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Deutschland kann das kurdische Thema nicht beiseite schieben

 
     
 
Während die Nato ungeachtet der problematischen völkerrechtlichen Lage versucht durch sich täglich steigernde Kampfeinsätze gegen die militärische Infrastruktur un die regulären wie paramilitärischen Streitkräfte Jugoslawiens der Vertreibungs- un Völkermordpolitik von Slobodan Milosevic Einhalt zu gebieten, mußte die deutsch Bevölkerung
durch politisch gedemütigte Kurden eine erste Kostprobe jener verfehlte Politik hinnehmen, die vermeint, Erregungen unterdrückter und bedrängter Volksgruppe mit mechanistiöschen Denkschablonen abwehren zu können. Dieses Vorspiel, das mutmaßlic den Auftakt zu weiteren Auseinandersetzungen raumfremder Volksgruppen auf deutschem Bode bildet, dürfte, wie es das Beispiel des Pulverfasses Balkan anzeigt, alsbald ein dramtische Fortsetzung finden. Peter Boßdorf sprach exklusiv für das t mit Ali Homam Ghasi, Jahrgang 1933, der als Sohn des Führers der Kurdischen Republik vo Mahabad im Iran aufwuchs. Nach einem Studium in Berlin trat er in den diplomatische Dienst des Iran ein, den er allerdings nach dem Tod des Schahs quittierte. 1986 wurde e auf einer Reise in den Irak festgenommen und fünf Jahre als Sonderhäftling Sadda Husseins interniert. Heute lebt er als Kaufmann in Sachen Erdöl in Hamburg und zähl inzwischen zu den engsten Vertrauten des PKK-Führers Abdullah Öcalan. Im Verlag E.S Mittler & Sohn erschien von ihm das Buch: "Die Kurden: Waisenkinder de Universums."

Sie gehören zu den Vertrauten, die mit Abdullah Öcalan noch während seiner Odysse durch halb Europa in Verbindung standen. Sah er noch politische Perspektiven?

Schon bevor Öcalan Syrien verlassen mußte, hat er sich – auch mir gegenübe – unzufrieden über seine Situation in Damaskus geäußert. Die Möglichkeiten ausländische Journalisten und Politiker zu empfangen, waren sehr eingeschränkt. Wi sollte man so die kurdische Frage auf die internationale Tagesordnung bringen? Öcalan ha deshalb lange vor der Krise seine Fühler ausgestreckt, um eine Bleibe in Europa zu finde – in der Hoffnung, politisch besser agieren zu können.

Diese Hoffnung hat sich dann als Illusion herausgestellt.

Griechenland wollte ihn nicht haben, und auch in Rußland konnte er nicht bleiben Italien hätte ihn zwar gerne aufgenommen – D’Alema hat das oft genug beteuer –, wurde dann aber unter Druck gesetzt. Man hat Öcalan so lange hin und he geschoben, bis man ihn dort hatte, wo man ihn haben wollte und an die Türken übergebe konnte.

Er hätte ja auch nach Deutschland gelangen können – wenn die Auslieferun verlangt worden wäre. Hat Öcalan darauf spekuliert? Was hätte ihn hier erwartet?

Abdullah Öcalan nachzuweisen, daß er gegen die deutschen Gesetze verstoßen hat wäre in einem rechtsstaatlichen Verfahren sehr, sehr schwer gewesen. Beweisbar is hingegen seine Einflußnahme auf die in Deutschland lebenden Kurden, daß Ausschreitunge zu unterbleiben haben. Er hat sich beim deutschen Volk für das, was vorgefallen ist entschuldigt und seine Landsleute aufgefordert, sich im Rahmen der demokratische Rechtsordnung zu bewegen. Meiner Meinung nach wäre er aus einer Gerichtsverhandlung als freier Mann herausgekommen.

Hätte man denn bei seiner Auslieferung nach Deutschland – wie die Bundesregierun behauptete – PKK-Ausschreitungen befürchten müssen?

