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Was Washington will

 
     
 
Rußland richtet seine Atomraketen wieder auf Nato-Territorium aus. Diese Ankündigung als Reaktion auf den gerade ausgebrochenen Kosovo-Krieg sorgt für einige Unruhe in Europa und den USA. Zwar dementierte Moskau diese Nachrich umgehend. Die Russen machten jedoch im gleichen Atemzug klar, daß jene besorgniserregende Befehl sofort ausgeführt würde, wenn Präsident Jelzin die anordnete.

Damit droht der Kosovo-Konflikt aus Sicht der Nato in eine militärische Sackgasse zu geraten, denn offiziell will das Bündnis eine Eskalation verhindern. Dies wird auc zunehmend in den USA selbst so gesehen. So schreibt beispielsweise der stellvertretend Direktor des renommierten "Center for Strategic and International
Studies" (CSIS), Anthony H. Cordesman, in einer gerade erschienen Studie, es sei bereits jetz deutlich, daß die Krise im Kosovo nicht glücklich ausgehen könne. Selbst wenn es de Nato gelingen sollte, einen Großteil der Vertriebenen zurückzuführen, dürfte die Saat des Hasses von Serbien und dem Kosovo auf den übrigen Balkan ausstrahlen.

Cordesman sieht drei verschiedene Modelle eines möglichen Kriegsendes voraus. Da erste Szenario geht von einer Einstellung der Luftangriffe seitens der atlantische Verbündeten aus, weil diese ihr militärisches Ziel, die weitgehende Ausschaltung de serbischen Militärapparates, für erreicht halten. In diesem Fall aber bliebe Hunderttausende Flüchtlinge in den unterentwickelten Staaten Albanien, Bosnien Mazedonien sowie der jugoslawischen Teilrepublik Montenegro zurück. Ein derartige Kriegsausgang führte mit ziemlicher Sicherheit zu ernsthaften ethnischen Konflikte zumindestens in Mazedonien und zu einer möglichen Destabilisierung Bosniens.

Ein weiteres Szenario beschreibt Cordesman als "Illusion von Rambouillet". I Mittelpunkt dieses Modells steht die Absicht der Nato-Friedenshüter, eine weitgehend Autonomie des Kosovo innerhalb Serbiens durchzusetzen. Die Flüchtlinge würden versuchen so Cordesman, in ihre verwüstete Heimat zurückzukehren, die keinerlei ökonomische Perspektiven mehr bietet. Daher bleibe mittelfristig nur die Anbindung an die unterentwickelte mazedonische und/oder albanische Wirtschaft. Diese Konstellation wird au der Sicht von Cordesman unweigerlich zu einer Teilung des Kosovo und damit zu desse Unabhängigkeit führen. Cordesman befürchtet bei einer Unabhängigkeit jedoch ei Niemandsland zwischen den serbischen und den albanischen Einwohnern des Kosovo.

Dieses Niemandsland werde von Nato-Einheiten auf lange Zeit gesichert werden müssen da die serbische Seite, unterstützt von Rußland, diesen Status nicht hinnähme. Ein solche Entwicklung ziehe weiter eine starke Aufrüstung der kosovo-albanische Guerillatruppe UC?K nach sich, möglicherweise mit Unterstützung des Iran oder andere islamischer Staaten. Weiter müsse auch in diesem Falle, so Cordesman, mit eine Destabilisierung Bosniens und Mazedoniens gerechnet werden.

Schließlich beleuchtet der US-Stratege einen möglichen militärischen Kollaps de Serben, der zur Folge hätte, daß Belgrad den Kosovo räumen müßte. Diese Situatio bedeute de facto die sofortige Unabhängigkeit des Kosovo von Rest-Jugoslawien. Auch in diesem Fall werde es Nato-Einheiten bedürfen, die den Kosovo auf lange Zeit sichern, d die weiteren Folgen im wesentlichen denen glichen, die im vorausgegangenen Ablaufschem angesprochen wurden.

Die Frage, die sich an diesen Befund anschließt, lautet daher: War sich die Nato insbesondere aber an ihrer Spitze die USA, dieser Konsequenzen bewußt? Oder ist sie in diesen Konflikt mehr oder weniger hineingerutscht, ohne die Auswirkungen im einzelne exakt zu überdenken? Letzteres kann ausgeschlossen werden. Es sei in diesem Zusammenhan nur an die These des ehemaligen Sicherheitsberaters der Regierung Carter, Zbignie Brzezinski, erinnert, der in seinem Buch "Die einzige Weltmacht" folgendes zu Protokoll gab: "Wie beim Schach müssen Amerikas globale Strategen etliche Züge in voraus durchdenken und mögliche Züge des Gegners vorwegnehmen."

