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Wehrbeauftragter meldet so viele Beschwerden wie nie

 
     
 
Einmal im Jahr legt der Wehrbeauftragte des Bundestages seinen Bericht vor, in dem sich die im Vorjahr ihm zugeleiteten Berichte und Beschwerden über eventuelle Mißstände in der Bundeswehr niederschlagen. So kann der Bericht Aufschluß geben über den inneren Zustand unserer Bundeswehr, über die Motivation der Soldaten, über den Grad ihrer Identifizierung mit den Streitkräften und ihrem Staat. In der Praxis könnte der Bericht bewirken, daß die zu Tage getretenen Unzulänglichkeiten erkannt und beseitigt werden.

Soeben hat nun der jetzige Wehrbeauftragte, der Sozialdemokrat Dr. Willfried Penner, den Jahresbericht
2002 dem Bundestag zugeleitet. Tatsächlich kann man ihm entnehmen, in welch verwirrendem Zustand sich die deutsche Bundeswehr befindet.

Eigentlich ist im Grundgesetz festgelegt, daß die Bundeswehr Deutschland verteidigen soll, und zwar nur dann, wenn "das Bundesgebiet mit Waffengewalt angegriffen wird oder ein solcher Angriff unmittelbar droht". Diese deutliche Regelung ist jedoch aufgeweicht. Wenn ein internationales Organ (d. h. die UNO) im Rahmen eines Bündnisvertrages mit Zustimmung der Bundesregierung den Fall des äußeren Notstandes verkündet, kann die Bundeswehr in den Krieg ziehen. Jeder andere Einsatz wäre ein Angriffskrieg, und der ist gemäß Artikel 26 des Grundgesetzes verboten (Strafe: nicht unter zehn Jahren Haft). So erklärt es sich, daß die Bundeswehr heute in nahezu allen Spannungsgebieten der Erde stationiert ist, was Verteidigungsminister Struck mit dem grotesken Spruch begründet, Deutschland werde auch am Hindukusch verteidigt. Von Bosnien bis Afghanistan, vom Horn von Afrika bis Georgien - überall stehen Bundeswehrsoldaten auf der Wacht. Und damit wachsen die Probleme sowohl für die Bundeswehr als auch für den einzelnen Soldaten.

Demzufolge ist die Anzahl der Vorgänge, die der Wehrbeauftragte zu bearbeiten hatte, im Jahre 2002 in die Höhe geschnellt: von 4.891 ein Jahr zuvor auf jetzt 6.436, das sind fast ein Drittel mehr. Das Anwachsen geht vor allem auf Eingaben von Soldaten im Auslandseinsatz zurück; von dort kamen 1.149 Fälle.

Sie reichen von gravierenden Problemen, die an den Grundfesten des Bundeswehreinsatzes rütteln, bis zu Belanglosigkeiten.

So berichtet Penner, daß aus der Truppe "Bedenken bezüglich des Irak-Konfliktes deutlich geworden" seien. Diese Bedenken "haben zum Gegenstand, daß präventive (= vorbeugende) Konfliktbewältigung mit militärischen Mitteln nur zulässig sei, wenn diese ausdrücklich vom Sicherheitsrat erlaubt worden sei. Eine Beteiligung deutscher Soldaten ohne ein solches Mandat könne, so wird befürchtet, völkerrechtlich zumindest zweifelhaft sein." Weniger diplomatisch ausgedrückt, fürchten die Soldaten sich eines Völkerrechtsbruches, und das heißt eines "Verbrechens gegen den Frieden", um in der Sprache des Nürnberger Kriegsverbrechertribunals zu sprechen, schuldig zu machen, wenn sie den US-Absichten folgen, ohne UNO-Beschluß loszuschlagen.

Noch andere Vorgänge beunruhigen die deutschen Soldaten: Würde es ihnen nicht als Teilnahme an einem Kriegsverbrechen angerechnet werden, wenn sie sich beteiligen müßten "an der Festnahme von Personen, die dann von den USA nach Guantanamo oder ein anderes Lager gebracht, dort befragt und möglicherweise auch zur Verantwortung gezogen werden?" Daß den angeblichen Taliban-Kämpfern der Kriegsgefangenenstatus durch die USA verweigert wird und daß sie offenbar in dem Lager sogar gefoltert werden, ist inzwischen mehr als ein Gerücht.

Erfreulicherweise hat die Bundesregierung inzwischen betont, daß deutsche Soldaten an solchen Unterstützungsleistungen nicht beteiligt würden, schreibt der Wehrbeauftragte. Damit würden sie solchen Versuchungen nicht ausgesetzt sein.

Aus dem Bericht wird deutlich, daß die Bundeswehr mit durchschnittlich monatlich etwa 9.000 Soldaten im Ausland an die Grenze ihrer Leistungsfähigkeit gestoßen ist. Waren vor wenigen Jahren Auslandseinsätze noch die Ausnahme, ist er jetzt der Normalfall. Die Zahl der Soldaten, die mehr als einmal im Ausland eingesetzt waren, nimmt zu. Die Dauer verlängert sich ständig. So müssen Soldaten nicht selten mehr als 180 Tage pro Jahr abwesend sein; "in Extremfällen würden sogar 250 Tage erreicht." Darunter leidet erheblich das Familienleben. Die in Deutschland mit den Kindern zurückgebliebenen Ehefrauen fühlen sich allein gelassen und sind nicht selten den Belastungen nicht mehr gewachsen. Die Familienmitglieder entfremden sich vom Vater und Ehemann. Familien gehen darüber in die Brüche.

