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Als das Heilige Römische Reich starb

 
     
 
"Am dreysigsten December 1797, am Tage des Übergangs von Maynz Nachmittags um 3 Uhr starb zu Regensburg in dem blühenden Alter von 955 Jahren, 5 Monathen, 28 Tagen, sanft und seelig an einer gäntzlichen Entkräftung und hinzugekommenem Schlagflusse bey völligem Bewußtsein und mit allen heiligen Sakramenten versehen, das heilige römische Reich, schwerfälligen Andenkens."

Dieser sarkastische Nachruf stammt von Joseph Görres. Er hat ihn nach dem Frieden von Rastatt von 1798 geschrieben. Er leitete die völlige Neuordnung Europas
ein, die mit der Französischen Revolution 1789 und der Abschaffung der Monarchie begonnen hatte und militärisch mit den Koalitionskriegen durchgesetzt wurde. Sie hatten 1800 mit der völligen Niederlage Österreichs und seiner Verbündeten, vor allem Bayerns, in der Schlacht von Hohenlinden geendet (auf halbem Weg zwischen München und der Grenze zu Österreich am Inn bei Mühldorf). Der Niederlage folgte der (Diktat-)Frieden von Lunèville vom 9. Februar 1801. Er dehnte das französische Territorium bis zum linken Rheinufer aus, für die Entschädigung der betroffenen Fürsten wurde das Prinzip der Aufhebung - der "Säkularisation" - der geistlichen Fürstentümer festgelegt - ein Prinzip, das den Diktatfrieden der Mehrheit der deutschen Fürsten sympathisch machte. Frankreich wollte damit einmal seine eigenen revolutionären Grundsätze mit der radikalen Aufhebung des gesamten klösterlich-kirchlichen Realbesitzes auch in Deutschland durchsetzen, zum anderen eine Stärkung der deutschen Mittelstaaten mit der Schwächung Österreichs erreichen. Beide Ziele hat Frankreich umfassend erreicht. Freilich hat Joseph Görres mit seinem Sarkasmus das Hinscheiden des Heiligen Römischen Reiches (von dem sich EU-Europa einige Integrations-Scheiben abschneiden könnte) um sechs Jahre vordatiert.

Heute ist klar, daß der tatsächliche "Todestag" des alten deutschen Reiches der 25. Februar 1803 war. An diesem Tage wurde in Regensburg der "Reichsdeputationshauptschluß" unterzeichnet, in dem Reichsgesetz wurde, daß die weltlichen Fürsten für ihre Verluste auf der Westseite des Rheines an Frankreich durch die Übertragung der geistlichen Fürstentümer entschädigt würden. Das war der Kern der "Säkularisation" 1803. "Vermittelt" hatten diese "Kompromisse" Frankreich und Rußland. Diplomaten aller Delegationen, die in Regensburg verhandelt haben, erinnerten sich später an sehr viel "Nachdruck" bei diesen Vermittlungen. Der "Reichsdeputationshauptschluß" war das letzte Fundamentalgesetz des alten deutschen Reiches. In einer 39 Seiten umfassenden Denkschrift präsentierte die beim immerwährenden Reichstag eingesetzte Deputation der Reichsversammlung ihre Vorschläge. Sie beinhalten nur die Säkula- risation der "geistlichen Fürstenthümer", nicht von einer Aufhebung von Klöstern, die bereits landesuntertänig waren. Es war der bayerischen Diplomatie zu verdanken, daß die Säkularisation von 1803 auch zur "Einziehung und Umwandlung bisher geistlicher Güther in weltliche, bei Fortdauer ihrer Verwendung für öffentliche, besonders milde Zwecke" geführt hat. Ihr war es am 1. und 2. November 1802 gelungen, auf einmal die Frage der bereits landesuntertänigen Klöster und ihres Vermögens auf den Regensburger Verhandlungstisch zu bringen, zur Überraschung aller anderen Delegationen. Lange hat man sich mit der Frage nicht aufgehalten, sondern es - bei deutlich gezeigtem preußischem Unbehagen - den Landesfürsten überlassen, mit den Klöstern nach ihrem Dafürhalten zu verfahren. Allerdings wurden sie verpflichtet, den Ordensangehörigen "angemessene" Versorgungen zu gewähren. Bayern ging freiwillig darüber hinaus und bezog auch die "weltliche Dienerschaft", also die Arbeitnehmer der Wirtschaftsbetriebe und der oft sehr weitläufigen Klosterhaushalte, ein. Preußen hatte mit der schlesischen Klosterlandschaft vor Augen - später sollte die rheinische und westfälische hinzukommen - deutliches Unbehagen gezeigt, weil es die enormen sozialen Probleme vorausgesehen hat, die eine Klosteraufhebung schaffen würde - zu Recht, wie vor allem Bayern erfahren mußte.

