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Die Büchse der Pandora

 
     
 
Die Entscheidung der Staats-und Regierungschefs der Nato, eine Militäroperation aus der Luft gegen Jugoslawien durchzuführen, hat kau absehbare globale, internationale und regionale Konsequenzen. Diese abzuschätzen is indes nicht nur deshalb unmöglich, weil die Kampagne noch läuft. Vielmehr werden die Veränderungen und Auswirkungen dieses Militäreinsatzes auf das international
e System auf die Stellung von Uno, Nato und anderen Organisationen – aber auch die zwischenstaatlichen Beziehungen – derart gravierend sein, daß die Folgen diese Einsat- zes erst langsam zutage treten dürften.

Jenseits des Elends der vertriebenen Albaner und der Opfer und Nöte der serbische Zivilbevölkerung, die für die Hybris ihrer politischen Führung zu bezahlen hat, sol ein erster Versuch unternommen werden, den Kampf um den Kosovo in seinen Auswirkunge sicherheitspolitisch zu analysieren und die Perspektiven für die Haupt- und Nebenakteur zu bewerten.

Krieg oder Polizeiaktion?

Zunächst stellt sich einmal die Frage, was die Luftangriffe der Nato gegen die Bundesrepublik Jugoslawien eigentlich sind? Seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges hat e weit mehr als hundert bewaffnete Konflikte weltweit gegeben, doch selbst der Golf-Krieg der das Wort "Krieg" im Namen führt, ist angesichts des Uno-Mandats nicht als Krieg, sondern als internationale Polizeiaktion gegen den Irak bezeichnet worden, der mi dem Einmarsch in Kuweit eindeutig gegen die Charta der Vereinten Nationen verstoße hatte. Daß auch andere Fälle durchaus in diesem Sinne hätten eingestuft werden könne (beispielsweise Israels Einmarsch in den Südlibanon und dessen fortdauernde Besetzung die ständigen Verletzungen des nordirakischen Territoriums durch die Türkei) zeigt, da das Völkerrecht gern angeführt wird, wenn es bestimmten Interessen dient, und eben s schnell unter den Tisch fällt, wenn es im Wege steht. Dies ändert aber nichts an de Tatsache, daß im Falle des Kosovo die nach dem Völkerrecht notwendige Uno-Vollmacht zu Einmarsch nicht gegeben ist.

Welche Auswirkungen der Nato-Einsatz auf die bündnisinterne Debatte über die allfällige Notwendigkeit einer Mandatierung durch den Uno-Sicherheitsrat hat, wurd spätestens beim Bündnis-Gipfel in Washington klar. Das neue Strategische Konzept gib jedenfalls Aufschluß darüber, in welch geringem Ausmaß die Erweiterung de Schlüsselaufgaben der Allianz über Artikel 5 (kollektive Selbstverteidigung) hinaus Out-of-area-Einsätze noch an ein "placet" der Uno gebunden sein sollen.

Obwohl keines der 19 Nato-Miglieder der Bundesrepublik Jugoslawien offiziell den Krie erklärt hat, stellt sich die Frage, ob nicht der Angriff auf einen souveränen Staat d facto als Kriegseintritt zu bewerten ist. Bemerkenswerterweise hat auch die Bundesrepubli Jugoslawien den Angriff nicht zum Anlaß genommen, um den Nato-Staaten offiziell den Krie zu erklären.

Die Frage Krieg oder "internationale Polizeiaktion" ist nicht zuletzt deshal von Bedeutung, weil die (begleitende und nachträgliche) völkerrechtliche Legitimatio des Militäreinsatzes als Kampf gegen massive Menschenrechtsverletzungen und/ode Völkermord jenen Präzedenzfall einigermaßen definieren wird, den die 19 Staaten de westlichen Allianz nunmehr geschaffen haben. Dies gilt um so mehr, weil an den Angriffe auf Jugoslawien mit der Türkei zumindest auch ein Staat beteiligt ist, der sich in eigenen Land im Kampf gegen den "kurdischen Terrorismus und Separatismus" zweifellos erhebliche Verletzungen der Menschenrechte hat zuschulden kommen lassen.

