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Lyck - Hauptstadt von Masuren

 
     
 
Eigentlich sind Fahrten in den Heimatkreis Lyck für Ger Bandilla längst zur liebgewonnen Routine geworden. Bereits fünfundfünfzigmal führt ihn seit 1971 der Weg zurück zu den Stätten seiner Kindheit, allein, in Begleitun seiner Frau Else, mit Freunden, Lycker Landsleuten oder Bürgern der Patenstadt Hagen Daß es jetzt bei der 56. Reise wohl doch ein gewisses "Kribbeln im Bauch" gab hatte einen besonderen Grund: Lyck, die heimliche Hauptstadt Masurens, feierte ih 575jähriges Jubiläum.

Keine Frage, dieses Ereignis wollten sich die Lycker, die seit 1995 bereits Begegnunge mit der heutigen Bevölkerung
in Baitenberg (Baitkowen), Kölmersdorf (Wischniewen) Stradaunen, Grabnick, Fließdorf (Jucha) und Dreimühlen (Kallinowen) veranstaltet haben nicht entgehen lassen. So steuerten sie in zwei Bussen, angeführt von Kreisvertreter Ger Bandilla und Kassenwart Reinhard Bethke, von Erftstadt aus in Richtung Heimat. Unterweg wurden noch etliche Mitreisende aus dem gesamten Bundesgebiet, ja gar aus Australien England und Wales, aufgelesen, so daß schließlich über 100 Landsleute zu Zwischenübernachtung in Posen eintrafen. Ein nächtlicher Altstadtbummel mußt allerdings wegen nachlassender Kondition – schließlich waren die meisten schon sei über 18 Stunden auf den Beinen – ausfallen. Auch am nächsten Morgen hieß es zeitig aus den Federn zu kommen, denn etliche Kilometer mußten noch zurückgelegt werden Doch bei allem Zeitdruck: Einen längeren Aufenthalt in Thorn, der Geburtsstadt vo Nicolaus Copernicus, und eine kleine Badepause am Debrongsee genehmigten die beide Reiseleiter ihren Mitreisenden. Als "Rettungsanker" bei aufkommender Ungeduld in Laufe der langen Fahrt erwiesen sich zudem Willi Szislo und Buskapitän Werner Berikoven Szislos Bärenfangverkauf (2 DM pro Glas) zugunsten des Deutschen Vereins in Lyc florierte dank der regen Nachfrage, während Werner Berikoven – als bewährter Fahre der Lycker schon fast als "rheinländischer Ostpreuße" zu bezeichnen – mi seinem trockenen Humor immer wieder die Lacher auf seiner Seite hatte.

Mit dem "Lega Inn" in Kelchendorf und dem "Horeka", direkt a Lycker See gelegen, hatte man zwei Hotels ausgewählt, die sich durchaus mit westliche Standard messen können. Von hier aus wurde am nächsten Morgen (in legerer Kleidung) ein erste Inspizierung der näheren Umgebung unternommen, während Gerd Bandilla und Reinhar Bethke sich trotz tropisch anmutender Temperaturen in "feinen Zwirn werfen" mußten. Dies nicht ohne Grund, hatte doch die Stadt Lyck anläßlich des Jubiläums zu einem Empfang im Landratsamt eingeladen.

Zuvor suchte Bandilla noch den Vizelandrat des Kreises Lyck, Jaroslaw Franczuk, in dessen Büro auf. Die beiden Männer pflegen seit vielen Jahren freundschaftlich Kontakte, die dank der guten polnischen Sprachkenntnisse des Lycker Kreisvertreters nich nur aus oberflächlichen Floskeln bestehen. Franczuk durfte denn auch einen Blick auf die Rede Bandillas werfen, die dieser beim Festakt halten wollte. Ein nicht zu verkennende Stirnrunzeln war die Antwort des Vizelandrats. Doch wer ein echter Masure ist, läßt sic dadurch von seinem Vorhaben noch lange nicht abbringen.

