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Euro: Die Stabilität geht baden

 
     
 
Der Countdown für den Euro läuft. Traut man den hehren Worten des Kanzlers, gehen wir herrlichen Zeiten entgegen. Die neue Währung wird so stabil sein wie die D-Mark, verkündet Helmut Kohl. Schön wär’s.

Nur schwer können sich die Deutschen mit dem Gedanken vertraut machen, daß die DM-Ära zu Ende geht – zu Ende geht, wenn nicht noch ein Wunder geschieht. Eine letzte, schwache Hoffnung, den Start des Euro wenigstens um einige Jahre zu verschieben, mag man an die vier Hochschullehrer knüpfen, die jüngst beim Bundesverfassungsgericht
in Karlsruhe Verfassungsbeschwerde gegen die geplante Gemeinschaftswährung eingereicht haben. Sie befürchten ein Doppeltes: hohe Inflationsraten und noch mehr Arbeitslose. Noch ist nicht sicher, ob das Gericht ihre Beschwerde annimmt.

Den Kanzler stört der Gang der Professoren nach Karlsruhe nicht. Die Karawane zieht weiter. Das ändert nichts daran, daß rund zwei Drittel der deutschen Bürger der neuen Währung unverändert skeptisch bis ablehnend gegenüberstehen. Die von der Europäischen Union (EU) installierte teure Propagandamaschine, die die Retortenwährung den EU-Bürgern schmackhaft machen soll, läuft zumindest in Deutschland ins Leere: kein allgemeiner Stimmungsumschwung zugunsten des Euro.

Aber warum so viel Skepsis? Ist nicht im 92er Vertrag von Maastricht der Europäischen Zentralbank (EZB) ein hohes Maß an Unabhängigkeit eingeräumt worden? Ihre wichtige Aufgabe ist in der Tat, die Preisstabilität zu sichern. Nur soweit dieses Ziel nicht beeinträchtigt ist, hat sie zugleich die allgemeine Wirtschaftspolitik in der Gemeinschaft zu unterstützen. Sie handelt grundsätzlich unabhängig von Weisungen politischer Instanzen. Und: Ihr ist es untersagt, Kredite an öffentliche Haushalte zu geben.

Damit nicht jeder geld- und finanzpolitische Hallodri Eingang in den Euro-Zirkel findet, müssen sich die Staaten durch die Vorlage von Gütezeichen qualifizieren: durch die Erfüllung bestimmter Konvergenzkriterien, die bis zum Beginn der eigentlichen Startphase des Euro erreicht sein sollen. Schon in wenigen Monaten kommen sie auf den Prüfstand. Dann entscheidet der Ministerrat, also der Klub der Regierungs- und Staatschefs, über Aufnahme oder Ablehnung.

Dabei muß er sich aber keineswegs sklavisch an die Erreichung der vorgegebenen Qualitätsstandards halten. Er darf großzügig sein. Und großzügig wird es hergehen. Wetten? Zum Jahresbeginn 1999 soll dann die Währungsunion beginnen.

Doch nun zu den wichtigsten Kriterien: Sie drehen sich um Inflation und Staatsverschuldung. Genau hier sollte man bei der eigenen Urteilsbildung die Lupe zur Hand nehmen. Zunächst zur Preisstabilität: Von einem Land, das den Euro einführen will, wird verlangt, daß seine Inflationsrate höchstens 1,5 Prozentpunkte über den drei preisstabilsten Ländern liegt. Diese Regel ist ein Graus für jeden, dem es wirklich um dauerhaft stabile Preise geht.

Nehmen wir an, die drei preisstabilsten Länder wiesen allesamt eine Inflationsrate von vier Prozent aus. Dann würde jedes Land als preisstabil gelten, dessen Inflationsrate nicht über 5,5 Prozent läge (vier plus 1,5 Prozent). Obwohl also in einem solchen Land die Inflation trabt, hätte es zumindest die Aufnahmebedingung  "preisstabil" erfüllt. Ein schlechter Witz ist das.

So ist es: Die Preisstabilität ist nicht absolut, sondern relativ verankert. Hätte man in Maastricht entschieden, jedes Land, dessen Inflationsrate in – sagen wir – den letzten drei Jahren unter zwei Prozent liege, sei als preisstabil einzustufen, wäre alles in Ordnung gewesen. Zu einer solch glas-klaren Formulie-rung hat man sich nicht durchringen können. Allein das spricht Bände.

