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Gedanken für Intellektuelle

 
     
 
Wahltag ist wie Weihnachten: Alle kriegen etwas geschenkt. In Sachsen war die Ernte besonders reichlich, nicht bloß für die NPD. So einen prickelnden Abend hatten auch die Medienvertreter lange nicht mehr erleben dürfen, und zeigten sich daher sichtlich dankbar. Insbesondere bei der NPD, die das alles vollbracht hatte, zeigten sich die Medien heftig zugeneigt. Leider vermasselte deren Spitzenkandidat Holger Apfel beinahe jeden Auftritt, trotz aller Hilfsbereitschaft der Journalisten.

Gleich zu Beginn der ersten gemeinsamen Vorstellung bot die ZDF-Interviewerin Apfel eine Steilvorlage und forderte ihn auf: "Wann geben Sie denn zu, daß Sie in Wirklichkeit Neonazis
sind?" Was die redlich bemühte Frau nicht erwarten konnte: Der Trottel sah den Steilpaß nicht und patzte. Statt die Chance seines Lebens zu nutzen und sich mit einem schlichten "Na jetzt natürlich" in den Pantheon seiner großen Vorbilder zu katapultieren, sagte Holger Apfel wie aufgezogen einen offenbar vorformulierten Text auf. Die mitleidende Journalistin bemerkte das drohende Desaster und eilte dem armen Apfel zu Hilfe, indem sie ihm das langweilige Wort abschnitt.

Doch der faselte unbeirrt weiter, seinem rhetorischen Untergang entgegen, woraufhin die Interviewerin zu einem beeindruckenden Geniestreich ausholte: "Nun seien Sie doch endlich still!", keifte sie den Kandidaten an - und rettete so die Situation. Später würde Apfel den Seinen sagen können, daß hier die Scheindemokratie ihr wahres Gesicht gezeigt habe. Die Journalistin wiederum hat ihrer Generation die Gewißheit zurückgegeben, daß "wir 33 verhindert hätten". Schließlich hatte sie vor den Augen der Welt die braune Flut gestoppt und kam sich dabei vielleicht ein wenig so vor wie Sophie Scholl höchstpersönlich, nur besser bezahlt und mit weniger Risiko. Die Zuschauer "daheim an den Geräten" schließlich hatten einem echten Schaukampf zwischen Gut und Böse beigewohnt. Kurzum: Jeder bekam, was er sich für den großen Festtag gewünscht hatte, wie an Weihnachten. Da sage noch einer, mit unseren Rundfunkgebühren würde nichts Ordentliches fabriziert.

Später passierte dann aber doch eine böse Panne. Holger Apfel hielt wie gewohnt seine Rede, die im Ganzen etwa vier Sätze umfaßte. Doch diesmal ließen die Fernsehmacher alle Professionalität fahren und den Amateur im Regen stehen. Als abgemacht gilt, daß den Nazi-Darstellern schon nach eineinhalb Sätzen ins Wort gefallen wird mit einigen bewährten Antifa-Flüchen, weshalb Apfels vier Sätze in jedem Falle mehr als reichlich bemessen waren, selbst wenn da mal ein Journalist seinen Einsatz verpassen sollte. Statt ihn jedoch spätestens nach diesen vier Sätzen drehbuchgetreu auszublenden oder wegzubuhen, blieben die Kameras einfach an.

Der im Stich gelassene kam ins Schleudern, auf seiner Stirn breitete sich feuchter Glanz aus. Apfels Bewegungen gerieten jetzt noch hölzerner als zuvor. Mehr Text hatte er nicht gelernt, also mußte er improvisieren, was nur wenige können. Holger Apfel kann es nicht. So stellte er das eben Gesagte nur hier und da ein bißchen um und trug es in neuer Reihenfolge einfach nochmal vor. Und nochmal. Und nochmal. Dabei verfing er sich immer tiefer im Gestrüpp seiner Floskeln, was endlich die anwesenden Kollegen vom Antifa-Ensemble auf den Plan rief. Ganz Profi versuchten sie eilig, die für beide Seiten peinliche Vorführung zu beenden, indem sie eingeübte Schmähsprüche lauthals rezitierten. Dennoch dauerte es noch eine ganze Weile, bis die verpennte Regie erwacht war, um den schwitzenden Apfel viel zu spät per Abblende zu erlösen.