So schlug Bandilla in seiner kurzen Ansprache während der offiziellen Eröffnung de Festwoche, die gleichzeitig den Rahmen für die Unterzeichnung des Partnerschaftsvertrage zwischen der polnisch verwalteten Stadt Lyck und der niederrheinischen Stadt Nettetal bot im Namen der früheren Bewohner Lycks klare Worte über den Werdegang der Stadt an "Zwei Dinge gefallen uns nicht: Von der polnischen Geschichtsschreibung werde Masuren und Polen gleichgestellt. Die Masuren waren seit der Reformation im Jahre 152 evangelisch, und sie wollten spätestens seit dem Tataren-Einfall im Jahre 1656 kein Polen sein ... Dann wird vielfach von der ,Rückkehr‘ Masurens in das polnisch Mutterland geschrieben. Es hat keine Rückkehr stattgefunden; denn Masuren hat nie zu Polen gehört, wenn man von der polnischen Lehnshoheit über Preußen in der Zeit von 146 bis 1657 absieht. Aber das alles ist Vergangenheit. Wir sollten in die Zukunft schauen Die deutsch-polnischen Beziehungen waren noch nie so gut wie in der Gegenwart. Dazu habe wir, die vertriebenen Deutschen, viel beigetragen. Ich bin mir sicher, daß es in de Zukunft genauso bleibt."

Lediglich verhaltener Beifall und betretene Gesichter waren die Reaktion. Vor allem be der Delegation um den Nettetaler Bürgermeister Peter Ottmann, der sich doch alle Müh gegeben hatte, die deutsche Vergangenheit Lycks ja nur mit keinem Sterbenswörtchen in seiner Rede zu erwähnen, so daß man als Zuhörer – wider besseres Wissen – fast den Eindruck hätte haben können, die von den Polen "Elk" genannte Stad feiere erst ihr zehnjähriges Bestehen. Vielleicht fehlten ihm aber bis dato schlicht die geschichtlichen Kenntnisse, war es der 41 000 Seelen zählenden Stadt Nettetal, Sitz de Adalbert-Stiftung, doch vor allem darum gegangen, eine Partnerschaft mit einer Stad einzugehen, die in Bezug zum heiligen Adalbert steht: Die schon immer katholisch gewesene sogenannte "Kleine" Kirche in Lyck erfüllte dieses Kriterium, ist sie doc Adalbert von Prag, der bei dem Versuch, die Prussen zu christianisieren, 997 bei Tenkitte im Samland den Märtyrertod erlitt, geweiht.

Der Unterzeichnung des Partnerschaftsvertrages folgte im Rahmen des offizielle Jubiläumsprogramms im Kulturhaus eine Ausstellungseröffnung mit Arbeiten von Günte Donder. Der 1929 in Stettenbach, Kreis Lyck, geborene Künstler lebte nach dem 2 Weltkrieg noch 13 Jahre in Masuren und im Ermland, bevor er in die Bundesrepubli Deutschland umsiedeln konnte. Die Ausstellung, die mehrere Tage lang etliche Deutsche wi auch Polen interessiert beobachteten, zeigte einen Querschnitt seiner Arbeiten, die zwischen 1987 und 2000 in Pastell, Öl und Acryl entstanden sind. Neben Porträt- un anderen Bildern durften natürlich vor allem heimatliche Motive wie der Laschmiadensee be Klein Rauschen und der Geserichsee nicht fehlen. Donder, dessen autodidaktische Ausbildun sich – wie er selbst sagt – "fast nur draußen auf Feldern, Wiesen oder in Waldgegenden vollzog", hat sich besonders in der Gegend um seinen jetzigen Wohnor Köln einen Namen als Maler gemacht.

