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Trotz Flutkatastrophe neue Anschläge

 
     
 
Im Schatten der Tsunami-Katastrophe, die die Westküste Thailands verheerte, existiert politisches Unheil aus Menschhand weiter. 600 Todesopfer haben allein islamischer Terror sowie der Gegenterror von Thailands Militär und Polizei im tiefen Süden Thailands im letzten Jahr gefordert. Es ist einer jener vielen zunehmend blutiger geführten Konflikte, in die Muslim
e im Kampf der Zivilisationen gegen den Rest der Welt verstrickt sind. Doch wie in Tschetschenien, Bosnien oder Ost-Turkestan kann die Schuldzuweisung nicht nach dem Schwarz-Weiß-Raster erfolgen.

Lange galten die fünf malayisch-muslimischen Südprovinzen Thailands, Pattani, Narathiwat, Yala, Satun und Songlat, als verschlafene, wirtschaftlich zurückgebliebene Randgebiete des aufstrebenden überwiegend buddhistischen Landes. Dort tummeln sich Piraten und Schmuggler. Die einheimischen Malayen fischen und haben auf Gummi- und Palmoelplantagen ein Auskommen. Die Chinesen organisieren den Klein- und Großhandel. Beamte aus der Zentralverwaltung in Bangkok werden hierher nur aufgrund besonderer Unfähigkeit oder Korruption versetzt. Auch Polizei und Militär gelten im tiefen Süden Thailands als besonders bestechlich und unprofessionell. Bis vor kurzem kämpften sie hauptsächlich gegeneinander um Pfründe im Schmuggel- und Schutzgeldgeschäft. Als im Januar 2004 mutmaßliche Islamisten das Waffenlager eines Pionierbataillons überfielen, vier Soldaten erschossen und 400 Sturmgewehre stahlen, verbreitete die Polizei sogleich die Version, die Armee habe den Überfall selbst inszeniert, um ihre Waffenschiebereien nach Aceh zu vertuschen.

Die fünf mehrheitlich islamischen Südprovinzen gehören erst seit 100 Jahren zu Thailand. 1873 hatte König Chulalongkorn das seit Jahrhunderten autonome und damals durch Seehandel wohlhabend gewordene Sultanat Pattani erobert, um eine Pufferzone gegen die sich auf der malayischen Halbinsel immer aggressiver nach Norden ausbreitenden Briten zu errichten. 1902 wurde das ehemalige Sultanat formal annektiert und fürderhin als wenig bedeutende Randprovinzen im buddhistischen Zentralstaat Siam mit Verachtung gestraft. 1948 kam es zu einem ersten Aufstandsversuch in Narathiwat, als die Zentralregierung den geistlichen Führer der Provinz, Haji Sulong, verhaften ließ. Vor zehn Jahren traten Separatisten wie die Vereinigte Befreiungsbewegung Pattani (Pulo) auf den Plan. Sie galt bald als zerschlagen. Ihre Splittergruppen mutierten zu Schmugglerbanden, denn die wenigen offiziellen Grenzposten nach Malaysien sind unschwer zu umgehen.

So spielte das offizielle Bangkok die Gefahr einheimischer islamischer Terroristen auch nach dem 11. September 2001 herunter, dies auch nachdem der aus Südthailand stammende Hambali, der Chef der mit Al Quaida verbündeten Jemaah Islamiah (JI), die mit Hilfe von Bomben (auch jener in Bali) in ganz Südostasien einen islamistischen Gottesstaat errichten will, im Land bei Terrorvorbereitungen gefaßt worden war. Ab April 2001 begann die Kampagne in Thailand mit Bomben in der Stadt Hat Yai, dem wirtschaftlichen Hauptort des Südens, und mit Sabotageakten an der Eisenbahnlinie des „Orientexpresses“ Bangkok–Singapur. Statt Gegenmaßnahmen zu befehlen, löste der neue Premier Thaksin, ein milliardenschwerer konzessionsbegünstigter Telekom-Unternehmer und ehemaliger Polizeioffizier, das integrierte Südkommando der Armee auf, erklärte den geschäftsschädigenden Notstand im Süden für beendet und überließ das Krisengebiet der überforderten Polizei. Um das Geschäft mit dem Mittleren Osten zu beleben, ließ Thaksin islamische Banken errichten und schächtende Großschlachthöfe errichten. Er genehmigte zur Freude seiner Freunde in der Bauindustrie den Bau vieler neuer Koranschulen und Großmoscheen und pries die großzügigen Stipendien der Saudis, mit denen junge thailändische Moslems in der arabischen Welt studieren konnten. In ihrer Naivität übersah die thailändische Führung, daß die „pondok“ genannten Koranschulen den Kindern nur mittelalterliche Koranstudien auf Arabisch boten. Ohne Kenntnisse des Thailändischen, von anderen Fremdsprachen, Mathematik, Naturwissenschaften oder technischen Disziplinen sind sie auf dem modernen Arbeitsmarkt völlig chancenlos. Ihnen bleibt nur die Fischerei, die Hilfsarbeit auf Plantagen, oder weitere Koranstudien. Dazu haben die Saudis vor Ort den millionenteuren Campus des Yala Islamic College gebaut, wo Dutzende arabischer Instrukteure die Militanz der wahhabitischen Geldgeber predigen. Die traditionelle Toleranz des südostasiatischen Islam und seine mystischen aus dem Hinduismus und Naturreligionen stammenden einheimischen Überlieferungen gehen verloren. Statt sich unverschleiert oder nur mit weißem Kopftuch (tudung) in der Öffentlichkeit zu zeigen, tragen Frauen vermehrt das tiefverschleierte Schwarz (hiyab) der rabiaten Wüstenislamisten. Nach dem Besuch ihrer Koranschulen werfen die jungen Zöglinge seit neustem regelmäßig Steine auf Gaststätten oder die Geschäfte ungläubiger („Kafir“) Chinesen. Als seit Mitte 2002 mit tödlicher Regelmäßigkeit Polizisten, Lehrer und buddhistische Mönche erschossen wurden – typischerweise vom Beifahrersitz eines vorbeirasenden Motorrads – und immer mehr staatliche Dorfschulen abbrannten, da reagierten Polizei und Militär, sämtlich der Malayensprachen nicht mächtig, mit kopfloser Brutalität.