Regensburg war seit dem Westfälischen Frieden von 1648/49 der einzige Platz, an dem das "Heilige Römische Reich Deutscher Nation" gegenwärtig und unmittelbar sichtbar war, eben durch den immerwährenden Reichstag. Vorher wanderten die Ständeversammlungen durch das Reich wie der Kaiser von einer Pfalz zur anderen. Wien war nie "Hauptstadt des Reiches", sondern Residenz der Kaiser, gewählt wurden sie in Regensburg, gekrönt in Frankfurt. Regensburg war damit auch ein Ort, an dem alteuropäischer Vorparlamentarismus sichtbar wurde sowie der Kaiser nicht absoluter Alleinherrscher war, sondern seine Herrschaft mit den Ständen zu teilen hatte. Ähnlich wie die Bundesländer von heute ihre "Ländervertretungen" in Berlin und beim Bundesrat haben, so hatten die Reichsländer ihre Gesandtschaften beim Regensburger Reichstag, und nur sie hatten die "diplomatische Infrastruktur", um die monatelangen Verhandlungen der "Reichsdeputation" zu organisieren und mit Informationen zu versorgen, vor allem aber den Kurierverkehr sicherzustellen. Regensburg war der Platz, an dem die Neuordnung der Mitte Europas umgesetzt wurde. Die Stadt Regensburg hat das mit einer gelungenen Ausstellung im - 1803 aufgehobenen - Stift Niedermünster unter dem Titel "Wende in Euro-pas Mitte - vom feudalen zum bürgerlichen Zeitalter" nacherlebbar gemacht, mit Leihgaben aus Frankreich und Rußland, die damals in Regensburg Regie geführt haben, und vor allem aus den bayerischern Beständen in München und Nürnberg. So gelungen die Ausstellung vor allem optisch ist, über manche Aussage hat man sich doch für einige Zeit gewundert, etwa über die, daß mit der Säkularisation zwar die Territorialfürsten entschädigt, der übrige Adel aber entmachtet wurde. Die Zahlen der Gesamtbilanz der Säkularisation belegen das genaue Gegenteil. Aus wirtschaftlicher Sicht waren die "Säkularisation" und 1809 die "Befreiung des Adels von seinen Bauern" durch die preußischen Oktoberedikte fast der Beginn einer Hochblüte des Besitz- und Agrar-adels, daß er diese "Gnadengeschenke" später verspielt hat, war seine eigene Schuld, nicht die des Regensburger Reichsdeputationshauptschlusses. Doch der bleibende Gewinn dieses Regensburger Erinnerns an 1803 wird die Dauerausstellung im Alten Rathaus und im Saal des Reichstages sein, in der man das alte deutsche Reich und damit den mittelalterlichen Universalstaat als die kostbarste Erinnerung der deutschen Geschichte jederzeit besuchen kann.

Nachdem das mittelalterliche Europa und auch das der frühen Neuzeit fast statisch geblieben waren - auch der Westfälische Frieden hatte im wesentlichen nur Bestehendes festgeschrieben und territorial nur die eine große Veränderung des Übergangs des Elsaß an Frankreich bewirkt -, schloß der Reichsdeputationshauptschluß die größte mitteleuropäische Neuordnung seit der Trennung des Fränkischen Reiches 814 ab. Vorher hatten nicht einmal das Aufkommen der neuen (Militär)-Großmacht Preußen und die polnischen Teilungen 1772 bis 1795 das zentraleuropäische Staatengefüge umfassend verändert.

