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Die Attacken auf das Zentrum gegen Vertreibungen

 
     
 
Wer die jüngste Diskussion um das geplante - und jetzt schon wieder umstrittene - "Zentrum gegen Vertreibungen" beobachtet, kann nicht umhin, festzustellen, wie sich ein vernünftiger Plan in Deutschland unter dem Druck vorgefaßter Meinungen und der "politischen Korrektheit" in sein Gegenteil verwandelt.

Die ursprüngliche Absicht der Initiatoren - und der BdV-Vorsitzenden und CDU-Abgeordneten Steinbach - war klar: nachdem über ein halbes Jahrhundert seit der Katastrophe der deutschen Ostgebiete vergangen ist, sollte dieses Kapitel jetzt endlich "aufgearbeitet" werden - um das unschöne Wort "bewältigt" nicht zu verwenden. Dabei mußte jedermann klar sein: Es ging darum, die Vertreibung der Ostdeutschen so darzustellen, wie sie wirklich gewesen ist: mitsamt Massenvergewaltigungen und Massenmorden durch die vorstoßende Sowjet-Armee (zu deren aus der Stalinzeit datierenden Traditionen sich Rußlands Präsident Putin
ebenso bekennt wie die jetzigen russischen Streitkräfte, die ironischerweise einesteils zwar den doppelköpfigen Zarenadler, andererseits aber Hammer und Sichel - die bolschewistischen Symbole - verehren. Außerdem sollte man nicht vergessen, daß Putin die von seinem Vorgänger Boris Jelzin als Nationalhymne der Russischen Föderation eingeführte Zarenhymne des Komponisten Glinka aus dem 19. Jahrhundert abgeschafft und statt dessen die alte Stalin-Hymne reaktiviert hat, wenn auch vorsichtshalber ohne Text. Das ist eine symbolische Haltung von nicht zu unterschätzender Bedeutung.

Es ist kaum verwunderlich, daß die deutsche Linke - bis hin zu den Grünen - von einer Darstellung der Verbrechen, die an Deutschen begangen wurden, am liebsten nichts wissen will. Das gehört in die allgemeine Tendenz, die Deutschen - besonders aber die Vertriebenen - de facto kollektiv für schuldig zu erklären: Sie hätten eben dem NS-Regime und dem "Führer" kritiklos zugejubelt und es unterstützt. Folglich hätten sie die Folgen zu tragen und ganz still zu sein.

Es ist fast unvorstellbar, aber wahr, daß ein deutscher Regierungschef das geplante "Zentrum gegen Vertreibungen´" mit dem Argument kritisiert, hier würde zu viel von den Leiden der Deutschen gesprochen. Man sollte meinen, daß ein deutscher Kanzler - gleich welcher politischen Couleur - in erster Linie die Interessen seines Landes und Volkes im Auge hat. Aber dem ist offenbar nicht so. Noch ungewöhnlicher sind die nun schon bekannten Äußerungen des "grünen" Außenministers Fischer, der seine ganze politische Philosophie (soweit man diesen Begriff überhaupt im Zusammenhang mit ihm verwenden kann) auf der "deutschen Schuld" und auf "Auschwitz" aufbaut, wobei er einer staunenden deutschen Öffentlichkeit gelegentlich hanebüchene "Geschichtsinterpretationen" präsentiert.

Leider gibt es innerhalb der heutigen deutschen politischen Klasse niemanden (von dem einen oder anderen einsamen Einzelgänger abgesehen), der den Mut findet, die Dinge beim Namen zu nennen und eine deutliche Gegenposition zu beziehen. Auch die sogenannte "konservative" Publizistik - oder das, was davon noch übrig ist - akzeptiert die "politisch korrekten" Vorgaben. So las man in einer großen deutschen Sonntagszeitung unter der vielversprechenden Überschrift "Kein Unrecht rechtfertigt anderes Unrecht" eine Verteidigung des geplanten Zentrums - aber der Autor schaltet - fast scheint es: aus Angst vor der eigenen Courage - plötzlich den Rückwärtsgang ein. Er spricht von der "furchtbaren NS-Besatzungszeit" und erinnert noch einmal daran, daß die Vertriebenen ihre Heimat "infolge des von den Nationalsozialisten verschuldeten Zweiten Weltkrieges" verloren hätten. Und er streut dem Vorsitzenden der vom Bund der Vertriebenen getragenen "Stiftung", dem Sozialdemokraten Peter Glotz, Blumen: Dieser sei "ein glaubwürdiger Garant dafür, daß mit dem Projekt auch ein Beitrag gegen Intoleranz, Rechtspopulismus und Rechtsradikalismus geleistet wird."