Das Militär hatte dann die schlaue Idee, in jedem Ort der Aufstandsgegend Dorfmilizen mit Karabinern und je fünf Schuß Munition zu bewaffnen. Als prompt einige Waffen verschwanden und sechs von der Guerilla entwaffnete Milizionäre verhaftet wurden, kam es am 26. Oktober 2004 zu einem Massenauflauf und einer versuchten Gefangenbefreiung vor der Polizeistation. Neun Demonstranten wurden erschossen und 1.300 gefangengenommen. Sie mußten halbnackt gefesselt auf dem Boden liegend stundenlang in der Sonne auf ihren Abtransport warten. Übereinandergestapelt wurden sie dann in geschlossenen Lkws in Gefangenenlager gefahren, wo 78 nur noch tot ankamen – sie waren zwischenzeitlich erstickt. Premier Thaksin behauptete öffentlich, sie seien durch den Fastenmonat Ramadan so geschwächt gewesen, daß sie für ihren Tod selbst verantwortlich seien.

Nach dieser gründlich mißratenen Kampagne brach in Pattani die Hölle los. Täglich werden vier bis fünf Polizisten, Lehrer und Mönche ermordet, aber auch buddhistische Gummisammler und Eisenbahner – kurz jeder ortsfremde Nichtmuslim, der der Zusammenarbeit mit der Zentralregierung verdächtigt wurde.

Mit der Flucht der ethnischen Thais und der nichtmuslimischen Chinesen aus dem Süden gewinnt der muslimische Aufstand zunehmend die Züge einer ethnischen Säuberung. Um Verstärkungen des Militärs zu verhindern, kündigten die Sprecher der Terrorgruppen Pulo und Guragan Mujahedeen Bomben in Bangkok und auf Phuket an. Bekanntlich wurde Phuket dann nicht von islamischen Bomben, sondern von der Tsunami, die ihren Ursprung in einem Seebeben südlich von Aceh, dem islamischen Aufstandsgebiet Nordsumatras hatte, verwüstet.

In einer öffentlichen Schuldzuweisung behauptete Thaksin, das benachbarte Malaysien unterstütze ihre 1,8 Millionen Volks- und Glaubensgenossen in Pattani durch sichere Rückzugsgebiete und toleriere Ausbildungszentren für Terroristen. Die Forderung von Malaysiens Ex-Premier Mahathir nach Autonomie für den malayischen Süden Thailands lehnte Thaksin kategorisch ab. Sicher sind die Staatsgrenzen im Dschungel porös. Auch gemeinsame Polizeistreifen ändern da wenig. Auch kontrolliert die Islamistenpartei Malaysien (PAS) auch nach ihrer Wahlniederlage vom Anfang 2004 immer noch das benachbarte Grenzland Kelantan. Doch auch sie leistet hauptsächlich eher rhetorische Schützenhilfe im Kampf gegen die Ungläubigen und versucht das Thema lieber gegen die moderate Regierung von Premier Abdullah Badawi in Kuala Lumpur innenpolitisch auszuschlachten. Badawi versucht, im Interesse einer guten regionalen Zusammenarbeit mit Bangkok den Konflikt zu deeskalieren. Doch Thaksin macht es den Malaysiern nicht leicht. Denn die thailändische Regierung hat allen mäßigenden Appellen von König Bhumibol zum Trotz alles falsch gemacht, was man gegenüber einer autochtonen ethnisch-religiösen Minderheit nur falsch machen kann.

Die Thais haben die Chance zur Entwicklung ihres malayischen Südens, einer kolonialen Erwerbung, gründlich vertan. Sie sollten jene wirtschaftlich nahezu bedeutungslos gewordenen Territorien mit ihrer kulturell und politisch entfremdeten Bevölkerung lieber dem verantwortungsbewußteren kleinen malaysischen Nachbarn mit seinen geeigneteren föderalen Strukturen übertragen. Denn bei einer Fortdauer der Gewalt ist es nur noch eine Frage der Zeit, wann JI oder Al Quaida die Kontrolle über die Separatistenbewegung mit ihren Tausenden von Anhängern erlangen und aus einem verschlafenen Hinterzimmer der Weltgeschichte einen neuen Stützpunkt mehr schaffen werden.

Krisenherd: Für die jüngste Welle der Gewalt im Süden Thailands werden islamistische Separatisten verantwortlich gemacht.
 
     
     
 
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