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Ein Historiker und Studiendirektor kämpft um die Freiheit der Lehre

 
     
 
Der Übergang vom "finsteren" Mittelalter zur aufgeklärten Neuzeit wurde nicht zuletzt durch die Forderung der deutschen Humanisten markiert, daß Wissenschaft vorurteilsfrei und ergebnisoffen betrieben werden müsse. War es vorher die Kirche, die vorgab, welche Resultate des philosophischen Denkens ebenso wie der naturwissenschaftlichen Forschung erwartet werden, forderten nun die Humanisten, daß erst das freie Forschen zum Mündigwerden des Menschen führe, mögen auch die Ergebnisse von den Herrschenden nicht gebilligt werden.

Den Hintergrund für einen Rückfall in die Zeit des Mittelalters liefert ausgerechnet die alte Reichsstadt Nürnberg
. Dort gibt es den 60jährigen Historiker Hans-Jürgen Witzsch. Neben seiner professionellen Tätigkeit als Studiendirektor an verschiedenen höheren Schulen der Stadt (Fächer: Deutsch, Geschichte, Sozialkunde, Geographie) tat er das, was er auf der Universität gelernt hatte: in Archiven und anderen allgemein zugänglichen Institutionen arbeitete er an historischen Quellen über nicht unumstrittene Themen der Zeitgeschichte. Dabei kam er hier und da zu Folgerungen, die er zwar belegen zu können meinte, die jedoch im Widerspruch zu in der Bundesrepublik erlaubten historischen Feststellungen standen. Daß er den Staat nicht zerstören wollte, bewies er u. a. damit, daß er viele Jahre lang als Stadtrat der CSU und, nachdem er wegen seiner historischen Forschungsergebnisse aus der CSU ausgeschlossen worden war, einer freien Wählergemeinschaft der Allgemeinheit diente.

Niemand warf ihm vor, durch die unbequemen Erkenntnisse aus seiner Forschung seine Schüler "sozialethisch verwirrt" zu haben. Hier und da schrieb er jedoch, wie er meinte, es der historischen Wahrheit schuldig zu sein, außerhalb seiner beruflichen Tätigkeit einen Brief etwa an den Bayerischen Rundfunk oder einem Landtagsabgeordneten. Diese staatstragenden Institutionen beeilten sich, die Briefe der Staatsanwaltschaft zuzuleiten. Die ermittelte. Und so wurde Hans-Jürgen Witzsch wegen Verunglimpfung des Andenkens Verstorbener zum Oberstudienrat degradiert und zu einer Geldstrafe verdonnert. Vom Dienst wurde er vorläufig enthoben und mit einem Disziplinarverfahren überzogen.

Seitdem sind mehrere Jahre verstrichen, in denen Witzsch sich bemühte, unter Anrufung des Verwaltungsgerichtes wieder in seine Rechte eingesetzt zu werden.

Dann aber beging er, den freiesten Rechtsstaat, dessen wir uns rühmen, mißverstehend, einen Fehler. Er veröffentlichte einen Beitrag, in dem er seine umfangreichen Forschungen über die Frage der in Deutschland während des Zweiten Weltkrieges tätigen Fremdarbeiter ausbreitete. Witzsch hatte im Nürnberger Staatsarchiv in großer Fülle Dokumente aus dem Nürnberger Prozeß gefunden, die offenbar bislang noch von niemandem ausgewertet worden waren und ein ganz anderes Bild des heute propagierten Eindrucks der "Sklavenarbeiter", wie unterschiedslos undifferenziert die Fremdarbeiter genannt werden, zeichnete. Der Historiker kam zu dem Schluß, "daß die Fremdarbeiter ... von Ausnahmen abgesehen, freiwillig nach Deutschland zur Arbeitsleistung gekommen waren."

