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Tag der Heimat 2002: Erinnern bewahren Zukunft gewinnen

 
     
 
Mit der fürchterlichen Hochwasserwelle an der Elbe ging ähnlich wie 1997 an der Oder wieder eine spontane Welle der Solidarität mit den Opfern durch das Land. Wie lange diese anhalten wird und wann die Anteilnahme in Desinteresse und Teilnahmslosigkeit abebben wird, das weiß niemand. Zu schnell, allzu schnell schlägt in unserer Informationsgesellschaft publizistische Sensationsgier in völliges Desinteresse um. Ereignisse werden nach Medienbelieben aus- und eingeblendet, unser Bewußtsein ferngelenkt.

Wir Heimatvertriebenen wissen aus eigener leidvoller Erfahrung, wie die Solidarität sehr rasch sogar in offene Feindseligkeit umschlagen kann. Wie aus heiterem Himmel wurden wir in den 60er Jahren
im Zuge der "Entspannungspolitik" zu Entspannungsfeinden und damit Friedensfeinden abgestempelt. Dieses Kains- mal haftet uns bis heute an. Doch dieser Vorwurf ist noch relativ harmlos gegenüber der infamen Unterstellung, wir seien Ewiggestrige, Verfassungsfeinde, ja latente "Nazis"!

Dabei haben wir Heimatvertriebenen am allermeisten von allen Deutschen unter den Folgen des Nationalsozialismus gelitten. Wir sind für das damalige System nicht mehr und nicht weniger "verantwortlich" zu machen, wie jeder andere Deutsche auch, wie ein Niedersachse, ein Saarländer oder ein Bayer. Die anhaltende üble Nachrede uns Heimatvertriebenen gegenüber mag zwar den einen oder anderen kalt lassen, insgesamt hat sie uns gewaltig geschwächt. Dies betrifft insbesondere unsere Kinder, die in einem intoleranten Meinungsklima aufwachsen, das sie von den angeblich revanchistischen und Frieden wie Versöhnung störenden Heimatkreis- und Vertriebenentreffen fernhält.

Um den unhaltbaren Vorwurf, wir würden irgendwelche Friedensprozesse stören oder der Versöhnung entgegenstehen, aus der Welt zu räumen, lassen Sie mich bitte einige Sätze aus der Charta vom 5. August 1950 zitieren:

"Wir Heimatvertriebene verzichten auf Rache und Vergeltung. Dieser Entschluß ist uns ernst und heilig im Gedenken an das unermeßliche Leid, welches im besonderen das letzte Jahrzehnt über die Menschheit gebracht hat.

Wir werden jedes Beginnen mit allen Kräften unterstützen, das auf die Schaffung eines geeinten Europas gerichtet ist, in dem die Völker ohne Furcht und Zwang leben können.

Wir werden durch harte, unermüdliche Arbeit teilnehmen am Wiederaufbau Deutschlands und Europas.

Wir haben dieses Schicksal erlitten und erlebt. Daher fühlen wir uns berufen zu verlangen, daß das Recht auf die Heimat als eines der von Gott geschenkten Grundrechte der Menschheit anerkannt und verwirklicht wird."

Wir haben unser Versprechen gehalten und wahr gemacht. Ohne unseren unermüdlichen Fleiß wäre Deutschland nie so rasch aus Schutt und Asche emporgestiegen zu wirtschaftlicher Blüte. Hierfür wird uns gelegentlich gedankt. Doch für Selbstverständlichkeiten braucht man uns nicht zu danken; es war unsere Pflicht und Schuldigkeit am deutschen Volke, dessen Wohl zu mehren die Aufgabe eines jeden Politikers sein sollte.

Wenn wir Heimatvertriebenen uns auf das Heimatrecht berufen, dann stellen wir keine unsittliche Forderung. Die Heimat gehört zum Menschen, ist elementarer Bestandteil des Menschseins, denn der Mensch ist nur Mensch unter Mitmenschen. Er ist zwar ein Individuum, vor Gott und dem Recht, aber unverzichtbar auch ein soziales, zur Nächstenliebe und Solidarität verpflichtetes Wesen. Wie könnte ein Baby ohne Mutter, ohne Familie als Keimzelle jeden gesunden Gemeinwesens aufwachsen? Wer anderen in der Not hilft, erfüllt sein Menschsein mit Inhalt!