Als Wortprägung erscheint der Begriff "Säkularisation" zum erstenmal in den Dokumenten der Verhandlungen zum Westfälischen Frieden 1648/49. Das Prinzip der Entschädigung auf Kosten geistlicher Besitztümer wurde in der Epoche der Kabinettskriege zum erstenmal von Preußen zum - allerdings flüchtigen - Gegenstand bei den Verhandlungen zum Frieden von Füssen 1745, als Bayern von Preußen wieder einmal vor dem gefräßigen österreichischen Nachbarn gerettet wurde. Unter dem Kurfürsten Karl Albrecht, der sich wegen des Aussterbens der Habsburger im Mannesstamm an der deutschen Kaiserkrone für erbberechtigt hielt und als Karl VII. tatsächlich auch für kurze Zeit deutscher Kaiser war, gab es auf Anregung Preußens ein Säkularisationsprojekt zugunsten Bayerns. Dieses hätte zwar im Gegensatz zu 1803 die geistlichen Fürstentümer innerhalb des bayerischen Staatsgebietes unberührt gelassen, wollte aber das Vermögen der Mediatklöster dem des Staates, also der "gesamten Hand", zugeschlagen. Die Hoffnungen auf Sanierung der Finanzen des Kurfürstentums, das seit etwa 1670 mit dem heute ungeheuerlich erscheinenden "Staatsdefizit" von etwa 30 Prozent (miß)wirtschaftete, durch das Klostervermögen kehrten nach 1745 ab etwa 1782 bis 1803 fast alljährlich wieder; erfüllt haben sie sich nie.

Allen Beteiligten war klar, daß mit dem Verschwinden der 112 geistlichen Reichsstände durch die Säkularisation die überlieferte Reichsverfassung und damit auch das Reich selbst ausgehöhlt und nicht mehr zu halten waren. Der letzte Erzkanzler des Reiches und Fürstbischof von Mainz, dessen Fürstensitz von Mainz nach Regensburg verlegt wurde, Carl Theodor von Dalberg, versuchte zwar noch ein Angebot der Kaiserkrone an Napoleon und allen Ernstes, damit den Vertrag von Verdun 1814 rückgängig zu machen. Doch Napoleon zwang 1806 die von ihm gestärkten Mittelstaaten, seinem Rheinbund bei- und aus dem Deutschen Reich auszutreten, das damit nur noch wenige Staats-Angehörige hatte. Kaiser Franz II., ohnehin an der deutschen Kaiserkrone kaum interessiert (eine seiner großen Passionen war, auf den Öfen in der Wiener Hofburg Bonbons zu kochen!), legte eben diese am 6. August 1806 nieder. Görres hatte also auf seinem Totenschein für das alte deutsche Reich eine treffende Diagnose angegeben: "Gäntzliche Entkräftung bey hinzugekommenen Schlagflusse!"

Als wichtigste geistes- und ideengeschichtliche Grundlage der Säkularisation gilt die Aufklärung des 18. Jahrhunderts in der ganzen Fülle ihrer katholischen, protestantischen und schließlich auch atheistischen Spielarten, die allesamt in einer Säkularisierung des Geistes und des Denkens ihren Ausdruck fanden. Die christliche Lehre sollte von der Aufklärung nicht nur nach der letzten Richtigkeit und Gültigkeit ihrer Verkündigung gefragt werden können. Vor allem sollte diese Kirche ihre zentrale Rolle im Sozialprozeß verlieren. Sie sollte nicht mehr als die oberste Autorität über die Wertvorstellungen und Grundsätze entscheiden, nach denen diese soziale Gemeinschaft ihre Lebensordnung gestalten wollte. Der neue "Vernunftstaat Preußen" hatte beim Transport dieser Überzeugungen ins kollektive Bewußtsein eine zentrale Rolle.

