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Polen: Der zweite Anlauf

 
     
 
Nach jahrelangen teils polemischen Diskussionen um ein polnisches Minderheitengesetz hat die "Kommission für nationale und ethnische Minderheiten sowie für Regionalsprachen" nun rechtzeitig vor dem EU-Beitritt des Landes einen neuen Gesetzentwurf vorgel
egt.

Dabei handelt es sich um einen "Teilentwurf", der lediglich Regelungen über allgemeine Vorschriften und den Gebrauch der Minderheitensprachen umfaßt. Den vollständigen Vorschlag für eine Gesetzesvorlage, der u. a. Bestimmungen über Bildungs- und Kulturangelegenheiten einschließt, will die Sejmkommission noch Ende Februar veröffentlichen.

Im Vergleich zum letzten Entwurf eines Minderheitengesetzes aus dem Jahr 1998 enthält das jetzige Papier nur wenige Änderungen. Im ersten Kapitel regelt es Fragen zur "Erhaltung und Entwicklung kultureller Identität nationaler und ethnischer Minderheiten, die Erhaltung und Entwicklung der jeweiligen Regionalsprache sowie die Umsetzung des Gleichbehandlungsprinzips".

Als ein Fortschritt muß Artikel 2 betrachtet werden, denn hier werden erstmals einzelne Minderheitengruppen benannt (eine Definition von nationalen, ethnischen und regionalsprachigen Minderheiten enthält jedoch auch der jetzige Entwurf nicht).

Als "nationale" Minderheiten gelten demnach Armenier, Deutsche, Juden, Litauer, Russen, Slowaken, Tschechen, Ukrainer und Weißrussen, während die Karaimer, Lemken, Roma und Tataren anerkannte "ethnischen" Minderheiten sind. Das Kaschubische erhält als einziges den Rang einer Regionalsprache zugesprochen.

Jede Person hat dem Entwurf zufolge das Recht, selbst zu entscheiden, ob sie einer Minderheit angehört (Art. 4). Der Artikel 5 "untersagt Maßregeln zur Veränderung nationaler oder ethnischer Proportionen in Wohngebieten der Minderheiten". Von weitreichender Bedeutung ist das zweite Kapitel zum Gebrauch der Muttersprache. Gegenüber der 1998 gescheiterten Vorlage gibt es zwar kaum Unterschiede und wie damals wird den Minderheitenangehörigen ausdrücklich zugestanden, ihren Vor- und Zunamen im Standesamtsregister und in Ausweisdokumenten in der Muttersprache eintragen zu lassen (Art. 7), doch immerhin definiert Artikel 9 erstmals eindeutig, welche Grundvoraussetzung erfüllt sein muß, wenn eine Gemeinde zweisprachige Bezeichnungen einführen will.

Hier heißt es, daß eine Minderheitensprache im Behördenverkehr als "Hilfssprache" zugelassen werden kann, sobald eine Minderheitengruppe auf lokaler Ebene mindestens 20 Prozent der Gesamtbevölkerung zählt. Das würde bedeuten, daß sich Angehörige regional konzentriert lebender nicht-polnischer Volksgruppen schriftlich wie mündlich in ihrer eigenen Sprache an die kommunalen Organe wenden könnten.

Darüber hinaus müßten dann in solchen Orten auf ausdrücklichen Wunsch des Bürgers auch die amtlichen Antworten in der "Hilfssprache" erteilt werden. Um diese Rechte einlösen zu können, ist laut Entwurf zunächst ein Antrag des entsprechenden Gemeinderats auf Aufnahme in ein "Hilfssprachen-Gemeinderegister" erforderlich, das vom zuständigen Ministerium erstellt und regelmäßig überprüft werden soll (Art. 10).

Der Artikel 12 enthält Grundsatzregeln zur doppelten Namensgebung, was vor allem in bezug auf Orts- und Straßenbezeichnungen wichtig ist. Demzufolge sollen in den gemäß Artikel 10 registrierten Gemeinden nicht nur Amtsgebäude in der anerkannten Hilfssprache ausgeschildert werden dürfen, sondern auch nicht-polnische amtliche Orts- und Landschaftsbezeichnungen sowie Straßennamen.

Die Arbeit an einem Minderheitengesetz hat sich in den letzten zehn Jahren als überaus schwierig erwiesen. Grundsätzlich mußte die Frage beantwortet werden, ob man in einem eigenen Gesetz alle die Minderheiten betreffenden Bereiche bündeln wollte oder sich auf Einzelgesetze beschränken sollte, was beispielsweise bedeuten würde, das bestehende Schul-, Medien- oder Versammlungsgesetz durch minderheitenspezifische Annexe zu ergänzen wären. Die meisten polnischen Mitglieder der Minderheitenkommission und weite Teile der Öffentlichkeit lehnten bislang den ersteren Ansatz ab, zumal ihrer Meinung nach die Verfassung mit Artikel 37 sowie bilaterale Verträge einen ausreichenden Minderheitenschutz gewähren.

Zudem gehört ein nationales Minderheitengesetz nicht zum Forderungskatalog der Europäischen Union. Auf diesen Punkt bezogen sagte der deutsche Sejmabgeordnete Henryk Kroll, der dem Parlamentsausschuß für Minderheitenfragen angehört, noch im Herbst 2003, daß man sich keinen Illusionen hingeben solle, wenn man sähe, "daß ein Land wie Frankreich bis heute keinerlei Minderheitenschutz gewährt".

Nach der Veröffentlichung des aktuellen Entwurfs Mitte Januar zeigte sich Kroll dann plötzlich zuversichtlich und äußerte die Erwartung, daß die Vorlage im Frühjahr zur Beratung in den Sejm eingebracht werden könnte.

Ähnlich hoffnungsvoll kommentierte der Geschäftsführer des "Verbandes der deutschen Gesellschaften", Joachim Niemann, in der Zeitung Unser Oberschlesien (Annaberg) die Entwicklung. Das DFK-Verbandsorgan Schlesisches Wochenblatt (Oppeln) erwartet sogar noch für diesen Sommer eine Verabschiedung des Gesetzes, sofern - wegen der Dauerkrise der Regierung Miller - das Parlament bis dahin nicht aufgelöst worden ist.

Dennoch ist Skepsis angebracht, ob das jetzige Parlament ein Minderheitengesetz billigen würde. Auch die jüngste Auseinandersetzung um die Anbringung zweisprachiger Amtsschilder an den Gemeindeämtern von Groß Lassowitz (Kreis Kreuzburg) und Reinschdorf (Kreis Kandrzin-Cosel) lassen Zweifel aufkommen. Obwohl hier bloß eine Ministerverordnung von 2002 umgesetzt worden war, lösten die deutschsprachigen Beschriftungen eine heftige öffentliche Polemik aus. Nationalkatholische und sozialdemokratische Politiker bemängelten, daß die "deutschen" Buchstaben die gleiche Schriftgröße besäßen wie die polnischen. Im Dezember einigte man sich vorerst darauf, die deutschsprachigen Schilder farbig anders zu gestalten.

Hinter vorgehaltener Hand rechnen führende Minderheitenpolitiker daher auch nicht wirklich mit einer Verabschiedung des neuen Entwurfs, zumal er kaum Unterschiede zu seinem Vorgänger aufweist, der im Sejm und dann im Minderheitenausschuß letzlich "totgeredet" wurde. Die Zeit, so ein deutsches Mitglied des Oppelner Bezirksparlaments, sei einfach noch nicht reif.

Anlaß zur Skepsis: Umstrittenes Amtsschild von Groß Lassowitz
 
     
     
 
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