Wie schlimm der Verlust der Heimat empfunden wird, das drückte bereits der Grieche Euripides von Medea um das Jahr 650 v. Chr. aus. Er sagte: "Der Leiden gibt es kein größeres, als des väterlichen Landes beraubt zu werden." Ganz in dieser historisch-rechtlichen Tradition erklärte der amerikanische Präsident Woodrow Wilson vor den beiden Kammern des US-Kongresses am 11. Februar 1918: "Völker und Provinzen dürfen nicht von einer Souveränität in eine andere verschachert werden, so als seien sie bloße Leibeigene oder Bauern in einem Spiel, und sei es auch das große, nunmehr für immer aufgegebene Spiel des Gleichgewichts der Kräfte."

Doch die Worte des amerikanischen Präsidenten stießen wie bereits vorher die 14 Punkte, in denen er das "Selbstbestim- mungsrecht" proklamiert hatte, bei seinen Alliierten auf taube Ohren und lösten sich rasch in Schall und Rauch auf. Sie drangen nicht in die Ohren der rachelüsternen und beutegierigen Sieger, konnten also deren Herzen nicht erreichen und Gewissensbisse hervorrufen. Welch Unheil sollte der "Korridor" hervorrufen, der willkürlich die alte Provinz Preußen zerriß und Ostdeutschland abschnitt. Eine Vertreibung aus der Heimat hat es damals nicht gegeben, zu eindeutig war in den wenigen Kreisen, in denen 1920 eine Volksabstimmung von den Siegern erlaubt wurde, das Bekenntnis zum Verbleib beim Deutschen Reich. Trotz demokratischem Mehrheitsvotum wurde zudem Oberschlesien willkürlich geteilt!

Auch was zwischen 1919 und 1939 im "Korridor" geschah, das blendet die Politik tunlichst aus. Dabei hatte das Deutsche Reich nichts anderes gemacht, als Polen mit dem Blutzoll deutscher Soldaten von dem seit 1815 beste- henden Joch des zaristischen Rußland zu befreien und es als eigenständigen Staat 1916 wiederzubegründen.

Wem der Mut zur historischen Wahrheit und zum Recht fehlt, dem fehlt der Wille zum Frieden. Auch dies ist eine christlich-abendländische Weisheit: "Gerechtigkeit schafft Frieden" oder lateinisch "justitia fiat pax!". Nach Meinung etlicher Völkerrechtler hat das Recht auf die Heimat seinen Ursprung im Westfälischen Frieden zu Münster von 1648. Mit ihm wurde der 30jährige Krieg beendet, der zu größeren Flüchtlingsbewegungen geführt hatte. Das Besondere war die Möglichkeit der Rückkehr in die Heimat und die Rückgabe von Eigentum. Wie weit haben wir uns im 20. Jahrhundert von diesen Rechtsprinzipien, in denen die Menschenrechte auf Eigentum und Heimat respektiert wurden, entfernt. Nach dem Ersten Weltkrieg gab es wenigstens einen "Friedensvertrag", wenn dabei auch Macht vor Recht ging. Nach dem Zweiten Weltkrieg dominierte nur noch rohe Siegermacht und brutale Gewalt. Es wurde die Kollektivschuldthese erfunden und der Mensch wie Vieh behandelt. Einen wirklichen Friedensvertrag, in dem auch die Rechte des Besiegten, insbesondere die bürgerlichen Grundrechte, zu berücksichtigen wären, wird es wohl "nie" geben.

Dies darf uns Heimatvertriebene dennoch nicht entmutigen, unbeirrt an den Menschenrechten festzuhalten und für diese zu kämpfen. Sie sind in einer Welt des Terrorismus kein Luxus, sondern eine zwingende Notwendigkeit. Vielen ist häufig nicht bewußt, was eigentlich Menschen- rechte sind. In der Schlußakte der Helsinki-Konferenz aus dem Jahre 1975 formulierten West und Ost als politisches Ziel für ein gemeinsames Europa die "Verwirklichung der Menschenrechte", die sich "aus der dem Menschen innewohnenden Würde ergeben und für seine freie und volle Entfaltung wesentlich sind". Sie seien, heißt es weiter, ein "wesentlicher Faktor für den Frieden".