Einen zweiten Höhepunkt erlebte das Lycker Kulturhaus noch am selben Tag mit de Konzert des Polizeichors Berlin unter der Leitung von Bernhard Barth. Doch wie kommt ei deutscher Polizeichor überhaupt nach Lyck? Ganz einfach: Der Ehrenvorsitzende des Chors Peter Dziengel, hatte schon lange den Wunsch, daß der Chor, dem er bereits über 40 Jahr angehört, einmal in seiner Heimat auftreten möge. Eine günstige Gelegenheit bot sic jetzt zum Stadtjubiläum. Daß nicht nur die vielen Zuhörer Spaß an dem Konzert hatten sondern auch die 36 angereisten Chormitglieder, die wegen der raren Hotelbetten in Lyc ihr Domizil in Nikolaiken hatten aufschlagen müssen, war nicht zu übersehen. Nach de ersten Teil – mit Liedern wie "Ännchen von Tharau" und "Land de dunklen Wälder" der Heimat gewidmet – lockerte sich die Stimmung dank bekannte Gassenhauer wie "Die kleine Kneipe in unserer Straße" bei den Zuhörer sichtlich auf. Kaum noch auf ihren Stühlen hielt es sie, als der Chor, desse Stimmvolumen selbst penible Kritiker verstummen ließ, zu Ehren seiner Berliner Heimat ei Medley bekannter Lieder des im ostdeutschen Neidenburg geborenen Komponisten Walte Kollo zum besten gab. Krönender Abschluß eines begeisternden Konzertes – nich zuletzt auch ein Verdienst des gekonnt durch das Programm führenden Conférenciers un zugleich 1. Vorsitzenden des Chors, Rüdiger Jakesch – war jedoch zweifellos da diesmal gemeinsam aus vielen hundert deutschen und polnischen Kehlen gesungen Ostdeutschlandlied. "Standing Ovations" und nicht enden wollender Applaus waren de Dank des Publikums, unter ihnen auch die Teilnehmer der von Paul Koyro eigens für da Kirchspiel Fließdorf organisierten Busreise zum Stadtjubiläum.

"In jedem Manne steckt auch ein Kind", dieser weise Spruch fand tags darau einmal mehr seine Bestätigung: Eine Fahrt mit der traditionsreichen, fast ein Jahrhunder alten Lycker Kleinbahn, die einzig verbliebene in Ostdeutschland, ließ vor allem die Herze der mittlerweile doch etwas in die Jahre gekommenen Herren höher schlagen. Unte Volldampf zuckelte die Lok prustend mit ihren vier Waggons im Schlepptau gemütlich vo Dreimühlen aus in Richtung Lyck, mit einem Zwischenstop in Borschimmen, wo auf de Heldenfriedhof 73 deutsche und 54 russische Soldaten des 1. Weltkrieges ihre letzte Ruh gefunden haben. Für gute Stimmung bei der Fahrt im Schneckentempo sorgte einmal mehr de Berliner Polizeichor, der fröhliche Lieder in die Weite der masurischen Landschaf schmetterte.

Eine gedrückte Atmosphäre herrschte dagegen in Kalthagen (Kaltken). Waren es anfang nur vereinzelte Tränen, die auf den Wangen der einstigen Bewohner glitzerten un verstohlen weggewischt wurden, liefen sie während der feierlichen Einweihung eine Gedenkkreuzes für die früheren Bewohner des kleinen Ortes im Kirchspiel Fließdor später in Strömen. Und niemand brauchte sich dafür zu schämen, als die Gedanke zurück gingen an glückliche Kindertage.

Rund 150 Deutsche und Polen waren gekommen, um Zeugen dieses denkwürdigen Ereignisse zu sein. Keine drei Monate hatte es von der Beantragung des Vorhabens bei den polnische Behörden im November 1999 bis zu dessen Genehmigung gedauert. So dankte dann auch Ulric Gorlo, Unternehmer aus Bielefeld, der gemeinsam mit seinem Bruder Udo die Koste übernommen hatte, besonders der anwesenden polnischen Bürgermeisterin Danuta Kaweck für die schnelle – leider aber noch nicht alltägliche – Zustimmung, zu Gedenken an die verstorbenen früheren deutschen Bewohner hier ein Kreuz aufstellen zu dürfen. Die Weihe erfolgte durch den polnischen Pfarrer Edward Burczyk, de freundlicherweise auf deutsch zu den Anwesenden sprach.

Kaum waren die Tränen getrocknet, setzten sich Busse und Pkws wieder in Bewegun – in Richtung Auglitten (Sawadden), wo der Kirchspielvertreter von Fließdorf, Pau Koyro, unter großer Beteiligung der früheren wie auch heutigen Bewohner eine Gedenkstein einweihte, gewidmet denen, die hier einst zu Hause waren und im Erste Weltkrieg ihr Leben lassen mußten. Doch einer fehlte schmerzlich: Initiator Gerd-Jürge Kowallik, 1. Vorsitzender der Gruppe Kassel und Ortsvertreter von Auglitten (Sawadden) Zwei Wochen vor der Erfüllung seines Herzenswunsches, der Einweihung des Gedenksteins starb er kurz vor Vollendung seines 65. Lebensjahres.