Soll also das "Zentrum gegen Vertreibungen" in ein Institut zum Kampf gegen "Rechtspopulismus" (was immer man darunter verstehen mag) "umfunktioniert" werden? Wie verträgt sich eine militante Kampfaufgabe dieser Art mit der Forderung nach historischer Objektivität - oder besser gesagt: Sachlichkeit? Und wieso ist nur der Sozialdemokrat Glotz ein "glaubwürdiger Garant"?

Ist es die CDU-Politikerin Steinbach etwa nicht - vielleicht nur, weil sie der falschen (nämlich christ-demokratischen) Partei angehört? Wird hier nicht das Klassenkampfschema der Linken und der 68er übernommen? Ohnedies ist der Bund der Vertriebenen in der ganzen Debatte bis zur Grenze der Selbstverleugnung gegangen. Die Nicht-Linke in Deutschland hat - sieht man von gelegentlichen Auftritten Edmund Stoibers ab - eher verschämt geschwiegen.

Dennoch wäre es an der Zeit, einige Begriffe und Behauptungen zurechtzurücken. Zunächst bleibt festzustellen: Auch wenn unser gegenwärtiger Außenminister es bestreitet - die Deutschen waren im Zweiten Weltkrieg und danach auch Opfer. Die jungen Soldaten, die man millionenfach in den Tod trieb und deren Idealismus das NS-Regime ausnutzte, waren ebenso wenig gefragt worden wie die Zivilbevölkerung, die dem Bombenterror zum Opfer fiel. Auch die Vertriebenen - etwa aus Ostdeutschland oder Schlesien - waren nicht gefragt worden, ob sie Hitlers Eroberungspolitik billigten. Schließlich waren die Nationalsozialisten 1933 nicht mit der Parole "Wir beginnen den Krieg", sondern im Gegenteil mit der These "Freiheit und Brot" sowie "Frieden" an die Macht gekommen. Den Frauen und Kindern, die im eisigen Winter 1945 in Trecks über das Eis nach Westen zu entkommen versuchten, kann man doch nicht im Ernst irgendeine "Schuld" anlasten - es sei denn, man führt durch die Hintertür den Begriff der Kollektivschuld wieder ein! Nach dieser Logik wären auch noch die Ungeborenen schuldig.

Wenn man die Zahl der Ermordeten zum Maßstab macht, hat Josef Stalin mitsamt dem Sowjetkommunismus wesentlich mehr Menschenleben auf dem Gewissen als Hitler. Niemand aber lastet heute dem russischen Volk eine Kollektivschuld an - obwohl im Gegensatz zu Deutschland nach dem Sturz des dortigen totalitären Regimes kein einziger "GULag"-Kommandant, kein einziger NKWD- oder KGB-Offizier zur Rechenschaft gezogen wurde.

Schließlich darf man nicht vergessen, daß das damalige sowjetische und stalinistische Regime nicht nur bei den Bewohnern Ostdeutschlands, Schlesiens und Pommerns zum Teil lähmende Furcht und Schrecken verbreitete. Auch viele andere Völker schauderten bei dem Gedanken, in kommunistische Hände zu fallen. Bei den baltischen Völkern, bei Esten, Letten, Litauern, setzte eine Massenflucht ein, als sich die Rote Armee den Landesgrenzen näherte. In Ungarn und Kroatien flüchteten Tausende vor den herannahenden Sowjetarmisten beziehungsweise Partisanen. Wie die später bekanntgewordenen Massenmorde und Deportationen zeigen, bestand diese Angst zu Recht. Viele Bürger dieser Länder können nur ungläubig den Kopf schütteln, wenn heute in einem "freien" Berlin monumentale Statuen und Denkmäler zu Ehren jener Roten Armee stehen, welche die Massenvertreibung überhaupt erst möglich gemacht hat - und deren Angehörige an Massernvergewaltigungen und anderen Verbrechen ihre Schuld haben.