Manche älteren Bundesbürger werden auf den Zweiten Weltkrieg verweisen, als der Ehemann viel länger abwesend sein mußte, doch ist zu bedenken, daß damals eine nationale Notlage herrschte, daß der Soldat und seine Angehörigen das Bewußtsein hatten, für ihr Vaterland kämpfen zu müssen, Voraussetzungen, die heute nicht gegeben sind.

Die Unterbringung der Soldaten und die Ausstattung in den fernen Gebieten gibt Anlaß zu Beschwerden. Häufiger als zunächst angekündigt müssen Soldaten in Zelten wohnen. Auf den Schiffen, die vor der ostafrikanischen Küste eingesetzt sind, fehlt offenbar immer noch in manchen Fällen die Klimaanlage, so daß Schimmel auftritt und unerträgliche Temperaturen herrschen, die das Schlafen nachts unmöglich machen.

Zwar scheint sich bei der Bundeswehr die Material- und Ersatzteillage gebessert zu haben, doch führt der Bericht immer noch Mängel auf, die man schon vor Jahrzehnten von Soldaten hörte. "Immer wieder ist von unzureichender Ausstattung mit Büromaterial und anderen alltäglichen Gebrauchsgütern die Rede... Auf Kleinteile wie Trassierbänder oder Batterien müsse wochenlang gewartet, oder sie müßten umständlich beschafft werden. Kraftfahrzeuge waren nicht einsatzbereit, weil sie wochenlang nicht repariert werden konnten."

Wieder mußte der Wehrbeauftragte auf Drogenmißbrauch in der Bundeswehr hinweisen. Es waren 1.537 Fälle, und das waren sechs Prozent mehr als im Vorjahr. Dabei ging es um Haschisch, Speed und Ecstasy, die meistens bei Grundwehrdienstleistenden gefunden wurden. Manche der auffällig gewordenen wurden entlassen, andere mit Beförderungsverboten belegt.

Ebenso großen Raum nimmt in dem Bericht das Auftreten von angeblichen "Rechtsextremisten" ein, obgleich es sich nur um 111 solcher "besonderen Vorkommnisse" handelt, also von nur 14 Prozent der Rauschgiftdelikte. Wie staatsgefährdend dieser "Rechtsextremismus" in der Bundeswehr ist, soll ein Beispiel beleuchten: "Am Rosenmontag kam es in einem überfüllten Eisenbahnzug zu einer verbalen Auseinandersetzung zwischen alkoholisierten Grundwehrdienstleistenden. Auslöser dieser Auseinandersetzung war das lautstarke Singen bzw. Grölen deutscher Schlager und Trinklieder sowie die Mißachtung des Rauchverbots. Im Verlauf der Auseinandersetzung zeigte ein Soldat den ‚Hitler-Gruß ." Auf diese Schilderung folgt die markige Schlußfolgerung: "Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit haben in der Bundeswehr keinen Platz."

Im Jahr 2002 gab es in der Bundeswehr durchschnittlich 7.520 Zeit- und Berufssoldatinnen. Damit ist die Problematik des Zusammenlebens von Frauen und Männern beim Militär auch in die Bundeswehr übergeschwappt. Es wird betont, daß auf die Soldatinnen keine Rücksicht wegen ihres Geschlechts genommen wird, doch haben sich weder Offiziere noch Mannschaften bislang an die Kameradinnen gewöhnt. Das Verhältnis zwischen ihnen sei häufig von Befangenheit gekennzeichnet. Auch Übergriffe auf Soldatinnen blieben nicht aus. Wer den in mehreren dritten Programmen ausgestrahlten Fernsehfilm "Feldtagebuch - Allein unter Männern" gesehen hat, in dem ein Kamerateam längere Zeit Soldatinnen bei der Grundausbildung begleitet hat, dürfte überrascht sein, daß nur knapp fünf Prozent der weiblichen Soldaten vorzeitig ihren Dienst abgebrochen haben. Der Film ließ den Eindruck entstehen, daß ein abstoßender, rüder, von Fäkalausdrücken und Zoten durchsetzter Ton den Soldatinnen gegenüber herrscht. Im Bereicht geht der Wehrbeauftragte auf den Film ein; es wird zugegeben, daß hier deutliches Fehlverhalten gezeigt wurde.

Nirgends kommt in dem Bericht vor, daß Soldaten nach dem Sinn ihres Einsatzes gefragt haben. Offensichtlich tun befehlsgemäß NATO-Soldaten nichts weiter als ihren "Job". Tiefer gehende Fragen dürften erst dann gestellt werden, wenn in Gefechten die ersten Kameraden gefallen sind.

Immerhin aber wirft die Zahl der im Bericht genannten Kriegsdienstverweigerer ein Licht auf die Stimmung der Wehrpflichtigen. Noch nie haben so viele den Dienst verweigert: 2002 waren es 182.420.
 
     
     
 
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