Am Abend lud der Pianist Gottfried Herbst zu einem Klavierkonzert in de evangelisch-methodistischen Kirche in der Lycker Steinstraße. Für ihn war es das vierte Konzert in seiner Geburtsstadt und s gedachte er an dieser Stätte besonders seiner Lycker Klavierlehrerin und vor allem seine Eltern. Nicht nur für Kenner war es ein Erlebnis, dem überaus sympathischen bescheidenen Künstler, der sich täglich mindestens acht Stunden der Musik widmet zuhören zu dürfen. Und wer gar das Glück gehabt hatte, ihm "auf die Finge schauen" zu können, kam aus dem Staunen gar nicht mehr heraus. Ein wahrer Virtuos präsentierte hier sein Können, u. a. bei Ausschnitten aus dem "Italienische Konzert" von Johann Sebastian Bach und den "6 Mazurken" von Frederi Chopin. Und das alles auswendig mit über einer halben Millionen Noten im Kopf!

Über 500 Gläubige folgten am Sonntag mittag dem Ruf der Kirchenglocken zu ökumenischen Gottesdienst in der "Großen" Kirche in Lyck, der, wie es de Hausherr, Propst Piotr Walczak, in seiner Begrüßung ausdrückte, Deutsche und Polen in Glauben vereinigte. Für die Kreisgemeinschaft Lyck hieß Peter Dziengel, Redakteur de Hagen-Lycker Briefes, die Gottesdienstbesucher willkommen. Auch für ihn, der 1928 in diesem Gotteshaus getauft, 1943 konfirmiert und Heiligabend des selben Jahres als Chorknabe zum letzten Mal in dieser Kirche gesungen hatte, war es ein besonderer Tag Knapp 57 Jahre später erfüllte seine Stimme gemeinsam mit dem Polizeichor Berlin, de die musikalische Umrahmung oblag, erneut die heilige Stätte. Die Predigt de krankheitsbedingt verhinderten Pastors Joachim Mazomeit unter dem Leitgedanke "Friede durch Versöhnung" las Pastor Marian Sontowski von de evangelisch-methodistischen Kirche Lyck vor. Mit dem gemeinsam von Chor und Gemeind gesungenen "Nun danket alle Gott" ging ein Gottesdienst zu Ende, der Zeiche setzen könnte für das weitere Miteinander von Deutschen und Polen.

Ausgelassene Stimmung herrschte dann am Nachmittag rund um den Wasserturm, Sitz de Deutschen Vereins in Lyck. Selbst in ihren kühnsten Träumen hätten es sich die in de Heimat verbliebenen Landsleute wohl nicht träumen lassen, daß so viele ihrer Einladun zu gemeinsamen Stunden Folge leisten würden. Niemals zuvor tummelten sich so viel Menschen – unter ihnen auch Mitglieder der sächsischen Gruppe Limbach-Oberfrohna die unter Leitung ihres Vorsitzenden Kurt Weihe den Kreis Lyck inspizierten – auf de Gelände der Begegnungsstätte, auf die ihre Nutzer nach erfolgter Renovierung mit Rech stolz sein können. Gegrillte Köstlichkeiten, Kaffee, Kuchen und, und, und ... fande reißenden Absatz – der angemessene Obolus, der dafür zu entrichten war, summiert sich schließlich zu einer stolzen Summe, die der Arbeit des Vereins zugute kommen wird Unter den Anwesenden konnte die Vorsitzende Edyta Olechnowitz neben den Gästen aus de Bundesrepublik Deutschland u. a. eine Delegation des Deutschen Vereins in Lötzen, de seinen Chor mitgebracht hatte, den Lycker Stadtverordneten und Vorsitzenden des Verein der Freunde Lycks, Herrn Zaremba, den Bürgermeister der Gemeinde Lyck-Land, Bernar Walenciej, wie auch die Bürgermeisterin von Fließdorf begrüßen. Die große Kuliss wurde dann auch gleich genutzt, um im Keller des Wasserturms ein kleines Museum rund u das Thema "Wasser" zu eröffnen.