Versuchen wir also an dieser Stelle, jene "Schachzüge" nachzuvollziehen. De Konflikt im Kosovo läuft so oder so auf ein größeres Gewicht des Islam und damit de Türkei auf dem Balkan hinaus. Peter Scholl-Latour schrieb in diesem Zusammenhang in de "Welt am Sonntag" (11. April), daß der Islam auf dem südlichen Balka "als Folge der ethnisch-religiösen Auseinandersetzungen mit den slawisch-orthodoxe Erbfeinden eine politische Wiedergeburt erleben" werde, "auf die sich die Europäer einzurichten haben".

Im Zuge dieser Entwicklung wird aber auch der Einfluß der Türkei auf Europa steigen dem die Serben mit ihrer Obstruktionspolitik gegenüber den Kosovo-Albanern bisher im Weg standen. Derlei mögliche Einflußerweiterungen erklärt die immer unduldsamere Haltun der Russen auf dem Balkan, die wie die Serben keinerlei Interesse an einer Ausdehnung de Islam auf dem Balkan haben. "Die feindselige Haltung der Russen gegenüber de Türken", schreibt Brzezinski, nehme "fast schon obsessive Züge an: Das Bild das die russischen Medien von ihren südlichen Nachbarn entwerfen, zeigt eine Türkei, die die ganze Region unter ihre Knute zwingen will und die Sicherheit Rußlands in einem Maß bedroht, das in keinem Verhältnis zu ihren tatsächlichen Möglichkeiten steht".

Die "tatsächlichen Möglichkeiten" der Türkei sind allerdings wesentlic größer, als es Brzezinski an dieser Stelle seines Beitrags einräumen will. So erklär er im selben Buch an anderem Ort, daß die Türkei einen "geopolitischen Angelpunk von entscheidender Bedeutung" darstelle. Die Türkei stabilisiere das Gebiet um da Schwarze Meer, "kontrolliert den Zugang von diesem zum Mittelmeer, bietet Rußland in Kaukasus Paroli, bildet immer noch ein Gegengewicht zum islamischen Fundamentalismus un dient als der südliche Anker der Nato".

Entscheidend ist in diesem Zusammenhang der Hinweis auf den Kaukasus. Um das Kaspisch Meer herum werden beträchtliche Erdgas- und Erdölvorkommen erwartet. Brzezinski mein sogar, daß "die zentralasiatische Region und das Kaspische Becken über Erdgas- un Erdölvorräte verfügen, die jene Kuweits, des Golfs von Mexiko oder der Nordsee in de Schatten stellen", obwohl Wissenschaftler hier noch zweifeln.

Der Kampf um die Vormachtstellung in der Kaukasus-Region beziehungsweise Zentralasie (von Brzezinski als "eurasischer Balkan" bezeichnet) wird aus der Sicht de einstigen Präsidentenberaters zwischen dem Iran, der Türkei und Rußland ausgetragen. I dieser Region habe Amerika nicht nur Interesse an einer stabilen, prowestlichen Türkei sondern auch an guten Beziehungen mit dem Iran und mit China. "Eine allmählich Verbesserung in den amerikanisch-iranischen Beziehungen", so Brzezinski, "würd den globalen Zugang zur Region erheblich erweitern." Und: "Ausschlaggebend fü die Zukunft der Kaukasusrepubliken dürfte die weitere Entwicklung und politisch Orientierung der Türkei sein. Wenn sie ihren Kurs auf Europa beibehält – und wen Europa ihr nicht die Türen zuschlägt –, werden die Kaukasusstaaten vermutlich in den Einflußbereich Europas streben, eine Aussicht, die sie glühend herbeisehnen."

Hier liegt denn auch der Grund für den zunehmenden Druck der Amerikaner auf die EU die Türkei als Vollmitglied in die Gemeinschaft aufzunehmen. Amerika müsse, s Brzezinski, seinen Einfluß auf Europa für einen Beitritt der Türkei geltend machen un darauf achten, daß "die Türkei als europäischer Staat (!) behandelt wird" Auch hier stehen geostrategische Ziele seitens der USA im Vordergrund, erweitert doch ei größeres Europa aus der Sicht Brzezinskis den Einflußbereich Washingtons. Daß die Interessen der EU-Staaten im "globalen Ordnungssystem der USA" eine ehe untergordnete Rolle spielen, bringt Brzezinski mit seltener Deutlichkeit zum Ausdruck "Tatsache ist schlicht und einfach, daß Westeuropa und zunehmend Mitteleurop weitgehend ein amerikanisches Protektorat (!) bleiben, dessen alliierte Staaten a Vasallen und Tributpflichtige von einst erinnern."

