursachung von schwerem körperlichen oder seelischen Schaden     und auch vorsätzliche Auferlegung von Lebensbedingungen für die Gruppe, die geeignet     sind, ihre körperliche Zerstörung ganz oder teilweise herbeizuführen. Interessant zu     bemerken: Zur Zeit wird in Den Haag vor dem internationalen Gerichtshof verhandelt im Fall     Bosnien gegen Jugoslawien, ob Völkermord in Bosnien und Herzogewina seitens Jugoslawiens     begangen wurde. 
 Mit welchen Maßnahmen hat denn die Uno dafür Sorge getragen, um ethnische     Säuberungen zu ächten?
 
 Alfred de Zayas:  Also vor allem durch Resolutionen des     Sicherheitsrates und der Generalversammlung. Es sind natürlich etliche Berichte, Studien     von der Uno-Menschenrechtskommission, also von der Unterkommission, für Verhütung von     Diskriminierung für den Schutz der Minderheiten, was die Normierung betrifft, schon     vielfach geschehen. Aber wirksame Maßnahmen sind natürlich schwieriger in die Tat     umzusetzen. Da braucht man natürlich internationalen politischen Willen.
 
 Welche Rechte haben die Opfer von ethnischen Säuberungen beziehungsweise     Vertreibungsverbrechen?
 
 Alfred de Zayas: Zunächst das Rückkehrrecht. Da sind etliche     Resolutionen der Generalversammlung und des Sicherheitsrates einschlägig. Darüber hinaus     natürlich das Recht auf Restitution beziehungsweise auf Wiedergutmachung im materiellen     Sinne. Das heißt, sie können etwa ihre Häuser zurückverlangen. Wenn das nicht mehr     möglich ist, weil sie durch den Krieg vernichtet worden sind, haben sie einen Anspruch     auf eine finanzielle Abfindung.
 
 Die deutschen Heimatvertriebenen und ihre Vertreter bringen immer wieder das     sogenannte "Recht auf Heimat" in die politische Diskussion. Gibt es im     Völkerrecht überhaupt ein "Recht auf Heimat"?
 
 Alfred de Zayas: Ja, sicher! Der terminus technicus "Recht auf     Heimat" erscheint mehr und mehr in der Wissenschaft, und nicht nur in der deutschen     Wissenschaft, sondern auch bei der Uno, so der erste Uno-Hochkommissar für     Menschenrechte, José Ayala-Lasso, 1995 in der Paulskirche. Aber man muß bedenken, was     bedeutet dieses Recht auf die Heimat. Es geht um die Bestandteile. Die Bestandteile sind     eben, wie José Ayala-Lasso es sagte, das Recht aus der angestammten Heimat nicht     vertrieben zu werden. Das hat er als ein fundamentales Menschenrecht bezeichnet. Darüber     hinaus hat man natürlich das Recht auf Selbstbestimmung. Im Prinzip beinhaltet die     Verletzung des Rechtes auf die Heimat eine Verletzung von praktisch allen Artikeln des     Paktes über bürgerliche politische Rechte und allen Artikeln des Paktes über     wirtschaftliche, soziale, kulturelle Rechte der Konvention gegen die Rassendiskriminierung     und so weiter. Die Normierung des Rechtes auf Heimat hat bereits stattgefunden.
 
 Blicken wir noch einmal auf den Balkan wie eingangs, Herr Professor de Zayas. Wenn     Sie die ethnischen Säuberungen von heute in Exjugoslawien einmal mit denen vergleichen,     die nach 1945 an den dort damals lebenden Deutschen begangen wurden, was sticht Ihnen     dabei besonders ins Auge?
 
 Alfred de Zayas:  Vor allem das Verschweigen der Vertreibung der     Deutschen durch die Massenmedien. Im Ausmaß und in den Konsequenzen war die Vertreibung     der Deutschen sehr viel größer als das, was sich heute im Kosovo abspielt. Die     Alliierten, die Siegermächte, haben nach 1945 die Vertreibung der Deutschen zu     verantworten. Gleichzeitig allerdings haben die Alliierten in Nürnberg die     nationalsozialistischen Führer verurteilt, weil sie etwa eine Million Polen aus dem     Posischen vertrieben hatten und etwa 100 000 Franzosen aus Elsaß-Lothringen. Es ist     interessant, daß im Statut des Nürnberger Tribunals Deportationen und Vertreibungen als     Kriegsverbrechen und als Verbrechen gegen die Menschlichkeit definiert worden waren, daß     das in die Anklage gegen die Nationalsozialisten gebracht worden ist, und es wurde sehr     lange darüber verhandelt, wenn Sie die Texte nachlesen. Heutzutage ist wohl ein Staat,     nämlich Jugoslawien, damit bezichtigt, dieses Verbrechen zu begehen, und jetzt haben die     Nato und die übrigen Staaten der Weltgemeinschaft hier einen Standpunkt vertreten, daß     solche ethnischen Säuberungen und Vertreibungen nicht mehr zu dulden sind.
 