Das alte lateinische Sprichwort "Audiatur et altera pars" - auch die andere Seite soll gehört werden - gilt auch für den Osten Europas. Es war ja keineswegs so, daß dort auf der einen Seite nur die "bösen Deutschen" und auf der anderen die "hehren antifaschistischen Befreiungskämpfer" standen. Die Linien der Auseinandersetzung gingen kreuz und quer. Wer in Ostmitteleuropa gegen den Kommunismus und die totalitäre Schreckensherrschaft Stalins war, sah sich oft gezwungen, mit den Deutschen zusammenzuarbeiten. Es ging um die Frage, für wen was das kleinere Übel war. Da fielen die Antworten zwischen dem Baltikum und Polen oder zwischen der Ukraine und Polen unterschiedlich aus. Aber auch unter den Polen gab es genügend starke Kräfte, die - wie etwa die "Heimatarmee" - den Sowjets und Russen mit größter Skepsis und Feindseligkeit gegenüberstanden (mit Recht, wie sich bald herausstellen sollte).

Wie einseitig inzwischen der Blickwinkel in manchen deutschen Publikationen ist, zeigt ein umfangreicher Artikel in der Süddeutschen Zeitung vom 2. September, in dem das Schicksal eines Polen beschrieben wird, der kurz vor Kriegsende vor den "Mörderbanden des Stepan Bandera" nach Westen fliehen mußte und am Ende im ehemals deutschen Niederschlesien in einem noch von Deutschen bewohnten Haus landete, dessen Besitzer ihm aber natürlich das Feld räumen mußten. Liest man diesen Bericht, dann könnte man meinen, die Polen seien aus der Ukraine 1945 in erster Linie wegen der blutrünstigen ukrainischen Nationalisten geflohen. Daß es in Wirklichkeit um die neu installierte Sowjetmacht ging, welche an der ukrainisch-polnischen Grenze keine "unzuverlässige" Bevölkerung haben wollte, wird kaum erwähnt. Und schließlich: der unzweifelhafte Haß, der damals zwischen Polen und Ukrainern herrschte, kam nicht aus heiterem Himmel. In der Zeit polnischer Herrschaft waren die Ukrainer schweren Verfolgungen ausgesetzt.

Dieses Beispiel zeigt bereits, wie kompliziert das Geflecht von Nationen, Religionen, Mentalitäten, historischen Komplexen im östlichen Europa war (und unter der Decke heute noch ist). Hier gibt es keine einfachen Antworten und Schuldzuweisungen. In diesem Sinne ist der jetzige deutsche Außenminister ein "terrible simplificateur" - einer jener schrecklichen Vereinfacher, welche die Welt monokausal erklären wollen. Das Verhängnis begann nicht erst 1933 mit Hitler - davor gab es den für die Deutschen demütigenden Versailler Vertrag 1919 und die Ermordung des österreichischen Thronfolgers Franz Ferdinand in Sarajevo, die 1914 den ersten Weltkrieg auslöste. Dann war da noch die russische Revolution - der Machtantritt der Bolschewiken, die Angst und Schrecken weit über die russischen Grenzen verbreiteten und die bereits lange vor Hitler ein ganzes KZ-System - den von Solschenizyn geschilderten "Archipel GULag" - installierten.

Wenn das "Zentrum gegen Vertreibungen" seinem Auftrag gerecht werden will, gehört es nach Berlin - das heißt in den Mittelpunkt. Nicht nach Breslau, wo es nolens volens eine polnische Schlagseite erhielte, und erst recht nicht nach Sarajewo (soweit dieser Vorschlag ernst gemeint war), wo das Thema "balkanisiert" wurde. Im Mittelpunkt aber muß natürlich die größte Massenvertreibung und seit Menschengedenken die größte Territorialveränderung in Europa stehen. Wenn man hier mit Tabus, Darstellungs- oder gar Denkverboten beginnen sollte, wäre man gescheitert, bevor man begonnen hat. Geschichte muß man so schreiben (und darstellen), wie sie "eigentlich" gewesen ist. Für ideologische Eskapaden sollte da kein Platz sein.
 
     
     
 
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