Hinzu kommt, daß bei der Güterabwegung zwischen der Unverletzbarkeit der Grenzen un dem Selbstbestimmungsrecht letzterem der Vorrang eingeräumt wurde, obwohl der angestrebt endgültige Status des Kosovo (eigener Staat – internationales Protektorat – serbische autonome Provinz) nach wie vor von Europa nicht umrissen worden ist. Kurden Tschetschenen, Tibeter, aber auch vielleicht die Korsen oder nationale Minderheiten in Mittel-Osteuropa oder etwa die bosnischen Serben werden mögli-cherweise in gar nich allzu ferner Zukunft jene Argumente wiederholen, die derzeit zur Rechtferti-gung de Nato-Militäreinsatzes vorgebracht werden.

Der Rußland-Faktor

Das Fehlen eines Uno-Mandates stellt nicht nur die Frage nach den völkerrechtliche Aspekten, sondern hat zweifellos den Sicherheitsrat geschwächt. Das 1945 geschaffen Uno-System funktionierte allerdings schon während des Kalten Krieges nicht, weil die fünf Ständigen Mitglieder des Sicherheitsrates ihr Veto-Recht stets eigennützi mißbrauchten, wenn es für sie oder ihre Schützlinge eng wurde. Entgegen alle Hoffnungen erwies er sich aber auch zehn Jahre nach dem Fall der Berliner Mauer als nu beschränkt tauglich zum Aufbau einer "neuen Weltordnung".

Doch nicht nur das wurde jetzt schonungslos offengelegt, sondern überdies, wie gerin der Einfluß Rußlands auf Entwicklungen in Europa geworden ist. Die antiwestliche Ressentiments in Rußland, die bereits vor der Nato-Aktion in beträchtlichem Ausma vorhanden waren, haben durch die jüngsten Ereignisse neue Nahrung erhalten. Ei beunruhigender Umstand angesichts der herbstlichen Parlamentswahl, die weitgehend als Vorspiel für die anschließende Präsidentenwahl zu betrachten ist.

Zugenommen haben – kaum bemerkt – zudem die antiwestlichen Resolutionen in Parlament der Ukraine, in dem seit den Wahlen im vergangenen Jahr linke Parteien un Gruppierungen tonangebend sind. Ob sich diese Stimmung auch bei der Präsidentenkür in Herbst auswirken wird, läßt sich derzeit noch nicht mit Sicherheit sagen, ist abe durchaus möglich.

Es ist eine gewisse Ironie des Schicksals, daß im Konsultationsmechanismus die Kooperationen zwischen Rußland, der Ukraine und der Nato detaillierter geregelt sind als mit der EU. Ein Umstand, der sich nun um so negativer auswirkt, weil die Beziehunge zwischen der Nato und Rußland von Moskau aus zweifellos auf längere Zeit zurückgestuf werden dürften. Die Anbindung Rußlands (und der Ukraine) an Europa und die Einbindung in eine Friedensregelung für den Kosovo sind daher unverzichtbar zur Bewahrung de Stabilität auf dem eurasischen Kontinent.

Diese Erkenntnis ändert nichts an der Tatsache, daß Moskaus Außenpolitik im Fall Jugoslawiens versagt hat. Eingestanden wird dies auch von russischen Diplomaten in Wien die es im vertraulichen Gespräch als Fehler bezeichnen, daß sich Rußland in die “Geiselhaft Milos?evic´s” begeben und im Uno-Sicherheitsrat eine bedingungslos Veto-Politik betrieben habe.

Überlebensfrage der Nato

"Die letzte freie Entscheidung, die ein Feldherr treffen kann, ist, in einen Krie einzutreten. Alles, was dann folgt, ist ein System von Aushilfen." Diese Erkenntni des älteren Moltke gilt auch für die Nato, deren militärische Führung nun ein Operation durchführen muß, die von der politischen Führung zweifellos zu spä angeordnet wurde, weil durch die weiteren Verhandlungen nach dem Scheitern von Rambouille Milos?evic´ ausreichend Zeit gegeben wurde, den militärischen Aufmarsch für die Operation “Hufeisen” zu beenden, obwohl deren Grundzüge bereits Anfang Februa feststanden. Genannt wurde die Operation deshalb so, weil der Kosovo hufeisenförmi "umschlossen" werden sollte, so daß die Massenvertreibung der Albaner nac Albanien und in geringerem Ausmaß nach Mazedonien durchgeführt werden konnte Zumindestens die politische Führung der Nato hat die Entschlossenheit Milos?evic´s sowi die menschliche Katastrophe unterschätzt und die Wirkung der Luftangriffe überschätzt Zusätzlich geschwächt wurde die Position des Bündnisses dadurch, daß die politisch Führung entgegen den Wünschen der militärischen eine Bodenoperation ausgeschlossen un auch keine Strategie formuliert hat, wie man irgendwann aus dem Engagement wiede herauskommt.