Man hätte sich – wie doch schon so häufig erfolgreich praktiziert – verständigen können. Eine Auslieferung Öcalans hätte erfolgen können, ohne daß es zu irgendwelchen Problemen gekommen wäre. Wir haben das bei dem Europasprecher Kani Yilma doch gesehen: Er wurde in London festgenommen, nach Deutschland ausgeliefert, hier vo Gericht gestellt und verurteilt. Da ist es zu keinerlei Ausschreitungen gekommen, weil ma miteinander gesprochen hat.

Warum hat die Bundesregierung die Auslieferung nicht beantragt?

Das muß die Bundesregierung selbst beantworten. Vielleicht wurde sie ja ebenfall unter Druck gesetzt.

In die Entführung Öcalans waren offenbar auch die USA und Israel involviert. Wa treibt diese Staaten in der kurdischen Frage an die Seite der Türkei?

Die Amerikaner wollen sich mit dem Blick auf den Iran und den Irak die Freundschaft de Türkei sichern. Sie glauben ferner – fälschlicherweise –, daß die Türke Einfluß auf einige Staaten der Region ausüben kann, die früher zur Sowjetunio gehörten. Dabei werden die Möglichkeiten der Türkei überschätzt. Israel und die Türkei wiederum sind einen strategischen Pakt eingegangen. Auch wenn die Israelis imme wieder behaupten, daß sich dieser nicht gegen die Kurden richte: In der Praxis sieht da anders aus. In Israel gibt es aber Gegner dieser Politik. Man darf nicht vergessen, da in diesem Land sehr viele Menschen leben, die aus dem irakischen Südkurdistan stammen Auch der ehemalige Verteidigungsminister Yitzhak Mordechai ist kurdischer Abstammung. Al er zurücktrat, warf er Netanjahu vor, daß dieser das Land in einen Krieg mit einem Staa und mit einer Nation verwickeln wolle. Damit waren wohl der Iran und die Kurden gemeint.

Man hört in Europa Stimmen, die sagen: "Die Türkei hat ihre Genugtuung gehabt Jetzt könnte sie doch die Lösung des kurdischen Problems ohne Gesichtsverlus angehen." Ist das zu naiv gedacht?

Ich verstehe, daß man in Europa so denkt. Man kennt aber nicht die Einstellung de Türkei. Die türkische Republik – nicht das türkische Volk, diese Unterscheidun möchte ich betonen – glaubt, daß die übrige Welt nichts anderes zu tun hat, als Tag und Nacht zu überlegen, wie man es verhindern kann, daß die Türkei noch einmal ein Großmacht wird. Unentwegt sind nach dieser Vorstellung CIA, MI6, BND und KGB und s weiter dabei, einen Aufstieg der Türkei zur einstigen Größe des Osmanischen Reiches zu unterbinden. Wenn das das türkische Staatsdenken ist, kann man kein kluges Vorgehen in der Frage Abdullah Öcalan erwarten. Sicher, die Türkei hätte sagen können: "De Staatsfeind Nr. 1 ist gefaßt. Jetzt muß das Blutvergießen ein Ende haben. Ob Türke oder Kurden – wir sind Landsleute und müssen uns verständigen." Aber das is reines Wunschdenken.

Was ist statt dessen die Realität in der Türkei? Welche Möglichkeiten stehen Kurde offen?

Entweder die Kurden werden leben oder sterben. Es ist bekannt, daß etwa 4000 kurdisch Dörfer zerstört wurden und auch einige Städte stark in Mitleidenschaft gezogen sind. E ist bekannt, daß Millionen Kurden zu Flüchtlingen gemacht worden sind. Man ha systematisch eine wirtschaftliche Entwicklung der kurdischen Gebiete verhindert. Wer da Wort "Kurdistan" auch nur äußert, muß mit Bestrafung rechnen, weil schon da als "Separatismus" gilt. Sie können keine kurdische Familie finden, die nich Opfer zu beklagen hat. Es gibt keine sichere Zuflucht in der Türkei. Es macht keine Unterschied, ob ich mich in Kurdistan selbst oder in Istanbul befinde: Wer sich zu seine Volkstum bekennt, wird verfolgt. Wer sich assimiliert, kann es hingegen sogar bis zu Armeegeneral oder Ministerpräsidenten bringen.