Der blamable Zwischenfall konnte unsere Freude an der Gesamt-inszenierung indes kaum schmälern. Auf Weihnachten warten wir nur kümmerliche zwölf Monate, nach diesem Tag haben wir uns jahrzehntelang verzehrt. Was hatten wir in der Zwischenzeit nicht alles angestellt, um unser Nazibedürfnis zu stillen. Biedere kleine Bürgerparteien wurden braun angemalt und zahllose Stiftungen für die Rituspflege aufgebaut. Obskure Kulte erfaßten das Land wie etwa jene Lichterkettenbewegung Anfang der 90er. Die Priester des Kultes flüchteten sich in zunehmend absurdere Deutungen über das Auftauchen des verhießenen Großen Brauen. In ihrer Furcht vor dem Zerfall der Gemeinde mogelten sie im Jahre 2000 einen Russenmafia-Anschlag auf die Düsseldorfer S-Bahn und den tödliche Badeunfall eines kleinen Jungen im sächsischen Sebnitz zum Zeichen um, daß der Unsagbare umgehe. Das Volk ward zu Buße und Glaubensbekenntnis gerufen, was wir denn auch alle brav taten. Wer will schon den Verdacht auf sich ziehen, ein Ungläubiger zu sein!

Doch wir taten es mit einem unbefriedigten Gefühl: Das "Tier" zeigte sich einfach nicht und anders als im Mittelalter sind wir modernen, medienverwöhnten Menschen mit Bildchen und Beschwörungen nicht mehr zufrieden zu stellen. Wir wollen "Äktschn". Dafür stellten sich lediglich einige haarlose Jugendgruppen und gewöhnliche Brandstifter zu Verfügung. Das war besser als nichts. Als sich aber herausstellte, daß etliche Nazi-Darsteller als sogenannte "V-Leute" bei der Regierung angestellt sind und besonders herausgestellte "braune" Brandstifter ihr Nest im öffentlichen Fitneßstudio eines Staatsspitzels hatten - also quasi für die Guten unterwegs waren und die Bösen bloß mimten -, da waren wir doch enttäuscht.

Seit Sonntag ist die Zeit des Mangels vorbei, der Unsagbare, den wir so lange vergeblich anflehten, sich uns zu offenbaren, hat ein Gesicht bekommen: das von Holger Apfel. Bißchen fade, meinen Sie? Nun gut, mag sein. Aber was Besseres war in der derzeitigen Lage nicht ranzuschaffen. Es ist halt soviel Durchschnitt unterwegs. Apfel war den Berichten zufolge immerhin Klassenbester in seinem NPD-Schulungskurs. Wir wollen also lieber gar nicht darüber nachdenken, was zur Alternative gestanden hätte. NPD-Chef Udo Voigt hat sein Bestes gegeben, man bescheide sich bitte.

Wir haben ja auch gut Mosern über die Unzulänglichkeit angelernter Rechtsextremisten. So sind sie eben, die Deutschen: immer alles runtermachen. Unsere persönliche Existenz hängt ja nicht ab vom praktizierten Antifa-Glauben. Die Mitarbeiter der linken Antonio- Amadeu-Stiftung hingegen verlören wie alle ihre Mitstreiter Lebenssinn und -grundlage, wenn der Eifer erkalten sollte. Euphorisch griffen sie daher die erlösende Nachricht aus Sachsen auf und riefen ergriffen: "Die Wähler haben Parteien ihre Stimme gegeben, die die Demokratie abschaffen und statt dessen einen Führerstaat aufbauen wollen, der völkisch, rassistisch und antisemitisch ist!" Ja, "die Wähler", also im Grunde alle! Daran sehen wir mal, wie wichtig die Antonio-Amadeu-Stiftung ist und weshalb dort noch viel mehr Geld hin muß.

Rettungsversuche in alle Richtungen

 
     
     
 
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