Glänzender Schlußpunkt des offiziellen Programms der Kreisgemeinschaft Lyc anläßlich des Stadtjubiläums war schließlich am Abend ein Konzert des in Borschimme geborenen Kirchenmusikdirektors Erich Piasetzki, Berlin. Die Vorfreude der vielen hunder Zuhörer in der überfüllten "Großen" Kirche wurde allerdings ein weni getrübt. Die Orgel stellte sich als dringend reparaturbedürftig heraus. Doch auch wen die technischen Voraussetzungen nicht gerade als ideal zu bezeichnen waren, gelang e Piasetzki, der im Alter von zehn Jahren erstmals diese Kirche betreten hatte, mühelos die Anwesenden in den Bann seiner Künste zu ziehen.

Ein Tag zur freien Verfügung – Zeit für einen Besuch der Heimatorte. Die Taxiunternehmen in und um Lyck florierten. Auch Gerd Bandilla und Frau Else nutzte gemeinsam mit der Familie Feldmann (Vater, Mutter, Sohn und Schwiegertochter) die Gelegenheit, auf den Spuren der Vergangenheit zu wandeln. Über einen kurzen Absteche nach Mostolten, dem Heimatort von Gerd Bandilla, führt der Weg nach Herzogsdorf bei Arys wo die Großeltern von Edeltraut Feldmann einst einen stolzen Hof besaßen. Heute teile sich zwei polnische Familien den Besitz. In der einen Hälfte, die – im Gegensatz zu anderen – frisch angestrichen einen gepflegten Eindruck vermittelt, werden die Familien Bandilla und Feldmann schon sehnsüchtig erwartet. Mengen an Schinken, Tomaten selbst eingelegten Gurken stehen bereit. Ein Dank für die Unterstützung mit Kleidung un kleinen Geldbeträgen, die Familie Feldmann bereits seit 1971 dem Rentnerehepaar zukomme läßt. Doch all die Mühen können nicht über die offensichtlichen finanzielle Engpässe hinwegtäuschen: Keine Toilette, kein Bad, statt einer Küche lediglich ein alte Kochplatte. Dennoch zeigen sich die beiden zufrieden: "Hauptsache wir sin gesund, und die Familie hält zusammen." Beladen mit Honig verlassen die Gäste de Hof, insgeheim froh, daß ihnen ein Blick in die Nachbarwohnung erst gar nicht gestatte wurde. Die sprichwörtliche Schönheit der masurischen Landschaft hilft, grüblerisch Gedanken gar nicht erst aufkommen zu lassen. Von einer Anhöhe blickt man über de Hänselsee und sieht schon von weiten das idyllisch gelegene nächste Ziel: Kalthagen, w Else Bandilla, geb. Skrodzki, und Edeltraut Feldmann, geb. Kamutzki, aufgewachsen sind Die gemeinsame Zeit der beiden Nachbarkinder wurde durch die Flucht jäh unterbrochen doch es dauerte nicht lange, bis sie sich im Westen bei einem Treffen der Lycke wiederfanden. Über ein halbes Jahrhundert sind seitdem vergangen. Nun stehen sie wiede auf den elterlichen Grundstücken. Wenn auch mit Wehmut erfüllt, ist Else Bandilla doc glücklich, daß ihr Elternhaus, Wohnsitz des letzten Bürgermeisters von Kalthagen, gan manierlich aussieht. Die nun dort wohnende junge Familie lebt ausschließlich von de Milchwirtschaft; kein leichtes Unterfangen, das aber von Familie Bandilla so gut es geh unterstützt wird. So ist die zweite überreichliche Bewirtung an diesem Tag dann auc keine wirkliche Überraschung mehr. Während des Kaffeetrinkens wirft Edeltraut Feldman immer wieder einen sehnsüchtigen Blick auf das Nachbargrundstück. Ja, der eine ode andere Baum ist wohl noch da, aber den Hof der Kamutzkis gibt es nicht mehr; bloß ei paar einzelne Steine als stumme Zeugen. In den 60er Jahren brannte das Anwesen bis auf die Grundmauern nieder: ein Opfer der Schnaps-Schwarzbrennerei.