Die Menschenrechtsidee geht von der Überzeugung aus, daß jeder Mensch einzig aufgrund seiner Existenz, seines Daseins, bestimmte unveräußerliche Rechte besitzt. Sie sind ihrem Wesen nach absolut und zu allen Zeiten und überall auf der Erde als dieselben uneingeschränkten Rechte wirksam. Hierzu zählen zum Beispiel das Recht auf Leben, das Recht auf Freiheit, das Recht auf Gleichbehandlung vor dem Gesetz und das Recht auf Gewissens- und Religionsfreiheit. Menschenrechte sind gleichsam angeboren und somit "überstaatliche" Grundrechte, die von einem Staat nicht gewährt werden können. Sie stellen auch keine großzügige Zugabe in einem demokratischen Rechtsstaat dar, wie manch einer glaubt. Auch demokratische Beschlüsse können die Menschenrechte verletzen, wie der Passus im Einigungsvertrag, daß die rechtswidrige Enteignung im Herrschaftsbereich des SED-Staates quasi "rechtens" sei und nicht rückgängig gemacht wird.

Menschenrechte können von staatlicher Seite nur bekräftigt werden, sie sind zu schützen. Doch das ist vielfach leider Rechtstheorie und keineswegs Rechtspraxis! Dennoch, Menschenrechte sind auch dann wirksam, wenn sie von einem Staat nicht anerkannt oder mit Gesetzen willkürlich eingeschränkt werden. Deshalb können sie zwar verletzt und unterdrückt, aber ihrer Natur nach niemals effektiv verboten oder in ihrer Existenz aufgehoben werden. Menschenrechte sind einfach da, auch wenn das jemandem nicht gefällt. Auch diejenigen, die uns "verfolgen" und unsere Menschenwürde mit Füßen treten, müssen wissen: Alle Unrechtssysteme und Diktaturen dieser Welt scheitern früher oder später an der Mißachtung der Menschenrechte.

Als am 26. Mai 1945 in San Francisco die Charta der Vereinten Nationen verabschiedet wurde, hieß eines der Ziele, "die Achtung vor den Menschenrechten und Grundfreiheiten für alle ohne Unterschied der Rasse, des Geschlechts, der Sprache oder der Religion zu fördern und zu festigen". Wir Heimatvertriebenen müssen nüchtern feststellen, daß die sich Ende Juli 1945 in Potsdam zusammensetzenden drei Siegermächte weder die Kraft noch die Größe besaßen, ihre eigenen Rechtsprinzipien in die Tat umzusetzen. Schlimmer, sie brachen sogar geltendes Völkerrecht, denn schon vor dem Ersten und vor dem Zweiten Weltkrieg galten die Bestimmungen der Haager Landkriegsordnung. Jede Vertreibung verstößt spätestens seit 1907 notwendigerweise gegen die Artikel 42 bis 56 der Landkriegsordnung. Gerade mit dieser Begründung wurde die Vertreibung von Franzosen und Polen durch das nationalsozialistische Deutschland nach dem Statut von Nürnberg als Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschheit angeklagt und abgeurteilt. Die Siegermächte mißachteten ihre eigenen, heilig beschworenen Rechtsprinzipien. Es war wie im Alten Rom: "Wehe den Besiegten!"

Dies sollte kein Grund zum Verzagen sein! Wer auch nicht selbst in den Genuß der Menschenrechte kommen kann, hat dennoch die moralische Verpflichtung, dafür zu kämpfen, damit andere in den Genuß kommen und seine Kindeskinder ein freieres Leben führen können, ohne Furcht und Zwang.