Diese Veröffentlichung veranlaßte die Stadt Nürnberg, dem bayerischen Verwaltungsgericht mitzuteilen, sie trete dem Antrag Witzschs, "ihn wieder in seine Rechte einzusetzen, entschieden entgegen." Denn der Beamte halte an seinen Versuchen fest, "die Greueltat der NS-Zeit zu leugnen bzw. zu verharmlosen." Die von Witzsch vorgelegten Forschungsergebnisse sind für den zuständigen Stadtrat "unsubstantiiert". Da die Stadt Nürnberg sich zur moralischen Mitverantwortung für eine eigene Stiftung für die 3000 Zwangsarbeiter, die in Nürnberg tätig waren, gegründet hat, sei "ein Mitarbeiter nicht zumutbar, der die Tatsache der zigtausendfachen Zwangsarbeit unter Berufung auf seine angeblichen Forschungsergebnisse leugnet."

Witzsch ist der Ansicht, daß von den hier tätig gewesenen Fremdarbeitern die Mehrheit freiwillig nach Deutschland gekommen und nur eine Minderheit gezwungen worden ist. Die offizielle bundesrepublikanische Meinung ist umgekehrt: Alle waren "Zwangsarbeiter". Das ist offenkundig falsch, was durch zahlreiche Zeitzeugenaussagen und Dokumente belegbar ist. Der Nürnberger Stadtrat will sein unsubstantiierte Meinung mit Hilfe eines Berufsverbotes durchsetzen.

In Kürze findet vor dem bayerischen Verwaltungsgericht in Ansbach auf Antrag von Witzsch ein Gerichtstermin statt, in dem darüber entschieden wird, ob er wieder mit vollen Bezügen unterrichten darf. Es ist bei der augenblicklichen Lage davon auszugehen, daß es eines Richters bedarf, der über ein ganz ungewöhnliches Maß an Zivilcourage verfügt, um zu erwarten, daß Witzsch Gerechtigkeit widerfährt. Aber man läßt sich im Interesse unseres Rechtsstaates gern belehren. J. L.

• Bundeswehr soll Teil einer internationalen "Krisentruppe" werden

Treue territorial unbegrenzt?

Die Bundeswehr soll Teil einer internationalen "Krisentruppe" werden

In der Europäischen Union sind die Planungen für eine Europäische Krisenreaktionstruppe weit gediehen. Bis zum Jahre 2003 soll sie, die sich aus Kontingenten der EU-Mitgliedstaaten zusammensetzt und etwa 60 000 Mann (und Frau) umfassen wird, einsatzbereit sein. Wie sich die Krisenreaktionstruppe zusammensetzt, das wird bis Ende dieses Jahres geklärt.

Die Bundesrepublik Deutschland kann zur Zeit noch nichts konkretes melden, denn erst im Mai soll der Vorschlag einer Wehrstrukturkommission vorliegen, in der empfohlen wird, in welcher Weise die Bundeswehr zu reformieren ist. Man kann bei der Zusammensetzung der augenblicklichen Berliner Regierung davon ausgehen, daß sie bei der Personalanforderung wie bei der Finanzierung der EU nachgeben wird.

Wo soll diese EU-Krisenreaktionstruppe eingesetzt werden? Das letzte Wort ist noch nicht gesprochen, doch hat die derzeitige portugiesische Präsidentschaft bereits Aktionen "in und um Europa" angekündigt, und auch Scharping hat die Ansicht geäußert, die bunt zusammengewürfelte Truppe sollte innerhalb des "Euro-Atlantischen Sicherheitsraumes" tätig werden können. Das Geld für die neue Truppe soll aus den Haushalten der EU-Staaten aufgebracht werden.

Man kann davon ausgehen, und solches ist bereits mehrmals offiziös verlautbart worden, daß eines nicht mehr fernen Tages eine gemischte Truppe, zu der auch deutsche Soldaten gehören, etwa im Nahen Osten auf den Golanhöhen eingesetzt wird, wie der "Stern" unlängst zu berichten wußte.