Nun hat sich in fast allen Ländern der EU während der letzten Jahre der Anstieg der gängigen Preisindizes deutlich abgeflacht. Der Bundeskanzler und sein Finanzminister sehen hierin einen großen Erfolg des Maastricht-Vertrages. Dieser übe beträchtliche stabilisierende Wirkung aus. Das freilich ist reinste Schönfärberei. Eine ganze Reihe von Ländern außerhalb der EU wartet ebenfalls mit maßvollen, oft sogar noch niedrigeren Inflationsraten auf.

Wechseln wir zu den Staatsschulden: Ein Land kann sich für den Beitritt zur Währungsunion nur qualifizieren, wenn seine Finanzen dauerhaft in Ordnung sind, wenn es einen Staatshaushalt "ohne übermäßiges Defizit" sein eigen nennt. Nicht übermäßig ist die Staatsschuld, wenn das aktuelle Defizit des Landes nicht mehr als drei Prozent und gleichzeitig die öffentliche Verschuldung insgesamt nicht mehr als 60 Prozent des Bruttoinlandproduktes (BIP) ausmachen. Dabei steht BIP für den Güterberg, den die Volkswirtschaft des jeweiligen Landes im Laufe eines Jahres schafft.

Das sind, sollte man meinen, klare, harte Bedingungen. Bundesfinanzminister Theo Waigel hat denn auch einige Jahre lang laut verkündet, kein EU-Land werde den Euro einführen dürfen, dessen aktuelles Staatsdefizit mehr als drei Prozent ausmache ("drei gleich drei"). Während er von dieser Meinung abzurücken versucht und sich wegen der eigenen Etatprobleme Großzügigkeit verordnet hat, wird die Drei-gleich-drei-Position von seinem Parteifreund Edmund Stoiber weiter beharrlich vertreten.

Wer von beiden hat recht? Stoiber, versteht sich. Warum? Weil der Euro nie eine stabile Währung sein wird, wenn sich die Teilnehmerländer den Luxus unsolider Staatsfinanzen leisten. Wenn schon beim Euro-Start lasche Maßstäbe an die öffentlichen Etats gelegt werden, brechen wenig später die Dämme. Hier nähern wir uns dem heißen Kern der Sache.

Die Europäische Zentralbank (EZB) soll Hüterin der Währung im Euro-Klub sein. Das kann sie nur , wenn sie allein die Geldpolitik bestimmt. Die ganze Weisheit der Geld- und Währungspolitik läßt sich in einem Satz bündeln: Gutes Geld ist knappes Geld. Nur wenn nicht dauerhaft zuviel Geld in den Wirtschaftskreislauf geschleust wird, läßt sich Inflation vermeiden. Die Notenbank muß also darauf achten, daß sie den "Geldmantel" nicht zu groß schneidert.

Auf einen kurzen Nenner gebracht, in dem eine Menge Geldtheorie steckt: Zur Finanzierung eines inflationsfreien Wachstums einer Volkswirtschaft darf die Geldmenge dauerhaft nur um wenige Prozentpunkte pro Jahr zunehmen. Genau diese Richtschnur legen heute moderne Notenbanken, wie die Deutsche Bundesbank, ihrer Geldpolitik zugrunde. Eine solche Geldmengensteuerung sollte eigentlich auch im Euro-Währungsraum möglich sein, gerade weil die Politiker von der Europäischen Zentralbank (EZB) nicht einen einzigen Euro zur Schuldenfinanzierung der öffentlichen Hand bekommen. Doch so einfach liegen die Dinge nicht.

Es ist zwar richtig, daß in vielen EU-Ländern in den letzten Jahren die Neuverschuldung zurückgeführt wurde. Dies freilich häufig mit sehr fragwürdigen Mitteln. Man braucht nur an die zahlreichen Tricks zu erinnern, mit denen praktisch überall gearbeitet wurde. Den ganz großen Coup wollte just der EU-Musterknabe Deutschland, vertreten durch seinen Finanzminister, landen: Waigel tat einen Griff nach den Goldreserven der Bundesbank – und verbrannte sich prompt die Finger.

Die Tricks allein schon zeigen: Gelungen ist die Sanierung der öffentlichen Finanzen in den meisten EU-Ländern noch lange nicht – zu schweigen davon, daß die Schuldenreduzierung häufig zu Lasten notwendiger öffentlicher Investitionen gegangen ist. Doch davon abgesehen: Haben diese Länder erst einmal die Mitgliedschaft in der Währungsunion erreicht, werden sie, so steht zu befürchten, in den alten Finanztrott verfallen und ihre Staatsdefizite wieder munter klettern lassen.

Der Amsterdamer Gipfel hat zwar ein Sanktionsverfahren bei künftigen übermäßigen Defiziten verabschiedet. Die Sanktion, die bis zu Geldbußen reicht, wird freilich nicht automatisch ausgelöst. Sie tritt nur nach einem Beschluß des Ministerrats in Kraft, also nach einer politischen Entscheidung. Man kann sich denken, wie sie ausfällt: Eine Krähe hackt der anderen kein Auge aus. Gering ist die Gefahr nicht, daß die Ära sinkender Defizite bei den Euro-Teilnehmerländern rasch ihr Ende findet.