Es hat im 18. Jahrhundert in ganz Europa, besonders aber im alten deutschen Reich der Kleinstaaterei, nicht an aufgeklärten Fürsten und aufklärerischen Oberschichten gefehlt, die sich eine vielfach schwärmerische Anbetung aller Aufklärungsideale angelegen sein ließen und diese auch oft unter Verzicht auf jede Form der kritischen Prüfung verfochten. Die Kritik, zum Teil auch die offene Feindschaft, richtete sich nicht mehr in erster Linie gegen die Kirche als politische, rechtliche und wirtschaftliche Machtträgerin - sie hatte von dieser Macht durch tausend Jahre immer wieder kräftigen und oft auch bedenkenlosen Gebrauch gemacht, oder das wenigstens versucht -, sondern diesmal mehr gegen die Kirche als Trägerin einer Lehre, die man nicht mehr als die allein gültige für den gesamten Lebens- und Staatszusammenhang anerkennen wollte.

Gerade deshalb richtete sich die Säkularisierung des Geistes in der Aufklärung schließlich auf das Ziel der Säkularisation des Kirchengutes und der weltlichen Macht kirchlicher Körperschaften und Würdenträger. So gesehen verengte sich die Aufklärungsbewegung in der Säkularisation auf ein eigentumsrechtliches und wirtschafts-politisches Ziel, in erster Linie auf die Vermögensübernahme von Wirtschaftsgütern aus der "toten Hand" der Kirche - ein Begriff, der damals aufkam und gängig wurde - in die des Staates und später der Bewirtschafter des Bodens und der Wirtschaftsgüter, vor allem also der Bauern.

Mit der Säkularisation verschwanden 112 deutsche (Klein)staaten mit einer Fläche von ungefähr 15.000 Qudratkilometer (zeitgenössisch :2000 Geviertmeilen) und drei Millionen Einwohnern, (die damit auch militärdienstpflichtig wurden, was sie "unterm Krummstab" meist nicht waren). Von den geistlichen Ständen blieben nur die beiden Ritterorden übrig, als Pfründe für mehr oder weniger (meist mehr) finanzschwache Söhne des Hochadels, und das Kurerzbistum Mainz, das mit seinem Reichserzkanzler Dalberrg nach Regensburg umgesiedelt wurde, dem gleichen, über den Napoleon nicht selten so erzürnt war, daß er ihn "einen unverbesserlichen Priester" nannte, "den man rupfen müsse". (Er hat es auch mit Hingabe getan).

Über allem stand das Pochen des Staates auf sein Recht, "den Kultus zu ordnen" und der Kirche nur jene "Temporalien zu belassen, die sie für die Ausübung eines würdigen Kultus unablässig benötigt". Alle deutschen Säkularisationen beriefen sich auf Luther. In seinen Schriften, besonders in seiner ausdrücklich gegen die Orden gerichteten Leistninger Kastenordnung von 1531 wendet er sich schon aus theologi-schen Erwägungen gegen diese Gemeinschaften. Gott und das Heil dadurch zu suchen, daß man sich an ein Ordensgelübdeband und eine Regel befolgte, die für alle gilt und nicht persönlicher Gewissensüberzeugung, sondern einer kollektiven Norm entstammt, war für Luther unvereinbar mit seinem Begriff von "evangelischer Freiheit".

Bemerkenswert bleibt, daß sich der Reformator nur gegen die Orden als Prinzip und gegen die "unnütze Möncherei" gewandt, aber in seinen Empfehlungen bereits das 1803 verfolgte Prinzip der persönlichen Entschädigung der Ordensangehönigen durch Gewährung von lebenslangen Versorgungsbezügen und vor allem die Übertragung wirtschaftlicher Werte auf die staatliche Gemeinschaft zur Erfüllung öffentlicher Aufgaben vorgeschlagen hat.

Die bayerische Position als Urheberin auch der Klostersäkularisation griff zwar auf die Vorbilder der Reformationszeit zurück, wie sie sich aus den Empfehlungen von Luther zur Lösung der Klosterfrage entwickelt haben. Man sah die Aufhebung der Ordensklöster zunächst aber ohne Substanzveränderungen und ohne Auflösung der Besitzzusammenhänge und ihre Übernahme in staatliche Verwaltung mit dem Ziel vor, die Nettoüberschüsse für öffentliche Zwecke, insbesondere im Bildungs- und Sozialbereich zu verwenden. Doch angewandt haben Bayern und Württemberg diese Prinzipien nicht. Sie haben sich vielmehr in merkantilistischen Orgien des Versteigerungsverkaufs des größten Teils des Klostergutes in möglichst kleinen marktgängigen Angeboten ergangen mit dem Ergebnis, daß sie durch die Gleichzeitigkeit der Angebote die Waren- und Bodenmärkte vielfach fundamental erschüttert und den Anfang zu der bis 1816 dauernden Agrardepression gemacht haben. Sie war um Westen Deutschlands eine Preiskrise, im Osten eine Kreditkrise.