Daß es trotz all dieser Mängel dann doch zu einem Nato-Einsatz kam, lag und lieg daran, daß abgesehen von der Glaubwürdigkeit der Allianz die Gefahr bestand, daß ein Eskalation in dieser Region zu einer Konfrontation zwischen den Nato-Staaten Griechenlan und Türkei hätte führen können, deren Verhältnis durch den Fall des Kurdenführer Öcalan und durch das Zypernproblem bereits beträchtlichen Belastungen unterworfen war.

Diese ungünstige Ausgangslage bedeutet, daß die Nato im besten Fall ohne nachhaltig Beschädigung aus diesem Krieg heraussteigen kann. Der Erfolg des Einsatzes ist für da Bündnis jedenfalls zur politischen Überlebensfrage geworden, ein Umstand, der bisher zu Geschlossenheit der Allianz wesentlich beigetragen hat. Diese Homogenität könnt angesichts griechischer und italienischer Vorbehalte indes relativ rasch eine beträchtlichen Belastungsprobe unterworfen werden, sollte sich der Kampfeinsatz vo Bodentruppen als unumgänglich herausstellen.

Ein Scheitern der Mission würde die Stellung der Nato als Anker für eine künftig europäische Sicherheitsarchitektur massiv in Frage stellen. Abgesehen vo Glaubwürdigkeitsverlust dürfte eine derarti-ge Entwicklung die Instabilität in de europäischen Randregionen (Schwarzes Meer, Balkan) verstärken, da keine ander Organisation das entstehende militärische und politische Vakuum auszufüllen vermag. Auc in der EU würden jene Stimmen Auftrieb erhalten, die für ein autonomes politisches un militärisches Handeln jenseits der Nato und den USA eintreten, deren Stellenwert in Europa neu zu bewerten wäre.

Dies träfe die EU zu einem Zeitpunkt, in dem die geplante Europäische Sicherheits und Verteidigungsidentität (ESVI) innerhalb der Nato an Gestalt gewinnt, und in de Deutschland durch seinen Kampfeinsatz im Kosovo endgültig die "Fesseln" de Nachkriegszeit abzustreifen beginnt. Nicht "zufällig" hat Bundeskanzle Schröder jüngst in einem "Spiegel"-Interview von einem fundamentalen Wandel in der deutschen Außenpolitik gesprochen.

Bismarcks Warnung

Unabhängig vom Ausgang des Kosovo-Einsatzes ist davon auszugehen, daß die Attraktivität der Nato für potentielle Beitrittskandidaten abnimmt. Dies gilt nicht nu für Österreich, sondern auch für die Länder in Mittel- und Osteuropa, die nun erkenne müssen, daß ein Nato-Beitritt auch unangenehme (finanzielle) Seiten haben kann. Obwoh weder Luxemburg noch Island sich an den Militäreinsätzen konkret beteiligen mußten zahlen sie dennoch. Die äußerst zurückhaltende Stimmung in der politischen Elite de Tschechei, die historische Gründe haben mag, zeigt, daß sich selbs unter den bereits beigetretenen Ländern einige Verunsicherung breitmacht.

Die Nato-Operation gegen Jugoslawien verändert das internationale System und betriff alle europäischen Akteure; das Ergebnis des Einsatzes, der wegen des Zauderns de politischen Führung zu spät und auf zweifelhafte Weise erfolgte, wird die europäisch Sicherheitspolitik maßgeblich beeinflussen und Europa zu einer Neuregelung am Balka zwingen. Aber was war die Alternative?

Zu hoffen bleibt jedoch, daß die verantwortlichen Politiker berücksichtigt haben, wa Bismarck in seinen "Gedanken und Erinnerungen" folgendermaßen formuliert hat: "Es ist leicht für einen Staatsmann, se es in dem Kabinett, sei es in der Kammer, mit dem populären Winde in die Kriegstrompet zu stoßen und sich dabei an seinem Kaminfeuer zu wärmen oder von der Tribüne donnernd Reden zu halten und es dem Musketier, der auf dem Schnee verblutet, zu überlassen, o sein System Sieg und Ruhm erwirbt oder nicht. Es ist nichts leichter als das. Aber weh dem Staatsmann, der sich in dieser Zeit nicht nach einem Grunde zu Kriegen umsieht, de auch nach dem Kriege noch stichhaltig ist."
 
     
     
 
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