Doch was hat all das mit der Währungsstabilität zu tun? Viel, denn steigende Etatdefizite sind mit wachsenden Zinsausgaben verbunden. Diese schränken – siehe Deutschland – den Gestaltungsspielraum des Staates stark ein. Darum werden die Politiker Druck auf die Notenbank ausüben, die Zinsen nachhaltig zu senken. Möglich ist das jedoch nur, wenn sie zusätzliches Geld in den Wirtschaftskreislauf pumpt. Genau dies aber, das "viele" Geld, würde den Preisauftrieb beschleunigen.

Politischer Druck auf die EZB kommt noch aus einer anderen Ecke. In allen Ländern der EU herrscht drückende Arbeitslosigkeit. Auch das wird die Politiker bewegen, die EZB zu einer Politik leichten Geldes zu veranlassen. Genau hier kommt der französische Premier Lionel Jospin ins Spiel. Nicht zuletzt erschreckt durch den Aufstand der Arbeitslosen in seinem Land, versucht er mit Nachdruck, die Europäische Zentralbank in den Kampf gegen die Arbeitslosigkeit einzubinden. Dabei ist Einbindung nur die Umschreibung für zusätzliche, durch die Produktivkräfte der Wirtschaft nicht gedeckte, also inflationäre Geldschöpfung.

Die Erfahrung lehrt: Über mehr Geld und niedrige Zinsen neue Jobs, dazu in Fülle, zu schaffen, geht aus wie das Hornberger Schießen. Bei einem solchen Pro- zeß erreicht die Geldentwertung mit der Zeit dramatische Formen. Spätestens dann sieht sich die Notenbank ge-zwungen, das Geld deutlich zu verknappen und zu verteuern. Am Ende sind mehr Arbeiter ohne Job als vor Beginn der fragwürdi-gen Aktion. Hinzu kommt der schwere Betrug am Sparer. Aus Erfahrung klug scheinen viele Politiker offenbar nicht zu werden.

Fatal auch, daß es in der EU eine starke Neigung gibt, die Wechselkurse außerhalb des Euro-Raums zu "regulieren". Nach dem Maastricht-Vertrag obliegt die Wechselkurspolitik nicht etwa den Managern der EZB, sondern dem Ministerrat, also Politikern, die in Währungsdingen die größten Ignoranten sind. Geht es nach ihnen, wird die Beweglichkeit der Wechselkurse eingeschränkt.

Da aber kann es dramatisch werden. Und zwar dramatisch immer dann, wenn im Wechselkursverbund eine Fremdwährung schwach wird und gestützt werden muß. In diesem Fall muß die EZB die schwache Währung in praktisch unbeschränktem Umfang ankaufen. Damit ist in der Währungsunion ein inflationsfördernder Anstieg des Geldumlaufs verbunden. Für die Stärke des Euro ist das nicht gerade förderlich.

Wohin man sieht: Überall sind Tendenzen der Aufweichung zu spüren, auch in Bonn. Nach Abschluß des Vertrages von Maastricht war im Deutschen Bundestag die ganz überwiegende Zahl der Abgeordneten klar der Meinung, der Euro müsse so stabil sein wie die Mark. Davon ist heute nicht mehr die Rede. Wenn ein Politiker wie Stoiber aus stabilitätspolitischen Gründen auf dem Prinzip "drei gleich drei" beharrt, schlägt ihm fast schon blanker Hohn der Politiker entgegen. Hier zeigen sich schon deutliche Zeichen eines Verfalls der Stabilitätskultur.

Sollte der Euro kommen, wird dessen Stabilität entscheidend vom Stehvermögen der Topmanager in der Europäischen Zentralbank abhängen. Vor allem: Ein Euro, der diesen Namen verdient, ist ohne einen stabilitätsbewußten, durchsetzungsfähigen, den Politikern eisern Schranken setzenden Notenbankchef nicht zu haben. Da denkt man spontan an den freilich nicht mehr ganz jungen, früheren Notenbankchef der Niederlande und derzeitigen Präsidenten des Europäischen Währungsinstituts: Wim Duisenberg. Er wäre der richtige Mann an der Spitze der EZB.

Sollte Duisenberg nicht zu haben sein, wäre Europa nicht schlecht aufgehoben, wenn der Euro-Start um zwei oder drei Jahre verschoben würde. Die Welt bräche nicht zusammen.

 
     
     
 
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