Die hessischen Fürstenstaaten erlangten durch die Säkularisation überhaupt erst das Gewicht von deutschen Mittelstaaten, Darmstadt erhielt achtmal mehr als es verloren hatte, Baden sogar zehnmal mehr, Preußen "nur" fünfmal mehr, was freilich den Verlust der niederrheinischen Gebiete von Kleve-Jülich wirtschaftlich lange Zeit nicht ausgeglichen hat, für Württemberg wurde sie die Grundlage der späteren Erhebung zum Königreich, für Bayern wurde sie es zum Teil. Preußen wurde durch sie zum territorial einheitlichen Staat mit einem zusammenhängenden Staatsgebiet von Aachen bis nach Insterburg und Gumbinnen, dessen westliches Standbein damit etwa gleich stark war wie bis dahin das östliche.

Vereinfacht läßt sich sagen, daß Preußen im Westteil bisher geistliche Staatsgebiete säkularisiert hat, im Osten - dort war es der einzige säkularisierende Staat - Boden, Sachanlagen und kirchliche Vermögenswerte aller Art. Betroffen war im übrigen auch die protestantische Kirche, sie vor allem in Württemberg. Doch auch Preußen hat sich bei ihr bedient, besonders durch die Übernahme zahlreicher Domkapitel und evangelischer Abteien. In den Ostprovinzen wurden mit Breslau und Ermland auch zwei katholische Kleinterritorien Teile des preußischen Staates. Die Bildung der preußischen Rheinprovinz ist durch die Säkularisierung der Kurbistümer Köln und Trier und Teilen von Kurmainz entstanden, die Provinz Westfalen erhielt ihre heutige Gestalt durch die Übernahme des Hochstifts Paderborn und einer Anzahl katholischer und evangelischer Domstifte und Reichsabteien. Treitschke hat Preußen fast bemitleidet, weil ihm die Säkularisation "die feste Burg des unzufriedenen katholischen Adels, das Münsterland," eingetragen hatte, wie er 1875 schrieb.

Die 1979 erschienene Gesamtbilanz der Vermögenssäkularisation von H. Chr. Mempel gibt an, daß von einer Vermögensumverteilung im außerstaatlichen Bereich durch die Säkularisation keine Rede sein kann. Wirtschaftliche und vor allem wirtschaftlich taxierbare Werte - ein großer Teil der Kirchengüter ließ und läßt sich nicht mit Zahlen beschreiben - aus geistlichem Besitz im Wert von etwa 90 Millionen Gulden (1Gulden nach Kaufkraft war ungefähr 16 bis 20 DM von 1975) gelangten in den Besitz von 240 Adelsfamilien, Werte von 30 Millionen Gulden in den von 530 bürgerlichen Käufern. Insgesamt umfaßte die Käufergruppe nicht mehr als 770 Personengemeinschaften, zwei (Frankfurter) Bankhäusern und einem Konsortium von 19 Großhandelkaufleuten aus Hamburg. Jüdische Käufer waren nicht vertreten, im Raum Magdeburg, Erfurt und Hildesheim waren zwei jüdische Immobilienagenturen als Vermittler tätig, bei Auktionen von Edelsteinen und Metallen traten Agenten von "Diamantenjuden", auch aus Amsterdam und Antwerpen auf. Insgesamt waren die Vermögensumschichtungen durch die Säkularisationen eine Sache sowohl des katholischen wie des evangelischen Besitzbürgertums und des Adels bis hin zur Hocharistokratie.