Schnell noch ein Besuch auf dem Friedhof. Die ehemals so gepflegte Anlage ist kaum noc als Stätte der Toten zu erkennen. Im tiefen Dickicht finden sich nur noch wenig Anhaltspunkte, wo die toten Angehörigen ruhen könnten. Zwei große Gräber und dazu ei kleines – die Großeltern und den kleinen Bruder – sucht Edeltraut Feldmann "Dort auf der Anhöhe, das sind sie, aber wiederum da unten ...?" Nein, ein letzte Gewißheit gibt es nicht, auch wenn man als Kind auf dem Schulweg beinahe täglich um den Weg abzukürzen, über den Friedhof gegangen ist.

Eine Schiffsfahrt von Nikolaiken nach Niedersee bot tags darauf Gelegenheit, die Seel baumeln zu lassen. Welch ein herrliches Erlebnis, über die schönen Seen zu schippern Aber warum mußte es ausgerechnet an diesem Tag so bitterlich kalt sein? Teepunsch un Grog halfen, den Widrigkeiten des Wetters stand zu halten. So aufgewärmt, wagten die meisten dann auch, sich in wackligen Kähnen über die seicht dahinfließende Kruttinn staken zu lassen. Dieses absolute "Muß" eines jeden Masuren-Reisenden sollt lediglich für einen in harte Arbeit ausarten: Reinhard Bethke hatte im wahrsten Sinn alle Hände voll zu tun, um mit ausdauerndem Wasserschöpfen sein leckes Boot über Wasse zu halten.

Die Tage im Heimatkreis neigten sich langsam dem Ende. Doch bevor es ans Abschiednehme ging, war noch einmal volles Programm angesagt. Über Kalkofen führte der Weg nac Grabnick, wo der "Kaiserstein" am Eingang des Ortes grüßt. Hier hatte Kaise Wilhelm II. im Februar 1915 die Winterschlacht um Masuren beobachtet. Ein zweites ebenfalls renoviertes Krieger-Ehrenmal befindet sich in der Nähe der Kirche. Schon vo weiten konnte man das zweite Ziel des Tages erkenen: Die drei Kreuze bei Bartendor (Bartossen), das "Masurische Golgatha". Die Deutsche Kriegsgräberfürsorge is zur Zeit dabei, auf einem vier Hektar großen Gelände den größten Umbettungsfriedhof in südlichen Ostdeutschland zu gestalten. Die Arbeiten sind voll im Gange, so da Besuchergruppen demnächst wohl nicht mehr durch die "Wildnis" den Weg zu Anhöhe erklimmen müssen. Schließlich die letzte Station der Reise an die Stätten de Kriegsgräber im Kreise Lyck, für deren Instandsetzung und Pflege sich seit vielen Jahre Gotthilf Willutzki, Heimatbeauftragter der Kreisgemeinschaft, unermüdlich einsetzt: de Wachtberg bei Talussen. Auf dem 1991 von jungen Ostdeutschland wieder freigelegten Friedho liegen 79 deutsche und 278 russische Soldaten begraben, die an dieser Stelle im 1 Weltkrieg gefallen sind.

Zu einem letzten gemeinsamen Treffen kamen die Reiseteilnehmer auf de "Masurenhof" in Sareiken zusammen. Der 32jährige Jochen Elsner, Soh Dithmarscher Bauern, will sich hier gemeinsam mit seiner polnischen Frau Marta eine Lebenstraum erfüllen, die Errichtung eines Wild- und Bärenparks. Doch noch lassen die drei Bären aus dem Breslauer Zoo auf sich warten. So bestaunte man ersatzweise die Ziegen, Hühner und Pferde und ließ es sich bei abwechlungsreicher masurischer Küch schmecken.

Mit jeder Menge neuer Eindrücke im Gepäck wurde schließlich über Allenstein, Gnese und Posen die Rückreise gen Westen angetreten. Viel hatte man erlebt in den zehn Tagen Beglückendes, manchmal wohl auch Trauriges, wenn der Traum, sein Elternhaus zu finde oder betreten zu dürfen, zerplatzt war. Doch bei aller Wehmut in den letzten Stunden de Gemeinsamkeit hatten viele schon ein festes Ziel vor Augen: Das Hauptkreistreffen de Lycker am 26. und 27. August in der Patenstadt Hagen. Eine gute Gelegenheit, in Erinnerungen zu schwelgen und nochmals auf "575 Jahre Lyck" anzustoßen.

 
     
     
 
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