Wozu ist die PKK nach den Rückschlägen noch in der Lage?

Die PKK kann auch dann in Nordkurdistan, dem türkischen Kurdistan, militärisch Aktionen durchführen, wenn sie nicht über Basen außerhalb der türkischen Grenze verfügt. Kurdistan ist ein gebirgiges Land, es bietet genügend Deckung für solch Schläge. Die Türkei hat schon behauptet, daß der militärische Widerstand der PK gebrochen sei. Dennoch hat sie in immer kürzeren Abständen immer größere Operatione durchgeführt. Wäre die PKK tatsächlich geschlagen, würde es die Türkei nicht nöti haben, in Nordkurdistan 400 000 Mann unter Waffen zu halten. Die Türkei wird e nicht schaffen, die PKK militärisch zu besiegen. Die PKK wird es aber auch nich schaffen, die Türkei militärisch zu besiegen.

Hat man sich jetzt darauf einzustellen, daß sich Anschläge in den türkische Metropolen häufen?

Die Kurden haben sich um eine friedliche Lösung bemüht. Jetzt gibt es viele Kurden die sagen: "Wir müssen eine andere Sprache sprechen. So wie die Türken Leid übe uns bringen, müssen wir jetzt Leid über sie bringen." Es haben sich Gruppe gebildet, die den Krieg in den Städten führen wollen. Ich möchte daher einen dringende Appell an alle richten, die einen Urlaub in der Türkei planen. Wer dorthin reist finanziert mit dem Geld, das er dort läßt, nicht nur einen schmutzigen Krieg gegen ei Volk, er begibt sich auch selber in Gefahr. Ausländische Touristen sind zwar nicht da Ziel der Anschläge, es kann aber niemand für ihre Sicherheit garantieren. Wenn etwa passiert, wird niemand vorher herumlaufen und rufen: "Bitte alle ausländische Touristen raus – wir wollen hier eine Bombe reinwerfen!"

Durch die große Zahl von Kurden, die bei uns leben, hat das Thema auch ein innenpolitische Dimension. Kommt die Bundesrepublik Deutschland – ein wichtige Waffenlieferant der Türkei – auch ins Visier der PKK?

Man kann das Thema in Deutschland tatsächlich nicht beiseite schieben. Ich stimme d dem CDU-Politiker Karl Lamers zu: Das Kurdenproblem ist ein Problem, das Europa angeht. E muß aber in Kurdistan gelöst werden, und Deutschland kann dazu beitragen. Ich bin fes davon überzeugt, daß es in Deutschland zu keinen Krawallen kommen wird. Die Linie de PKK ist unmißverständlich – sie war erst kürzlich über Med TV, das exilkurdisch Fernsehen erneut zu hören. Osman Öcalan persönlich, der Bruder von Abdullah Öcalan sagte: Jeder Verstoß gegen die Gesetze der Bundesrepublik Deutschland wird als ei Verstoß gegen die Bestimmungen der Partei gewertet. Ich wünsche mir sehr, daß die deutschen Behörden den Kurden die Möglichkeit einräumen, sich friedlich politisch zu betätigen und auch Demonstrationen abzuhalten. Wenn da auch einmal eine Fahne oder ei Öcalan-Porträt gezeigt wird, sollte man das nicht gleich als eine Gefährdung de inneren Sicherheit auffassen.

Der PKK werden Verbindungen zur militanten deutschen Linken vorgeworfen. Braut sic denn da eine Gefahr für die innere Sicherheit zusammen?

Ich glaube nicht, daß sich die Kurden politisch vereinnahmen lassen. Es liegt abe nicht nur an ihnen selbst, sondern auch an den etablierten Parteien in der Bundesrepubli Deutschland: Sie sollten sich dieser Frage annehmen und sie nicht Gruppierungen an de politischen Rändern überlassen. Peter Boßdor
 
     
     
 
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