In den Ostprovinzen hat sich die Vermögenssäkularisation zum allergrößten Teil in Schlesien abgespielt. Mempel gibt 1979 563 Besitzeinheiten im Wert von 12, 862, 850 preußischer Taler an, die durch die Kloster- und Kirchengutssäkularisation verwertet wurden. Zu ihnen gehörten von 5.174 schlesischen Hauptdörfern 816. Preußen hat wiederkehrende Jahreseinnahmen aus diesen Verkäufen von 182.000 Talern erzielt. Unter den verwerteten Objekten waren Großkomplexe wie die Fürstabtei Leubus und Großklöster wie Grüssau, Heinrichau, Himmelwitz und Rauden, um nur einige prominente zu nennen, bis hin zu Stifterparzellen aus kirchlichem Besitz. Für Preußen war die Säkularisationsmasse auch ein Mittel seiner Territorialpolitik, besonders in Oberschlesien. Prominentes Beispiel dafür sind die weitläufigen Tauschoperationen zwischen dem preußischen Staat und den hessischen Fürstenhäusern im Raum Ratibor.

Der Landgraf von Hessen - Rotenburg war Besitzer der Grafschaft Katzenelnbogen, (der "Katz" in Brentanos Rheinmärchen) und damit auch an den (räuberischen) Linienzöllen für oder eigentlich mehr gegen die Rheinschiffahrt, dem "Rheinoktroy" beteiligt. Preußen war bei der Organisation seiner Rheinprovinz an einer Bereinigung des rheinischen Gebiets- und Zollwirrwars interessiert und hat dem hessischen Landgrafen als Ablöse die Güterkomplexe des Kollegiatstiftes Ratibor übertragen. dazu die Fürstabtei Corvey.

Vor allem die maßvolle Haltung Preußens ist historisch anerkannt und wird bis heute selbst von der ultrakatholischen Geschichtsschreibung anerkannt. Der Hintergrund war die Sorge, die neugewonnenen katholischen Bevölkerungen gegen sich aufzubringen, aus der sich das Grundelement der preußischen Säkularisationspolitik ergab, die Rücksichtnahme auf die neuen katholischen Untertanen. Garant dafür war der erste Chef der Hauptsäkularisationskommission, Graf Schulenburg-Rehnert.

Unter Schulenburg, der seinen Behördensitz zunächst in Hildesheirn hatte, war Reichsfreiherr von Stein Oberpräsident in Münster. Seine schriftliche Überlieferung und seine Verordnungen und Denkschriften zeichnen ein Bild von der gründlichst überlegten Behutsamkeit bei der Behandlung der Säkularisationsprojektes. Auch sein Nachfolger Angern nach seiner Berufung nach Berlin handelte ebenso, im Amtsverkehr betonte der Justizminister v. d. Reck 1804 auch gegenüber Angern, der sich deutlich für eine schrittweise Säkularisierung der Klöster in den alten Provinzen ausgesprochen hatte: "Besonders pflichte ich dem Sentiment E. E. darin bey, daß eine äußerst milde Behandlung, insofern (die) Klöster aufgehoben werden ... eintreten müsse, weil gewiss das Gegenteil eine üble Sensation hervorbringen würde". Die Quellen zeigen, daß die "äußerst milde Behandlung" der Betroffenen Teil der preußischen Staatsräson war, die auch die Zustimmung von Friedrich Wilhelm II hatte.

Die Frauenklöster wurden während der preußischen Administration nicht säkularisiert. Die Regierung hielt sich in dieser Hinsicht genau an die Vorschriften des Reichsdeputationshauptschlusses. Nur die zu schwach dotierten Klöster wurden auf den Aussterbeetat gesetzt, das heißt sie durften keine Novizinnen mehr aufnehmen. Die Ordensgeistlichen wurden im übrigen für die Pfarrtätigkeit dringendst benötigt und fanden in der Mehrheit rasch wieder zu einem Wirkungskreis. Insgesamt haben die Vorstellungen des Königs den Geist der preußischen Säkularisationsmaßnahmen erheblich mitgeprägt. Im Bereich der Vermögenssäkularisation hat er in vielen Fällen eine Großzügigkeit bewiesen, wie man sie bei den anderen Landesherren selten antrifft. In den Dokumenten des Geheimen Preußischen Staatsarchivs findet sich ein Schreiben des Königs vom März 1803, in dem er Schulenburg seinen Wunsch zu erkennen gab, den Begriff des Privatbesitzes der Mönche bei der Aufhebung weitherzig auszulegen. Sie dürften neben ihrer Privatbibliothek alle Möbel und Effekte behalten, die sich auf ihren Zimmern befänden. Auch den Äbten möge man in dieser Beziehung sehr entgegenkommen. Der Monarch wollte nach seinen eigenen Worten aber selbst Fälle, bei denen es eindeutig um Klostervermögen ging, "um so liberaler behandeln lassen, je weniger Ich geneigt bin, irgendein Kloster nach Abgang der jetzt lebenden Mitglieder bestehen zu lassen". Zieht man die vielfach blindwütigen Reaktionen der bayerischen Oberbehörden zum Vergleich heran, wenn sie auch nur einen meist konstruierten Verdacht auf Wegnahmen von vermeintlichem Klostergut hatten, dann wird deutlich, daß Preußen seinen bis heute nachwirkenden "guten Säkularisationsruf" wohl erworben hatte.