 Was nützen beste Völkerrechtssätze und humanistisch orientierte     Uno-Erklärungen, wenn die darin zum Ausdruck kommenden Forderungen im Falle eines     Verstoßes gegen sie nicht wirksam sanktioniert werden können? Da stellt sich doch die     Frage, sind sie nur eine Waffe der Schwachen?
 
 Alfred de Zayas:  Nein, eigentlich nicht. Voraussetzung zur     Durchsetzung ist natürlich der politische Wille. Da kann man wirksame Sanktionen     verhängen, vor allem wirtschaftliche Sanktionen, aber dann müssen die Staaten, muß die     Weltgemeinschaft das tun. Ich denke hier an diese Erklärung der Unterkommission für     Menschenrechte. Sie hat interessanterweise in Artikel 10 bestimmt, wenn Fälle von     Vertreibungen geschehen, daß die internationale Gemeinschaft als ganze und die einzelnen     Staaten dazu verpflichtet werden, die durch solche Taten geschaffenen Situationen nicht     als rechtmäßig anzuerkennen und im Falle laufender Vorgänge die sofortige Beendigung     und die Rückgängigmachung ihrer schädlichen Folgen sicherzustellen.
 
 Kenner der Uno-Szene rechnen noch in diesem Jahr mit der Verabschiedung eines     Entwurfs der UN-Menschenrechtskommission für Diskriminierungsverhütung und     Minderheitenschutz. Das Schriftstück trägt den Titel "Freizügigkeit,     Menschenrechte und Bevölkerungstransfers" des Sonderberichterstatters Al-Khasaweh.     Welche Vorteile hätten denn Vertriebene bei einer Annahme dieses Entwurfs, in dem ja     mehrere Artikel die Interessen der Vertriebenen in besonderer Weise hervorheben und     wahren?
 
 Alfred de Zayas: Meiner Meinung nach hat diese Erklärung eine enorme     Bedeutung. Man müßte ihr natürlich auch mehr Verbreitung schaffen. Artikel 7 zum     Beispiel, wenn man sich etwa an Artikel 13 der Potsdamer Erklärung erinnert, geht gerade     darauf ein. Dieser Artikel besagt, daß Bevölkerungstransfers oder Austausche nicht durch     internationale Vereinbarungen legalisiert werden können. Das heißt, auch Potsdam konnte     die Vertreibung der Deutschen nicht gutheißen, auch wenn das die Absicht der Briten oder     der Amerikaner gewesen wäre. Die deutschen Vertriebenen können sich sicherlich auf diese     Erklärung berufen. Wenn vor allem eine Arbeitsgruppe in der Uno-Menschenrechtskommission     gebildet werden sollte, könnte man hoffen, daß diese Arbeitsgruppe, so wie die     Arbeitsgruppe für Minderheiten, auch dafür sorgt, daß die verschiedenen Punkte der     Erklärung verwirklicht werden, und könnte sowohl für die Opfer von Vertreibungen, die     bereits vertrieben worden sind, etwas tun in bezug auf Rückkehrrecht oder auf     Entschädigung, aber könnte auch als Präventivorgan wirken, um künftige Vertreibungen     eben vermeiden zu helfen.
 
 
 
 Alfred M. de Zayas, US-Amerikaner, Völkerrechtler,     der seit Jahren in Genf lehrt, ist Autor zahlreicher Bücher, darunter "Die     Angloamerikaner und die Vertreibung der Deutschen". In einem Interview mit dem     Deutschlandfunk äußerte er sich zur jüngsten Entwicklung zum Thema "Das     völkerrechtliche Vertreibungsverbot, der Kosovo und die deutschen     Heimatvertriebenen". Das Interview führte
 
 
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