Um an dieser Stelle auf den Kosovo-Krieg zurückzulenken: Die USA erreichen durch de Krieg auf dem Balkan, der eindeutig zu Lasten der Europäer geht, mehrere Ziele au einmal: Die russische Einflußsphäre wird weiter zurückgedrängt. In diesem Zusammenhan sei auch auf das Ausscheiden der drei GUS-Mitglieder Georgien, Usbekistan un Aserbeidschan aus dem 1994 geschaffenen "Kollektiven Sicherheitspakt" Anfan April dieses Jahres verwiesen. Damit gehören nur noch sechs der ursprünglich zwöl GUS-Staaten dem Beistandspakt an. Die drei ausgeschiedenen GUS-Staaten sind wichtig Domino-Steine der USA im "Großen Spiel" um die Erdgas- und Erdölreserven u das Kaspische Meer. Weiter wird der Einfluß der Türkei auf dem Balkan erhöht und dami der Druck auf die EU, die Türkei als prowestlichen Ordnungsfaktor in die Gemeinschaft zu integrieren. Darüber hinaus erlaubt die Konfliktlage auf dem Balkan den Amerikanern die dauernde Stationierung von großen Truppenkontingenten in Europa.

Dies alles erklärt in der Summe, warum die Amerikaner im Kosovo eine völli unzulängliche Militär-Strategie anwenden, deren Sinn nur dem Nichteingeweihten imme fragwürdiger wird.

Beim "Großen Spiel" auf dem "eurasischen Balkan" sollen allerding nicht nur die Russen außen vor bleiben. Auch die Europäer sind als Konkurrenten nich erwünscht. Ursprünglich waren im Rahmen des Pipeline-Systems, mi dem die erwarteten Erdöl- und Erdgasreserven um das Kaspische Meer herum transportier werden sollen, Jianliung in China und Rotterdam in den Niederlanden als Eckpunkte geplant Die Amerikaner planen aber im Rahmen des "New Silk Road Land Bridge Project" (Landbrückenprojekt Neue Seidenstraße), sowohl russisches als auch europäische Territorium zu umgehen. Nach ihren Plänen sollen die Erdölleitungen aus Zentralasie durch das Kaspische Meer, Georgien, Aserbeidschan in die Türkei (Endpunkt Mittelmeerhafe Ceyhan) geführt werden. Die Endkontrolle über das geförderte Erdgas und -öl läge dan bei der Türkei. Damit hätten die Amerikaner einen entscheidenden Schritt hin zu eine langfristigen Zementierung ihrer globalen Vorherrschaft getan.

Die zentrale geostrategische Rolle der Türkei in Eurasien soll aus Sicht der USA abe noch weiter ausgedehnt werden. Es sei in diesem Zusammenhang auf eine bemerkenswert Stellungnahme von Ägyptens Präsident Hosni Mubarak zum Irak-Konflikt Mitte Februar 199 verwiesen. Mubarak warnte damals die USA vor einer Teilung des Irak, da dies zu eine Kreislauf der Gewalt führe. Augenscheinlich planten die USA mittel- oder langfristig ein Spaltung des Zweistromlandes – auch wenn sie dies umgehend dementiert haben. D Mubarak aber ein enger Vertrauter der USA ist, spricht einiges für die Wahrscheinlichkei seiner Befürchtungen. Danach soll der südliche, schiitisch dominierte Teil an den Ira abgetreten werden. Die nördliche (kurdische) Region des Irak soll der Türkei zufallen.

Derlei Vorhaben kämen nicht von ungefähr. Eine kürzlich in den USA erschienen geologische Untersuchung des Irak hat ergeben, daß das Land über Erdölvorrät verfügt, die denen Saudi-Arabiens gleichkommen. Bemerkenswerterweise liegen die bedeutendsten Vorkommen im Norden, der den von Mubarak den USA vorgeworfene Teilungsplänen gemäß an die Türkei fiele.

Dieser Hintergrund könnte den laufenden Kosovo-Konflikt erst in seiner eigentliche Dimension begreifbar machen. Was von einer derartigen Politik zu halten ist, hat de deutsche Staatsrechtler Carl Schmitt bereits 1943 in seiner Studie "Die letzt globale Linie" mit nach wie vor gültigen Worten zu Papier gebracht: "Di Aufhebung aller Maße und Grenzen", so schrieb Schmitt damals, "die de amerikanischen Plan-Interventionismus kennzeichnet, ist nicht nur global, sondern auc total. Sie betrifft auch die inneren Angelegenheiten, soziale, wirtschaftliche un kulturelle Verhältnisse und geht mitten durch die Völker und Staaten hindurch." Un weiter: "Indem die Regierung von Washington den Anspruch erhebt, jeden politische Gegner zu disqualifizieren und zu diffamieren, erhebt sie den Anspruch, die Menschen mi einer völkerrechtlich neuen Art von Krieg zu überziehen." Ist es jen "völkerrechtlich neue Art von Krieg", welche heute als "humanitär Intervention" die Schlagzeilen füllt?
 
     
     
 
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