Im ganzen war die preußische Säkularisationspolitik so differenziert und geschmeidig angelegt, daß ihr nicht einmal katholische Kirchenfürsten ihre Zustimmung versagen konnten. Den Mainzer Erzbischof Dalberg, bisher auch Landesherr des Eichsfeldes und von Erfurt, befriedigte das Vorgehen Preußens derart, daß er im März 1803 von den dortigen geistlichen Behörden eine Abschrift der preußischen Anordnungen erbat, "um dieses edle Beispiel bei anderen Reichsständen anzurühmen". Außerdem ließ er der Regierung in Berlin "seine höchste Rührung und Dankbarkeit" übermitteln.

Die Pensionen der Ordensmitglieder orientierten sich exakt an der vom Reichsdeputationshauptschluß vorgeschriebenen Höhe. Sie betrugen in Preußen wie in Bayern, Baden oder den hessischen Staaten das Vier- bis 22fache des Durchschnittseinkommens und waren damit großzügig bemessen. Von "Hungerpensionen" konnte keine Rede sein, wie sie Kirchenhistoriker des 20. Jahrhunderts Baden, Bayern und Preußen vorgeworfen haben.

Die Säkularisation beendete auch Spannungen zwischen den geistlichen Territorialfürsten und der katholischen Bevölkerung einerseits und der preußischen Staatsführung andererseits. Sie hatten sich aus der Frage ergeben, welche der von den Katholiken nicht mehr benötigten Kirchen man eventuell protestantischen Gemeinden übergeben könne, denen bis dahin kein eigenes Gotteshaus zur Verfügung stand. Die konkrete Durchführung der Aufhebungen von 1810 eröffnete den Prote- stanten die Möglichkeit, leerstehende katholische Kirchen zu erhalten.

Wie die zahlreichen Ausstellungen zum 200. Jahrestag der Säkularisation in Baden, Bayern und im Rheinland zeigen, läßt der Forschungsstand zur Territorialsäkularisation nur noch Einzelfragen offen. Allerdings ist es auch jetzt nicht gelungen, den Gewinn und die Lasten eindeutig zu errechnen, die sich für die beteiligten Staaten am Ende ergeben haben. Bei der Forschung zur Vermögenssäkularisation sind für die Westterritorien noch größere Bereiche zu bearbeiten, doch das große Dunkelfeld ist bis heute Schlesien. Über die Klosteraufhebung kennt man im wesentlichen Statistiken, die Sozial- und Kunstgeschichte, die Agrargeschichte, die Wirkung auf die bäuerliche Bevölkerung und ganz besonders der Wirkungszusammenhang Säkularisation zur Industriealisierung Oberschlesiens liegen im Dunkeln. Zwischen dem Geheimen Staatsarchiv der Stiftung Preußischer Kulturbesitz und dem Staatsarchiv Breslau gibt es seit fünf Jahren eine Kooperation, durch die auch die Sprachhürden bei der Nutzung der Fundmittel für die Bestände überwunden sind. Die Bestände der Staatsarchive Oppeln und Kattowitz sind EDV-erfaßt. Hinzu kommt die Erschließung der Universitätsbibliotheken Breslau, Oppeln und Kattowitz sowie der Jagiellonischen Bibliothek Krakau nach neuestem Standard. Bei solchen Bedingungen ist nicht einmal eine ausschweifende Phantasie nötig, um sich in der Abtei Leubus in Niederschlesien ein internationales Zentrum für schlesische Geschichtsforschung mit einer Sektion "Säkularisationsforschung" und einer "Industrie- und Technikforschung" vorzustellen, am besten kombiniert mit einer Dauerausstellung: "Schlesische Geschichte".