Wir Heimatvertriebenen bekräftigen damit, was der Hohe Kommissar für Menschenrechte der Vereinten Nationen, José Ayala Lasso, am 28. Mai 1995 in der Paulskirche zu Frankfurt am Main feststellte: "Das Recht, aus der angestammten Heimat nicht vertrieben zu werden, ist ein fundamentales Menschenrecht. ... Ich bin der Auffassung, daß, hätten die Staaten seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges mehr über die Implikationen der Flucht, der Vertreibung und Umsiedlung der Deutschen nachgedacht, die heutigen demographischen Katastrophen, die vor allem als ethnische Säuberungen bezeichnet werden, vielleicht nicht in dem Ausmaß vorgekommen wären."

Für die Menschenrechte muß man kämpfen, uneigennützig. Resignation ist ein schlechter Ratgeber! Unter der Überschrift "Die vergessenen Zwangsarbeiter - Im Kanzleramt hat niemand Zeit für Deutsche, die nach dem Krieg in sowjetische Lager verschleppt wurden" schreibt Barbara Wieland in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom 22. August 2002: "Von der Ostseeküste bis zum Balkan wurden in den ersten Monaten des Jahres 1945 arbeitsfähige Deutsche in die Bergwerke im ukrainischen Donezk-Becken, in den Ural oder nach Sibirien zur Zwangsarbeit abtransportiert. Die Opfer waren Flüchtlinge, die von der Roten Armee eingeholt worden waren, Daheimgebliebene in den eroberten Gebieten und Deportierte. Die meisten von denen, die den Transport in Viehwaggons, die unmenschlichen Arbeitsbedingungen, Unterernährung, Krankheiten und Verzweiflung überlebten, kamen erst nach drei und fünf Jahren Zwangsarbeit frei. Für sie fordert der Arbeitskreis "Deutsche Zwangsarbeiter" die Anerkennung ihres Leids und eine humanitäre Geste in Form einer Entschädigung." Erwähnt wird die Freundeskreis Ostdeutschland, welche die Initiative zu dieser Aktion ergriffen hatte. Im Gegensatz zum Kanzleramt ist niemand bei uns vergessen bei Verfolgung und Verwirklichung seiner Menschenrechtsanliegen.

Lassen Sie mich noch kurz ein Wort zu dem Menschenrecht auf Eigentum sagen. Schon der Philosoph Aristoteles (384-322 v. Chr.) stellte fest: "Wo kein Eigentum ist, da ist auch keine Freude zum Geben; da kann niemand das Vergnügen haben, seinen Freunden, dem Wanderer, den Leidenden in ihrem Mangel zu helfen." Ganz das Gegenteil ist bei uns Preußen der Fall, denn wesentlich zur Herausbildung des Preußentums war die Religion, speziell der Pietismus. Obgleich des Eigentums beraubt waren wir Heimatvertriebenen es, die immer wieder Hilfstransporte in die Heimat organisierten, um einfach zu helfen und nicht nur den Daheimgebliebenen.

Zum Eigentumsrecht heißt es in Artikel 17 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union: "Jede Person hat das Recht, ihr rechtmäßig erworbenes Eigentum zu besitzen, zu nutzen, darüber zu verfügen und es zu vererben" und setzt fest, daß ein Entzug nur im öffentlichen Interesse und nur gegen eine angemessene Entschädigung erlaubt ist. Die menschenrechtliche Botschaft an die Politik heißt: Niemand kann über das Privateigentum eines Menschen verfügen! Kein Staat, kein Verband, keine Freundeskreis, kein BdV kann auf das Privateigentum verzichten, wenn er sich nicht der Menschenrechtsverletzung schuldig machen will. Verzichten kann einzig und allein der Eigentümer oder Erbe selbst. Es ist also immer eine persönliche Gewissensentscheidung, wie einer sich bei dem gewaltsamen Entzug des Eigentums durch gewaltsame Vertreibung verhält, ob er aufgibt oder kämpft! Wir Menschen sind hier keine Richter, denn dann verlören die Grund- und Menschenrechte als von Gott gegebene Rechte ihren Sinn. Auch dies ist eine Botschaft, die uns die Verfasser der "Charta der Heimat" vom 5. August 1950 hinterlassen und uns ins Gewissen geschrieben haben.

 
     
     
 
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