Ob sie dort "das Recht und die Freiheit des deutschen Volkes" (oder heißt es bis dahin "der Bevölkerung"?) tapfer verteidigt, ist fraglich, doch darauf berufen sich die für den Einsatz deutscher Truppen Verantwortlichen schon längst nicht mehr, obgleich der Soldat nach dieser Formel verpflichtet wird. Schon vor acht Jahren erklärte das Bundesverteidigungsministerium in den "Informationen für die Truppe", daß die Treuepflicht der Bundeswehrsoldaten "territorial nicht begrenzt" sei. Offenbar beruft man sich mehr auf den ersten Teil der Verpflichtung unserer Soldaten, daß nämlich der Soldat "der Bundesrepublik treu zu dienen" habe, und das hat er auch zu tun, wenn ihm befohlen wird, im fernen Afrika, in Indonesien oder wo auch immer zu agieren. Wieso aber der Soldat "das Recht und die Freiheit des deutschen Volkes" verteidigte, als ein Bundeswehrkontingent, 1790 Soldaten stark, fast ein Jahr lang in Somalia durch den Wüstensand stolperte, um drei indische Offiziere logistisch zu versorgen, was den deutschen Steuerzahlern über 352 Millionen Mark kostete, das ist ebenso wenig ersichtlich wie der defensive Sinn des letzten militärischen Abenteuers des Außenministers Joschka Fischer, der auf amerikanischen Wunsch erwirkte, daß 75 deutsche Soldaten und -innen über vier Monate lang in Australien für einen eventuellen Einsatz in Ost-Timor stationiert wurde, was zwar den Soldaten sicherlich abwechslungsreiche Monate bescherte, der Verteidigung der Bundesrepublik Deutschland aber kaum diente. (Zu Beginn des Einsatzes hatte man mit Kosten von 5,1 Millionen DM pro Monat gerechnet. Eine Endabrechnung steht noch aus).

Die Internationalisierung der Streitkräfte kann dazu führen, daß entgegen Jahrzehnte langen Beteuerungen Bundeswehrsoldaten auch an einem Angriffskrieg teilnehmen müssen, wie es, wie Völkerrechtler immer wieder überzeugend darlegen, bei dem ohne UNO-Mandat geführten Krieg im Kosovo der Fall war. Ja, Bundeswehrpiloten mußten sogar Angriffe fliegen, bei denen zahlreiche Zivilisten ums Leben kamen.

Es vollzieht sich unter unseren Augen ein grundlegender Wandel nicht nur des Selbstverständnisses der deutschen Bundeswehr, sondern überhaupt unseres Staates und unserer Nation. Es ist abzusehen, daß angesichts der Praxis, deutsche Soldaten in alle Ecken der Welt zu schicken, die Wehrpflichtigen-Armee keine Zukunft hat. Die Wehrpflicht bedingt – und das ist bereits im Preußischen Wehrpflichtgesetz von 1814 deutlich ausgedrückt – daß der wehrpflichtige Bürger "zur Verteidigung des Vaterlandes" verpflichtet ist und zu nichts anderem. Und es ist auch – und die Abkehr davon ist bei einer sozialdemokratischen Bundesregierung geradezu absurd – im militärischen Standardprogramm der Sozialdemokraten aus den Zeiten von Bebel und Liebknecht selbstverständlich, daß die allgemeine Wehrpflicht, die als "Volksbewaffnung das sicherste Mittel zur Verhinderung eines Krieges" ist, nur ihre Berechtigung hat, wenn die Armee eine Verteidigungsarmee ist. In einer solchen Armee "weiß jeder Soldat genau, wofür er kämpft", so das damalige sozialdemokratische Programm.

Wenn man aber den Soldatenstand zu einem Beruf macht wie jeden anderen auch, dann fällt die besondere Verpflichtung und Verbundenheit der Bundeswehr für und mit ihrem Volk fort. Es bleibt eine Söldner-Armee, die von den nicht demokratisch legitimierten Institutionen der EU beliebig eingesetzt werden kann, unter Umständen sogar gegen die Bevölkerung eines Mitgliedslandes, das nicht so gewählt hat, wie es die linken EU-Politiker wünschen.

Michaela Weiser

 
     
     
 
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