Der Student Otto in Eichendorffs "Dichter und ihre Gesellen" kommt nach Hause, der tolle Förster rührt zuerst überaus künstlich die Pauken, dann löst er einen Böller um den anderen, so laut, daß auch der Pächter vom Feld gerannt kommt. Es ist der Pächter des 1810 säkularisierten Gutes Ganiowitz des Kollegiatstiftes Ratibor. Bei dem Fest vor dem Amtmannshaus in Hohenstein (gemeint ist vermutlich das Schloß Fürstenstein der Fürsten von Hochberg-Pleß vor Waldenburg im Riesengebirge) maskieren sich die etwas verschämten Pächterstöchter zusammen mit der Amtmannstochter Florentine. Eigentlich heißt sie Philippine Miketta und ist die Tochter des Pächters eines anderen Gutes des Kollegiatstiftes Ratibor, Niedane.

Eben noch haben die Herrschaften im Saal des "Schlosses" auf bedrohlich schwankendem Boden getanzt. Vielleicht hatten die Musi- kanten ähnlich heisere Geigen und meckernde Oboen wie in E.T.A. Hoffmanns "Majorat". Jetzt ist das Fest zu Ende, die Schlitten fahren vor, in den Hörnern zu beiden Seiten brennen Fackeln, die Töchter der Pächter der Klostergüter packen sich in Decken und Pelze ein und überlassen sich dem seligen Nachträumen, während der Schlitten durch die Winternacht fährt. So steht es in Eichendorffs "Der Adel und die Revolution". Er hat diese Lebensordnung noch erlebt, das genügsame Be- hagen in der "insularischen Abgeschiedenheit" der Landgüter irgendwo in Schlesien, in der der kleine Landadel und die - oft reichen - Pächter der großen Kirchengüter eine Gesellschaftsschicht bildeten. 1803 ist sie versunken, heute glaubt man es, daß sich die Bevölkerungen auch und gerade im Abendlicht des versinkenden mittelalterlichen deutschen Universalstaates wohl gefühlt haben. Im Getümmel der Säkularisation ist er untergegangen. Die damals geschaffenen Strukturen, etwa die Kirchensteuer, sind noch heute kleine oder größere Teile des Alltags.

Hofdekret: Der eigentliche "Tod" des alten deutschen Reiches trat anläßlich der Regensburger Reichsversammlung am 25. Februar 1803 ein. /p> "Man kann sie nicht unter einen Hut bringen": Der um 1800 von Friedrich Neubauer gefertigte Stahlstich karikiert eines der größten Probleme des Heiligen Römischen Reiches. Die unterschiedlichen Interessen der einzelnen Gruppen waren annähernd unvereinbar. p> Kann es in Deutschland eine schönere Aussicht geben? Wer vom Belvedere auf dem Potsdamer Pfingstberg auf diese preußische Kulturlandschaft blickt, glaubt die Antwort zu wissen: einmalig! Gute Aussichten gibt es aber auch für das im Krieg weitgehend zerstörte Bauwerk selbst. Nachdem der größte Teil bereits im Sommer mit einem Festakt in Anwesenheit des Bundespräsidenten (Foto) der Öffentlichkeit übergeben werden konnte, ist nun auch die Finanzierung der restlichen Renovierungsarbeiten sichergestellt, dank einer erneuten Spendenzusage der Hermann-Reemtsma-Stiftung, neben Prof. Werner Otto auch bisher schon Hauptsponsor des Großprojekts.

Preußenkönig Friedrich Wilhelm IV. hatte das imposante Bauwerk bereits als Kronprinz entworfen und nach der Thronbesteigung 1840 realisiert, zunächst mit Ludwig Persius, dann mit Ludwig Ferdinand Hesse und Friedrich August Stüler als Baumeister.
 
     
     
 
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